Eliten in der arabischen Welt
Bashar al-Assad von Syrien und Mohammed VI. von Marokko sind nur zwei der Machthaber, die das politische Erbe ihres Vaters angetreten haben. Diesen Elitenwechsel behandelt der von Volker Perthes herausgegebene Band "Arab Elites". Eine Rezension von Wolfgang Schwanitz
An der Wende zum Millennium habe sich die Führerschaft im arabischen Raum verändert, betont Volker Perthes. Dies zeige vor allem auch der Tod von vier Staatschefs an, so der Leiter der Mittelost-Forschungsgruppe an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik und verweist auf König Husain von Jordanien, König Hassan von Marokko, Emir Isa von Bahrain und Präsident Hafiz al-Assad von Syrien.
Zwischenzeitlich traten zudem von der Bühne Iraks Präsident Saddam Husain und der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Yasir Arafat. In der Tat: blickt man in diesen Raum, so läuft dort ein Generationswechsel an der Spitze ab. Es sind die Jahrgänge 1927 bis 1937, die das Zepter abgeben.
Dabei folgen generative Sprünge auf Nachfolger, die gar in den 50er Jahren, also bis zu zwei Jahrzehnte später, geboren wurden. Dieser Wechsel an der Spitze der Pyramide wirkt sich auf alle ihre Schichten aus.
Perthes und seine neun Mitautoren, die acht Länderfälle vorstellen, rücken die "politisch relevante Elite" ins Zentrum. Demnach sind es all jene, die politischen Einfluss ausüben, strategische Entscheidungen fällen oder Normen und Werte im nationalen Diskurs bestimmen. Dazu zählen, so Perthes einleitend, auch zeitweilige und funktionelle Eliten, die in Apparaten politische Macht und Einfluss gestalten.
Wer ist die "politische relevante Elite"?
Hier freilich könnte der Leser Einwände gegen diesen Buchansatz erheben. Der erste betrifft den Begriff "politisch relevante Elite". Aus welcher Sicht wird dies formuliert? Das bleibt offen.
Dabei könnte dies geschehen von der Warte des herrschenden Regimes, der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition, freundlicher oder sogar feindlicher Clans in Nachbarstaaten oder der das jeweilige Regime stützenden Mächte im nichtarabischen Ausland. Allein schon dies zeigt, wie schwer es ist, deren tatsächliche Relevanz zutreffend zu erfassen.
Der zweite Einwand könnte auf die Rolle und Funktion von Eliten überhaupt abzielen. Mit Blick auf den arabischen Frühling mit demokratischen Anläufen in Irak, Libanon, Ägypten und auf der Arabischen Halbinsel sieht es so aus, als ob Eliten weder das entscheidende Wort führten noch die entscheidenden Taten vollzögen. Ist es nicht das Wechselspiel zwischen den Einzelpersönlichkeiten und breiten Schichten, das dort Geschichte macht?
Kaum Einfluss der Elite auf die Politik
Der dritte Einwand gegen diesen Buchansatz mit seinem Elitekonzept rührt daher, dass die traditionelle Eliten-Forschung im Westen aus Jahrhunderten einer innengeleiteten und binnendynamischen Entwicklung herrührt. Dort hat sie auch organische Wurzeln.
In der arabischen Region aber ergibt sich seit 1800 das Gegenteil: eine stark außengeleitete und unorganische Entwicklung mit einer Elite, die so bunt und heterogen ist wie der soziale Flickenteppich, den ihre Gesellschaften bilden.
Zum einen ist Elite beim brain drain in den Westen abgezogen worden. Zum anderen hat diese Elite gar mehrere Sozialisationen durchlaufen, darunter im säkularen Militär und beim Studium in Zentren des Westens und Osteuropas. Diese hybride Elite wirkte oft nur marginal auf die Politik an der Spitze.
Dies erlaubt es einzelnen Machthabern auch, willkürlich walten zu können, was speziell Islamisten in Harnisch brachte. Volker Perthes ist sich dessen bewusst, verweist er doch auf Faktoren wie Herkunft, Struktur, Stellung, Generation und Perspektive. Insgesamt aber bleibt sein Ansatz methodisch unscharf. Vor allem vermag er nicht deutlich aufzuzeigen, worauf das Besondere hinausläuft, das die Fallstudien dann verfeinern oder verwerfen können.
Von Marokko bis Saudi-Arabien
Im ersten Kapitel geht es um drei Länder, in denen der Machtwechsel abgelaufen ist. André Bank und Oliver Schlumberger untersuchen Jordanien, Saloua Zerhouni Marokko und Volker Perthes Syrien.
Fälle, in denen die Nachfolge ansteht, werden im zweiten Kapitel vorgestellt. Gamal Abdelnasser erörtert Ägypten und Iris Glosemeyer Saudi-Aarabien. Kapitel drei hinterfragt Systemerhaltung und Eliten, wobei Isabelle Werenfels Algerien und Steffen Erdle Tunesien ausloten.
Das vierte Kapitel gilt dem Elitenwechsel unter der auswärtigen Dominanz. Rola el-Husseini erhellt Libanon und Hans-Joachim Rabe die palästinensischen Gebiete. Im Kapitel fünf zieht Volker Perthes Bilanz.
Die Bibliographie fällt - anders als die Fallstudien - dadurch auf, dass darin die arabischsprachige Literatur fehlt: als gäbe es dort keine Eliten-Debatte, keine arabischen strategischen Berichte und Einzelstudien. Recht gelungen erscheinen Analysen zu einzelnen Ländern, wobei Marokko, Ägypten und Algerien qualitativ herausragen.
Perthes' Schlüsse indes sind zu allgemein und fassen auch nicht weiter Erkenntnisse aus den Fallstudien zusammen. Diese aber stehen für sich und werden sicherlich dem speziellen Diskurs über Besonderheiten der arabischen Eliten fruchtbare Impulse verleihen.
Wolfgang G. Schwanitz
© Qantara.de 2005
Volker Perthes (ed.): Arab Elites. Negotiating the Politics of Change. Boulder, London: Lynne Rienner Publishers 2004
Qantara.de
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