Wer hat Angst vor dem europäischen Islam?

Seit Jahren wird in Europa über die Verortung des Islam im öffentlichen Raum kontrovers diskutiert. Zwei der streitbarsten Figuren der Debatte trafen kürzlich zusammen: Necla Kelek und Tariq Ramadan. Aus Berlin berichtet Sarah Mersch.

Necla Kelek, Tariq Ramdan; Foto: dpa/DW
Kann man gleichzeitig ein guter Muslim und ein guter Europäer sein? Oder muss man weniger Muslim werden, um ein besserer Europäer zu sein? Necla Kelek und Tariq Ramdan diskutierten in Berlin.

​​"Weiße deutsche Mittelklasse – das ist vorbei." Und daran müsse sich die deutsche Mehrheitsbevölkerung schleunigst gewöhnen, meint Tariq Ramadan, prominentester und streitbarster Vertreter der europäischen Muslime.

Aus der "weißen deutschen Mittelklasse" setzte sich auch der Großteil der Zuhörer auf dem taz-Kongress in Berlin zusammen (17.-19.April) – doch als Drohung ans Publikum will Ramadan seine Äußerung keineswegs verstanden wissen. Er spreche sich vielmehr für einen offenen Dialog zwischen muslimischen Einwanderern und europäischer Mehrheitsgesellschaft aus.

"Islamophobe" oder "Multikulti-Gutmenschen"

In den letzten Jahren ist die Verortung des Islam im öffentlichen Raum zum Lieblingsdebattenthema der Deutschen aufgestiegen; das Land ist in zwei Lager gespalten und jeder hat eine Meinung. Die jeweiligen Gegner bezeichnen sich wahlweise als "Islamophobe" oder "Multikulti-Gutmenschen". "Wer hat Angst vor dem Islam?" war die Veranstaltung daher auch betitelt.

So waren auch die Rollen auf dem Podium verteilt: Auf der einen Seite die europäische Islam-Light-Fraktion – vertreten durch Necla Kelek –, deren Anhänger davon ausgehen, dass der Islam eine "hidden agenda" hat und daher von den Muslimen eine komplette Assimilation fordert. Sie weiß in Deutschland das konservative Establishment hinter sich, aber auch etliche Feministinnen, allen voran Alice Schwarzer.

Muslime in einer Moschee in Deutschland; Foto: AP
Der Islam ist ein Teil Deutschlands. Doch die Tatsache, dass diese Religion auch im öffentlichen Leben Einzug erhält, verunsichert viele Europäer, so Tariq Ramadan.

​​Und auf der anderen Seite Tariq Ramadan, der schillernde Intellektuelle und brillante Rhetoriker, der je nach Standpunkt als Hoffnung des europäischen Reformislam betrachtet wird oder als gefährlicher Demagoge im Dienste von konservativen Islamvertretern.

Muslime werden in Europa "islamisiert"

In einem Punkt waren sich die beiden Diskutanten allerdings einig: In Europa werden Migranten in den letzten Jahren verstärkt über ihre Religion und weniger über die kulturellen Eigenheiten ihrer Herkunftsländer definiert. Ramadan kritisiert diese Entwicklung als "Zuschreibung der Mehrheitsgesellschaft".

Keleks These geht dann jedoch in eine ganz andere Richtung. "Diese Menschen sind als Türken gekommen, jetzt fordern sie als Muslime Leistungen vom deutschen Staat." Die erstarkende Betonung der Religion als Identitätsfaktor ist für Kelek, die sich selbst als säkulare europäische Muslima bezeichnet, ein Ausdruck mangelnder Integration – vor allem an den Orten ihrer kollektiven Ausübung, sprich: in Moscheen.

Denn die meisten Moscheeverbände, so Kelek, dienten der politischen Einflussnahme der Herkunftsländer und vermittelten einen äußerst konservativen Islam, der im Widerspruch zu einer säkularen Gesellschaft stünde wie sie in Europa die Norm sei.

Irritationen über die Sichtbarkeit des Islam

Die neue öffentliche Sichtbarkeit von Muslimen sorge in Europa für Verängstigung, sagte Tariq Ramadan in seinen einleitenden Sätzen. Statt Fakten und Statistiken würden indessen irrationale Ängste die Debatte bestimmen. Just in dem Moment kommt die Frage aus dem Publikum: "Frau Kelek, haben Sie eigentlich Angst vor Herrn Ramadan?"

Ein Mann beim Gebet in einer Moschee, Foto: AP
Instrumentalisierung des Glaubens? Viele islamische Verbände vertreten aus dem Ausland gesteuerte Interessen, so Necla Kelek.

​​Necla Kelek wetterte im Gegenzug, den Blick entschlossen auf Ramadan gerichtet, gegen das Kopftuch und die Unterdrückung von Frauen. "Die größte deutsche Errungenschaft ist doch die sexuelle Befreiung der Frau."

Dass Ramadan darauf entgegnete, der Zwang zum Kopftuch verstoße gegen die Menschenrechte, er sei ebenfalls für sexuelle Freiheiten und der Koran müsse im Kontext seiner Entstehung gelesen werden, das interessierte die Soziologin nicht. Die Debatte endete damit, wie sie es so oft in Deutschland und Europa tut: Beide Lager fühlten sich in ihren Vorurteilen bestätigt.

Vernachlässigte Aspekte

Dass Necla Kelek durchaus Recht haben könnte, wenn sie die islamischen Verbände in Deutschland als "erzkonservativ" geißelt, und dass auch Tariq Ramadan manchmal durch und durch konservative Ansichten vertritt, ging in allgemeiner Aufregung unter.

Auch, dass die zu beobachtende Hinwendung zur Religion auch ein Hinweis auf geringe Bildung und fehlende Berufsaussichten ist und dass viele Imame inzwischen auf Deutsch predigen – all das war kein Thema. "So lange die so weiter machen und sich beschimpfen, statt über etwas Konkretes zu reden, kann das ja nichts werden mit der Integration", schimpfte eine Zuhörerin.

Sarah Mersch

© Qantara.de 2009

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