„Dein Reich komme“: Die Evangelikalen und der Nahostkonflikt

In ihrem Dokumentarfilm zeigt die israelische Regisseurin Maya Zinshtein eindringlich, welchen Einfluss die Evangelikalen auf Trumps Agenda, aber insbesondere auf die amerikanische Nahostpolitik nehmen konnten. Von René Wildangel

Von René Wildangel

Die letzten Stimmen werden noch ausgezählt und Donald Trump weigert sich bis zum Schluss, die Ergebnisse des demokratischen Prozesses anzuerkennen. Dabei hat eine Wählergruppe seine Niederlage nicht zu verantworten: Die evangelikalen Christen.

In einem neuen Dokumentarfilm zeigt die israelische Regisseurin Maya Zinshtein nochmal eindringlich, welchen Einfluss diese Gruppe auf Trumps Agenda, aber insbesondere auf die amerikanische Nahostpolitik nehmen konnte.

An Filmen und Büchern über das Thema mangelt es nicht – aber was diesen Film besonders sehenswert macht, ist die Tatsache, dass Zinshtein ihre Rolle als israelische Filmemacherin nutzt, um einzigartigen Zugang zu evangelikalen Akteuren zu bekommen.

Und der wird ihr bei den Dreharbeiten offensichtlich nur gewährt, weil sie als jüdische Israelin aus dem „Gelobten Land“ ihrer Gesprächspartner kommt, die nach dem biblischen Motto „Ich will segnen, die Dich [Israel] segnen“ agieren.

Zinshtein ist von der uneingeschränkten Liebe zu ihrem eigenen Land sichtlich irritiert. Ihre eigene kritische Distanz, mit der die Filmemacherin keineswegs hinter dem Berg hält, scheint die portraitierten Anführer der evangelikalen Bewegung aber gar nicht zu interessieren.

Zinshteins Recherche beginnt in Binghamtown, einer heruntergekommenen Stadt in einem ehemaligen Bergbaugebiet im Bundesstaat Kentucky, wo Pastor Boyd Bingham III seine Maschinenpistole in Anschlag nimmt und freimütig erzählt. „Wir starten unsere Indoktrinierung schon früh mit den Kindern“, sagt er.

 

 

Ein trostloses, aber einflussreiches Milieu

Was von außen betrachtet wie ein abstruser Kult wirkt, ist hier eher Mainstream: Bis zu 25 Prozent der Amerikaner sind im weitesten Sinne evangelikal und können sich mit den theologischen und religiös-politischen Grundsätzen der Bewegung identifizieren.

Es ist das weitgehend ländliche, kleinbürgerliche und abgehängte weiße Amerika, in dem sie beständig an Einfluss gewinnen. Ein Milieu, dessen Trostlosigkeit der Film in eindrucksvollen Bildern festhält. Die Evangelikalen bildeten schon 2016 – und auch 2020 – die wichtigste Wählerbasis von Donald Trump.

Zentrale Mitglieder der Administration, so konstatieren evangelikale Führer im Film stolz, kämen aus ihren Reihen, darunter auch Vizepräsident Mike Pence oder Außenminister Mike Pompeo, der nicht selten außenpolitische Debatten mit eschatologischen Betrachtungen verband. Trump selbst zeigte sich immer wieder mit Anführern der Bewegung – auch wenn er selbst ein rein opportunistisches Verhältnis zu ihnen gepflegt hat.

Die evangelikale Agenda, gespickt mit rassistischen, frauenfeindlichen, LGBTI-feindlichen und nicht zuletzt auch antisemitischen Positionen, war in den letzten vier Jahren durch ein eigens gegründetes „Evangelical Advisory Board“ mit exklusivem Zugang zum Weißen Haus vertreten. 

Insbesondere waren die Evangelikalen so in der Lage, Trumps Nahostpolitik fast völlig nach ihrem Gusto – also der bedingungslosen Unterstützung für Netanyahu und die Siedlerbewegung – zu gestalten.

Maya Zinshtein zeigt anhand der wichtigsten Lobbygruppen und ihrer Führer, wie ihr Einfluss organisiert wird. Da ist z.B. das „International Fellowship for Christians and Jews“, in den 1980er Jahren von Rabbi Yechiel Eckstein als kleine Wohlfahrtsorganisation begründet und heute von seiner Tochter Yael weitergeführt, die erfolgreich Millionenbeträge einsammelt. Das Geld wird in humanitäre Projekte in Israel investiert – aber auch in Siedlungen und die israelische Armee.

Die Regisseurin filmt unter anderem während eines Gala-Dinners zugunsten der israelischen Armee, bei dem Eckstein dem milliardenschweren Netanyahu- und Trump-Finanzier Sheldon Adelson ins Ohr flüstert: „Jüdische Gemeinden weltweit wachsen nicht – die Evangelikalen aber schon.“

Die Message ist klar: Die proisraelischen Christen, die sich teils als „zionistische Christen“ bezeichnen, sind viel wichtigere Verbündete für Israels Nationalisten als jüdische Gemeinden weltweit, die zu einem guten Teil liberal eingestellt sind und die einseitige Unterstützung für die Siedler kritischer sehen als alle anderen religiösen Gemeinschaften in den USA.

Evangelikale Lobby erreicht wichtige Ziele

Um ein Lieblingsthema der evangelikalen Israel-Lobby voranzutreiben, nämlich das Ende der amerikanischen Unterstützung für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA, schickte der Verband 2018 über 5000 Lobbyisten in den amerikanischen Kongress. Mit Erfolg, die USA stoppten ihre Beiträge.

Allerdings konnten die Organisationen unter Trump noch weitaus größere Lobbyziele erreichen: Austritt aus dem Nuklearabkommen mit Iran, Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, politische Anerkennung für die Siedlerbewegung. Trump warf fast alle internationalen Grundsätze in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt über Bord, welche vorherige Administrationen stets respektiert hatten.

Evangelikale Prediger wie John Hagee, den Netanyahu den „besten Freund Israels“ nennt, und der mit der Organisation „Christians United For Israel“ (CUFI) eine zentrale Lobbyorganisation gegründet hat, sind bei den Feierlichkeiten zur Verlegung der US-Botschaft und der Vorstellung des „Trump-Plans“ im Weißen Haus nicht nur präsent, sondern übernehmen sogar zentrale Rollen in der Inszenierung.

„Bereite dich darauf vor, Gott zu begegnen“: Aus dem Dokumentarfilm „‘Til Kingdom Come“- „Bis zum jüngsten Tag – Trump, die Evangelikalen und Israel“.  Foto: NDR/Met Film Sales/Abraham (Abie) Troen
„Bereite dich darauf vor, Gott zu begegnen“: Dieser Film erzählt mit erstaunlichen Zugängen die Geschichte, wie verarmte Christen in Kentucky ihren letzten Penny an eine Wohltätigkeitsorganisation in Israel spenden. Sie hängen in ihrer Kirche den Davidstern über das Kreuz, denn sie erwarten, dass in Israel bald der Erlöser kommt und damit die letzten Tage der Menschheit anbrechen. Am Beispiel der kleinen Gemeinde in Kentucky erzählt der Film die Verstrickungen von Politik und Religion. Die preisgekrönte Regisseurin Maya Zinshtein bietet exklusive Einblicke in das Weltbild US-amerikanischer Christen und deren apokalyptische Visionen.

Regisseurin Zinshtein lässt wenig Zweifel daran, was sie von all dem hält: Sie filmt in den besetzten Gebieten, zeigt die katastrophalen Folgen dieser Politik für die Rechte der Palästinenser. Was von den radikalen Christen gefeiert wird, kostet Menschenleben.

58 Palästinenser kommen bei den Protesten gegen die Verlegung der US-Botschaft ums Leben, 2771 werden verletzt. Aber die Situation vor Ort, Völkerrecht und Besatzung, spielt für die Evangelikalen keine Rolle.

Grotesk sichtbar wird das in der filmisch festgehaltenen Begegnung von Pastor Bingham mit einem palästinensischen Pfarrer in einer Kirche in Bethlehem.

Als der Pfarrer versucht, Bingham die schwierige Lage der palästinensischen Christen zu erklären, erhält er nur eine einzige Antwort auf dessen Ausführungen zum Leben unter Besatzung: Gott habe dem Volk Israel nun mal das Land versprochen. Der verzweifelte Pfarrer gibt zurück, Bingham argumentiere ja wie ein Dschihadist, der sich auf den Koran beruft. Das wiederum rührt Bingham gar nicht.

Er und seine Glaubensbrüder unterstützen proaktiv die israelische Siedlerbewegung, statten mit den „Christian Friends of Israeli Communities“ Solidaritätsbesuche vor Ort ab und sammeln Spenden. Das kommt nicht zuletzt Premierminister Netanyahu zugute, der seit Jahren nur mit Hilfe der Siedler regieren kann.

Antisemitische Klischees

Gegenüber der Dokumentarfilmerin Zinshtein legen die evangelikalen Protagonisten ihre Ansichten völlig ungeschönt dar. Ihrem Glauben nach wird Jesus erst auf die Erde zurückkehren, wenn alle Juden in Israel versammelt sind. Aber am Jüngsten Tag stehen die angeblich so verehrten Juden vor einer fatalen Wahl: Sie sollen entweder zum Christentum konvertieren oder untergehen.

Als die Israelin Zinshtein Pastor Bingham Senior (den Vater des oben genannten) im Interview fragt, was denn mit jenen Juden in Israel passieren solle, die das Christentum dann nicht anerkennen wollen, lässt er daran auch keinen Zweifel.

Das Verhältnis der Evangelikalen zu Israel als jüdischem Staat ist bestenfalls ambivalent: Einerseits wird gepredigt, Juden seien die besseren Menschen und Israel das Gelobte Land. Im selben Atemzug werden dann aber die wildesten antisemitischen Klischees bedient.

Mit Biden als neuem US-Präsident wird der einmalige, direkte Zugang der Lobbyisten zum Präsidenten ebenso schwinden wie die abstrusen Umdeutungen des Völkerrechts in Bezug auf den Konflikt in Israel und Palästina – nicht aber der Einfluss der evangelikalen Verbände.

Um hier eine Gegenreaktion zu schaffen, wäre wohl etwas anderes nötig als nur ein Machtwechsel im Weißen Haus: Die Überwindung der wachsenden sozialen und ideologischen Spaltung der USA.

René Wildangel

© Qantara.de 2020

René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.