Im Dienste des Präsidenten

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan am 20. August gilt Hamid Karsai als Favorit auf die eigene Nachfolge – nicht zuletzt deshalb, weil er sich die Gefolgschaft einflussreicher Warlords, Gouverneure sowie Stammesältester gesichert hat. Von Martin Gerner aus Kabul

Wahlplakat Hamid Karsais in Kabul; Foto: AP
Omnnipräsent im ganzen Land: Trotz internationaler Kritik an der herrschenden Politik und der grassierenden Schattenwirtschaft unter Karsai gilt dessen Wiederwahl am 20. August als wahrscheinlich.

​​"Wir beobachten, dass die Unregelmäßigkeiten zunehmen", berichtet Jandand Spinghar, Geschäftsführer der einzigen unabhängigen Wahlbeobachter-Organisation in Afghanistan (FEFA).

Spinghar glaubt, die unabhängige afghanische Wahlkommission sei in Wahrheit ein Organ in Diensten Präsident Karsais - eine Kritik, die auch von internationalen Beobachtern geteilt wird.

"In einer Reihe von Provinzen im paschtunischen Osten und Süden sind mehrere Registrierungskarten an Wähler verteilt worden. Zum Teil sind dreimal so viele Frauen in die Listen eingetragen worden, als dort tatsächlich leben", so Spinghar. Auch seien viele Minderjährige absichtlich registriert worden.

Allgegenwärtiger Präsident

Den Vorsitzenden der afghanischen Wahlkommission, Azizullah Lodin, lässt die Kritik kalt. Er gilt als ein ausgemachter Parteigänger von Präsident Karsai. Dieser hat allen 40 Kandidaten per Dekret die Hilfe staatlicher Behörden und Dienste im Wahlkampf untersagt.

Dabei nutzt Karsai selbst ungeniert Regierungsapparat und Medien für die eigene Kampagne. Die allgegenwärtige Präsenz von Plakaten mit seinem Konterfei auf den Strassen des Landes ist erdrückend. Gleich mehrere Provinzgouverneure unterstützen ihn im Wahlkampf.

Obwohl viele Wähler in Kabul und auf dem Land Karsai heftig kritisieren, finden seine Anhänger, er sei der einzige Garant für gute Beziehungen zur internationalen Staatengemeinschaft. Nur er könne die nötigen Hilfsgelder nach Afghanistan holen.

Da die öffentliche Kritik der US-Regierung an Karsai in den letzten Monaten verstummt ist, hat es den Anschein, als hätten sich die Geberländer bereits auf Karsais Wiederwahl eingestellt oder zumindest damit abgefunden.

Teile und herrsche

Karsai hatte bereits vor Beginn der heißen Wahlkampfphase zahlreiche Vereinbarungen mit einflussreichen Warlords, Gouverneuren, Parteichefs sowie Stammesältesten geschlossen und diesen im Gegenzug politische Teilhabe an seiner Macht - im Fall seiner Wiederwahl - versprochen.

Afghanen vor Wahlplakaten in Kabul; Foto: Martin Gerner
Wochen vor Beginn der Präsidentschaftswahl gilt Amtsinhaber Hamid Karsai als klarer Favorit. Die 40 anderen Kandidaten - darunter auch zwei Frauen - können bestenfalls darauf hoffen, dass er die Mehrheit verfehlt. Dann würde eine Stichwahl fällig.

​​ Ganz sicher scheint sich Karsai seiner Sache dennoch nicht zu sein. Glaubt man den Einschätzungen von EU-Beobachtern, dann bestechen sowohl Karsai als auch sein vermutlich schärfster Rivale, der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah, Stammesälteste mit Geldsummen im vier- bis fünfstelligen Dollar-Bereich, um sich so deren Gunst zu erkaufen. In der Regel gelten die Wahlempfehlungen der Ältesten als verbindlich für den Stamm.

Das größte Hindernis stellt jedoch die angespannte Sicherheitslage dar, so dass vielerorts unklar ist, ob die Menschen auch tatsächlich wählen gehen. Die Regierung hat in vielen der etwa 100 Distrikte keine Autorität mehr. Diese sind teilweise oder ganz in den Händen von Aufständischen. Die Taliban haben zudem Repressalien gegen all jene angekündigt, die sich an dem Urnengang beteiligen.

Im Visier der Taliban

Zwar hat die staatliche Wahlkommission jedem der 41 Präsidentschaftskandidaten zum persönlichen Schutz bis zu 20 Leibwächter in Aussicht gestellt. Tausende von Kandidaten für die Provinzräte, die am gleichen Tag gewählt werden, sind dagegen für ihre Sicherheit selbst verantwortlich. "Ohne Schutz bin ich ein einfaches Ziel für die Taliban", beschwerte sich unlängst ein Kandidat aus der Provinz Helmand.

Unklar ist auch, ob die militärischen Offensiven der US-Armee und der von der NATO geführten Streitkräfte die für die Präsidentschaftswahl versprochene Sicherheit bringen. Im Süden, in den Provinzen Helmand, Kandahar, Uruzgan und Paktika, werden viele Menschen zuhause bleiben, prognostiziert Jandand Spinghar. Auch die jüngsten Kämpfe im nördlichen Kunduz, an denen deutsche ISAF-Kontingente beteiligt sind, dürften eher abschreckenden Charakter haben.

Abgeordnete in Kabul werfen dem afghanischen Präsidenten, Hamid Karsai, Amtsmißbrauch; Foto: AP
Protest gegen autoritäre Herrschaft: Abgeordnete in Kabul und auch Mitarbeiter der UN-Menschrechtskommission haben Präsident Karsai wiederholt Amtsmißbrauch vorgeworfen.

​​ "Die Verstärkung durch ausländisches Militär kommt viel zu spät, um für ein sichereres Umfeld zu sorgen", so Jandad Spinghar. "Wo diese Streitkräfte auftauchen, sichern sie das Terrain manchmal nur für Stunden oder Tage. Dann sind sie wieder weg, aber die Bevölkerung ist den Aufständischen umso stärker ausgesetzt."

In Mazar, wo sich das Zentrallager der Bundeswehr und der NATO-Truppen befindet, wurde vor kurzem ein Mitglied der afghanischen Wahlkommission erschossen. Viele Präsidentschaftskandidaten halten sich vor diesem Hintergrund mit Reisen in die Provinzen zurück.

Lethargie weit verbreitet

Die wenigsten Kandidaten haben ein wirkliches Wahlprogramm zu bieten. Ausnahmen sind Ex-Außenminister Abdullah, ein Tadschike und Augenarzt von Beruf, der für den Wechsel von einem Präsidial- zu einem parlamentarischen System eintritt. Ashraf Ghani, ehemaliger Finanzminister unter Karsai und heute dessen Kritiker, will Tausende neuer Arbeitsplätze schaffen. Seine Kampagne wendet sich gezielt an finanzstarke Afghanen im Ausland und an Frauen.

Wie in Deutschland ist die Politikverdrossenheit am Hindukusch groß, aufgrund der mangelnden Sicherheit und der weit verbreiteten Korruption ist die zarte Pflanze Demokratie nach wie vor gefährdet.

"Karsai und seine Regierung dienen nicht dem Volk, sondern arbeiten allein für ihren eigenen Vorteil", schimpft ein Taxifahrer in der Hauptstadt. "Schauen sie sich die Schlaglöcher auf der Straße an. Wir zahlen zwar Steuern, aber warum fließt dieses Geld nicht in eine bessere Infrastruktur?"

Karsais Kandidaten für das Amt als Vize-Präsidenten sind Usbeken-General Rashid Dostum und Karim Khalili. Beiden werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Die Obama-Regierung meint gar, Dostum sei ein Fall für das Haager UN-Tribunal.

Martin Gerner

© Qantara.de 2009

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