Autokrat im Notstand

Noch im Präsidentschaftswahlkampf hatte Husni Mubarak versprochen, den Notstand aufzuheben und durch Antiterror-Paragraphen zu ersetzen. Stattdessen wurde er abermals verlängert. Aus Kairo informiert Jürgen Stryjak.

Während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl hatte Husni Mubarak noch versprochen, den Notstand aufzuheben und durch Antiterror-Paragraphen zu ersetzen. Stattdessen wurde er abermals verlängert. Informationen von Jürgen Stryjak aus Kairo.

Ägyptens Präsident Husni Mubarak; Foto:dpa
Nach der Ermordung von Husni Mubaraks Vorgänger Sadat traten die Notstandsgesetze 1981 in Kraft. Seitdem wurden sie alle zwei Jahre verlängert.

​​Selbst der staatsnahe Nationale Menschenrechtsrat Ägyptens, unter Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali, hatte für ein Ende des Ausnahmezustands plädiert. Nichts rechtfertige ihn, erklärte der Rat wenige Tage, bevor die Verlängerung im Parlament durchgepeitscht wurde. Dann heißt es weiter: "Zumal das Land derzeit eine Periode der Stabilität erlebt."

Dieser Stabilität scheint das Mubarak-Regime gründlich zu misstrauen, und es hat einigen Grund dazu: Am 6. und 7. April erst war es in der Textilarbeiterstadt Al-Mahalla im Nildelta nördlich von Kairo zu schweren Ausschreitungen gekommen.

Die Arbeiter der größten staatlichen Textilfabrik hatten für den 6. April einen Streik angekündigt, der von Sicherheitskräften verhindert wurde, aber nach der Frühschicht versammelten sich Tausende Textilarbeiter im Zentrum des Ortes.

Wachsender Unmut

Hunderte zumeist junger Männer lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Autos und Geschäfte brannten, ein Personenzug, der nicht rechtzeitig bremsen konnte, fuhr durch auf den Schienen lodernde Feuer. Die Protestler rissen eine Tafel mit dem Bildnis Mubaraks zu Boden und trampelten wütend auf dem Antlitz des Präsidenten herum.

Bereits von Dezember 2006 bis September 2007 war die Textilfabrik Schauplatz mächtiger Streikaktionen. Die Behörden gaben den Forderungen der Arbeiter teilweise nach – und inspirierten auf diese Weise die Belegschaften von mehreren Hundert weiteren Unternehmen im ganzen Land zu Arbeitniederlegungen.

Ausschreitungen während einer Demonstration in Mahalla; Foto: AP
Proteste gegen den autokratischen Pharao: Ausschreitungen während einer Demonstration gegen die Regierung Mubarak in Mahalla

​​"Allein im letzten Jahr", sagt Alaa Al-Aswani, der bekannteste regimekritische Schriftsteller des Landes, "gab es 1000 Streiks in Ägypten. Ich glaube, das Land steht kurz vor einem großen Wandel, und fast jeder spürt das."

Mit den Notstandsgesetzen kann die Regierung Streiks verbieten, Arbeitsniederlegungen sind in Ägypten illegal. Der Nährboden für Kampfaktionen dieser Art sind das soziale Elend und die politische Misere, in der sich das Land befindet. Auf diesem Nährboden gedeiht eine mannigfaltige gesellschaftliche Opposition – das Regime braucht den Ausnahmezustand, um seine Macht zu erhalten.

Das so genannte Notstandsgesetz Nr. 162 wurde 1958 verabschiedet und 1967 das erste Mal angewendet. Seit 1981 bis heute, also während der gesamten Amtszeit Mubaraks, ist es ununterbrochen in Kraft.

Austeilen und herrschen!

Es erlaubt unter anderem eine umfangreiche Zensur der Medien des Landes und das Abhören von Privattelefonen nach Gutdünken, es verbietet Demonstrationen und gestattet dem Innenministerium, Ägypter beliebig lange zu inhaftieren.

Nach Angabe von ägyptischen und internationalen Menschenrechtsgruppen befinden sich derzeit mindestens 5000 Menschen auf der Grundlage der Notstandsgesetze ohne Anklage oder Gerichtsverfahren im Gefängnis, viele von ihnen seit Jahren. Amnesty International spricht sogar von bis zu 18.000 Inhaftierten.

Massives Polizeiaufgebot gegen Streiks in Mahalla; Foto: dpa
Generalstreik gegen überzogene Lebensmittelpreise - regierungsfeindliche Proteste in Mahalla.

​​Der Ausnahmezustand erlaubt es, die bürgerlichen Freiheiten umfangreich einzuschränken. Während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl versprach Mubarak, den Notstand aufzuheben und durch Antiterrorparagraphen zu ersetzen. Stattdessen wurde er seitdem bereits zum zweiten Mal verlängert.

Die Regierung, erklärte Premierminister Ahmed Nazif dem Parlament am Tag der Abstimmung über den Ausnahmezustand, habe ihn strikt dazu benutzt, Terrorismus zu bekämpfen. Die üblichen Gesetze seien dazu nicht geeignet. Bislang habe die Zeit nicht ausgereicht, ein effizientes Antiterrorgesetz zu entwickeln.

Ein Argument, das Kritiker lächerlich finden. "Zehn Antiterrorgesetze", schrieb Diaa Rashwan vom halbstaatlichen Kairoer Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in der unabhängigen Tageszeitung Al-Masri al-Youm, "hätten seit Mubaraks Versprechen, den Aufnahmezustand zu beenden, entworfen werden können."

Wenige Wochen zuvor hatte der Generalstaatsanwalt die Freilassung von Al-Mahalla-Demonstranten sowie von Internet-Aktivisten, die im Umfeld der Textilarbeiterproteste zu einem Generalstreik aufgerufen hatten, angeordnet.

Kein Antiterrorgesetz in Sicht

Laut Human Rights Watch steckte das Innenministerium 20 von ihnen erneut ins Gefängnis – unter Anwendung der Notstandsgesetze. Für Regimekritiker ist das eindeutig ein Beleg dafür, warum ein Antiterrorgesetz noch nicht existiert. Es müsste sich auf die Terrorabwehr beschränken und würde kaum dazu taugen, die Zivilgesellschaft in Schach zu halten.

Neben bürgerlichen, linken und säkularen Oppositionellen ist es vor allem die Muslimbruderschaft, die die Repressionen des Ausnahmezustands zu spüren bekommt.

Im Februar 2006 ließ ein Zivilgericht eine Anklage gegen Khairat Al-Shatir, einem ihrer prominentesten Führer, und 15 weitere Muslimbrüder fallen. Mubarak persönlich ordnete unverzüglich einen neuen Prozess an, diesmal vor einem Militärtribunal. Am 15. April wurden sie und weitere 24 Zivilisten zu bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Ausnahmezustand gestattet es, Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen, deren Urteile nicht angefochten werden können. Doch die Muslimbruderschaft, als die am besten organisierte Oppositionskraft im Land, ist längst noch nicht die größte Herausforderung des Regimes.

Brot und keine frommen Debatten

Im April gab die zentrale Statistikbehörde die Daten zur Preisentwicklung bekannt. Brot wurde in den zwölf Monaten zuvor um 48,1 Prozent teurer, Pflanzenöle und Bratenfett um 45,2 Prozent, Geflügel gar um 140 Prozent. Bei der Muslimbruderschaft kommt soziale Not bislang weitestgehend nur in Form von Wohlfahrtsrethorik vor. Aber die Menschen wollen Brot und keine frommen Debatten.

Eine politische Kraft, die die Wut über das soziale Elend zu Aktionen bündelt, die das Regime wirklich bedrohen, existiert bisher noch nicht. Was diese Wut aber bewirken könnte, haben die Brotunruhen vom Januar 1977 gezeigt. Damals starben mindestens 70 Menschen.

Auch heute ist die Situation explosiv. Bahey Edin Hassan erwartet deshalb auch von dem Antiterrorgesetz, das den Ausnahmezustand irgendwann ablösen soll, keine Stärkung der Bürgerrechte. "Dieses Antiterrorgesetz", sagt der Direktor des Kairo-Institutes für Menschenrechtsstudien, "wird das schlimmste auf der ganzen Welt sein."

Jürgen Stryjak

© Qantara.de 2008

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