Eine Führungselite ohne Konzept

Der Streit um die Mohammed-Karikaturen dient politischen Scharfmachern in Nigeria als Vorwand, um die Gewalt zwischen Muslimen und Christen weiter zu schüren. Thomas Mösch kommentiert

Der Streit um die Mohammed-Karikaturen dient politischen Scharfmachern in Nigeria als Vorwand, um die Gewalt zwischen Muslimen und Christen weiter zu schüren. Die Ausschreitungen zeigen: Das Verhältnis zwischen den Religionen im Vielvölkerstaat Nigeria bleibt weiter labil. Thomas Mösch kommentiert

Zerstörte Moschee im nigerianischen Onitsha, Foto: AP
Eine Lösung der Konflikte kann nur über religiöse und ethnische Grenzen hinweg geschehen, denn Nigeria ist ein pluralistisches Land

​​Eines ist klar: Mit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen haben die Morde und Brandschatzungen in mehreren Städten Nigerias nur wenig zu tun. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Ausschreitungen nur in einer Stadt im Umfeld von anti-dänischen Protesten stattfanden.

Instrumentalisierung der Religionen

Traurige Wahrheit ist dagegen, dass es in weiten Teilen des bevölkerungsreichsten afrikanischen Landes Gruppen und Grüppchen gibt, die jede Gelegenheit nutzen, um den Islam, das Christentum oder die Volkszugehörigkeit für ihre jeweils unterschiedlichen Interessen zu instrumentalisieren.

Besonders verbreitet sind diese Tendenzen dort, wo soziale und ökonomische Perspektivlosigkeit am größten sind: Der muslimisch dominierte Norden des Landes fühlt sich zurückgesetzt, seit der Süden - neben der Führungsrolle in der Wirtschaft - mit Präsident Olusegun Obasanjo auch noch das politische Spitzenamt besetzt.

Im ölreichen Niger-Delta haben die meisten Menschen auch nach sieben Jahren offizieller Demokratie noch keinen Anteil an den erhöhten Zuschüssen für die Fördergebiete.

An den Angriffen auf die christliche Minderheit im Norden und am Aufruhr im Niger-Delta zeigt sich einmal mehr, dass Nigerias politische Klasse bisher kein überzeugendes Konzept für die Zukunft des Landes hat. In der Politik - wie in der Wirtschaft - kämpft jeder zunächst für sich selbst und sein engeres Umfeld.

Dabei ist vielen Akteuren jedes Mittel recht, sie riskieren sogar einen Bürgerkrieg. Präsident Obasanjo ist es bisher lediglich gelungen, den Dampfkessel vor der Explosion zu bewahren.

Strategien für politischen Machterhalt

Er versucht dies entweder mit Zugeständnissen, indem er zum Beispiel stillschweigend die verfassungswidrige Einführung des islamischen Strafrechts im Norden akzeptiert. Oder er reagiert mit militärischer Gewalt, die sich in ihrer Maßlosigkeit kaum von der früherer Militärregime unterscheidet.

Olusegun Obasanjo, Foto: AP
Pokern für eine weitere Amtszeit - Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo

​​Und nun lässt dieser im Ausland so geachtete Präsident auch noch der Debatte über seine mögliche dritte Amtszeit freien Lauf. Im nächsten Jahr sollen die Nigerianer nämlich einen neuen Präsidenten wählen - und nach der jetzigen Verfassung darf es nicht noch einmal der alte sein.

Während Obasanjo schweigt, versuchen seine Anhänger, die Verfassung zu ändern - in der Stadt Katsina war es der Streit um eben diese Verfassungsänderung, der Übergriffe auf Christen auslöste.

Politische Lösungen jenseits religiöser Grenzen

Hinzu kommt, dass viele Politiker angesichts des Wahlkampfes die Religion wieder einmal dazu nutzen, um ihre Klientel zu mobilisieren. Da kommen die Mohammed-Karikaturen jetzt gerade recht, wie der armselige Beschluss des Landesparlaments von Kano von Anfang Februar zeigt, die dänische Flagge zu verbrennen - Hauptsache man muss sich nicht um die wirklichen Probleme der Menschen kümmern.

Wenn Nigeria eine Zukunft haben soll, dann müssen die politischen und religiösen Führer des Landes begreifen, dass sie nigerianische Lösungen für nigerianische Probleme finden müssen. Dies kann nur über religiöse und ethnische Grenzen hinweg geschehen, denn Nigeria ist ein pluralistisches Land.

Leider wünschen sich viele die Zeiten zurück, in denen das eigene Umfeld ausschließlich den eigenen, vermeintlich traditionellen Werten folgte. Europa hat bereits mehrfach schmerzlich erfahren, dass es ein solches Zurück nicht gibt. Afrika ist noch dabei, diese Erfahrungen zu machen.

Zum Glück gibt es aber auch in Nigeria Menschen, die verstanden haben, dass es besser ist, die Zukunft gemeinsam und friedlich zu meistern. Die internationale Gemeinschaft sollte sie nach Kräften unterstützen.

Zu nennen ist hier insbesondere das "Zentrum für inter-religiösen Dialog" im nordnigerianischen Kaduna. Dort waren in den vergangenen Jahren mehrfach Muslime und Christen übereinander hergefallen.

Am Ende der blutigen Konflikte säumten jeweils Hunderte von Toten die Straßen. Einige der Scharfmacher haben schließlich begriffen, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt. Vielleicht liegt es ja auch daran, dass die Lage in Kaduna bisher ruhig geblieben ist.

Thomas Mösch

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006

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