Ende des Prinzips "Weiter So"

Auf der Pariser Afghanistan-Konferenz wurden dem Land am Hindukusch weitere Hilfen in Milliardenhöhe zugesichert. Doch soll das Geld künftig zielgerichteter als bisher ausgegeben werden. Martin Gerner informiert.

Gruppenfoto auf der Afghanistan-Konferenz (links unten der afghanische Außenminister Spanta, rechts daneben der Aga Khan, in der Mitte hinten Hamid Karzai, unten rechts Bernard Kouchner); Foto: AP
Chancen für mehr Transparenz und eine effizientere Wirtschaftshilfe? Auf der Pariser Afghanistan-Konferenz trat Präsident Hamid Karzai erneut als Bittsteller auf.

​​Im Unterschied zu früheren Geberkonferenzen ging es in Paris nicht nur um Geld und finanzielle Zuwendung, sondern auch um ein anderes wertvolles Gut: das Vertrauen.

Einer jüngsten Studie der unabhängigen Organisation "Integrity Watch Afghanistan" zufolge findet sich nur einer von drei Afghanen ausreichend einbezogen in den durch die internationalen Akteure gesteuerten Wiederaufbau.

Das Empfinden, nicht ausreichend konsultiert zu werden und nicht genügend mitentscheiden zu können, entlädt sich zunehmend in Misstrauen und Skepsis den Helfern gegenüber.

"Wir können unsere Prioritäten und Pläne am Besten selbst umsetzen", sagt eine Anwältin für Frauenrechte in Herat trotzig, "wir brauchen dazu keine Anleitung von Draußen."

Exorbitante Missverhältnisse

Diese Aussage gibt nicht unbedingt die allgemeine Stimmung im Land wieder. Aber die meisten Afghanen sind davon überzeugt, dass ein Großteil der Hilfsgelder den Ausländern selbst zugute kommt: für ihre Autos, Häuser und vielfach überhöhte Gehälter.

Berater internationaler Organisationen verdienen in manchen Fällen sage und schreibe das Tausendfache ihrer afghanischen Mitarbeiter. Ein Missverhältnis, das vor dem Hintergrund steigender Preise und einer Arbeitslosigkeit von mehr als 40 Prozent im Land kaum mehr vermittelbar ist.

Mehrere Studien, die zur Pariser Konferenz erschienen sind, kritisieren, dass nach wie vor zwei Drittel der Hilfsgelder an der afghanischen Regierung vorbeigeschleust würden.

Aber das Argument vieler Geberländer, aus Angst vor Korruption nur einen geringen Teil der Gelder in die Hände der afghanischen Regierung überantworten zu wollen, ist nur bedingt wasserdicht.

"Wenn lediglich 25 Prozent der Gelder von der Regierung Karsai verwaltet werden", so eine internationale Beobachterin, "woher kommt dann die Korruption?"

Rechenschaft – auch für die Helfer

Südkoreanischer Arzt untersucht einen Patienten in der U.S. Air Base in Bagram, nördlich von Kabul; Foto: AP
"It's the aid money, stupid!" Aufgrund mangelnden Vertrauens werden rund zwei Drittel der Hilfsgelder an der afghanischen Regierung vorbeigeschleust.

​​Hier birgt die Pariser Konferenz die Chance auf mehr Transparenz. Endlich, so steht es im Abschlussdokument, sind auch die internationalen Akteure aufgerufen, ernsthaft, transparent und lückenlos über ihre Ausgaben Rechenschaft abzulegen.

Im vergangenen Jahr standen beispielsweise statistisch gesehen für jeden Einwohner von Kabul 400 Euro zur Verfügung; das Geld versickerte indessen in dunklen Kanälen.

Derartige Missstände sollen durch die neu angeordneten Maßnahmen zukünftig ausgeschlossen werden können; des Weiteren sollen auch gemischt besetzte afghanisch-internationale Anhörungskommissionen mangelnder Transparenz auf den Grund gehen.

Geberländer und Vereinte Nationen tragen nach Ansicht von Präsident Karsai die Schuld daran, dass viele Parallelstrukturen den Aufbau unabhängiger Organisationen unterminieren. Karsai selbst hatte sich unlängst erfolgreich gewehrt gegen einen zu mächtigen UN-Sonderbeauftragten an seiner Seite in Kabul.

Spezialeinheit zur Bekämpfung der Korruption

Zugleich verspricht seine Regierung, vor der eigenen Haustür zu kehren. Unmittelbar nach Rückkehr in Kabul kündigte Karsai die Bildung einer Spezialeinheit zur Bekämpfung der Korruption an.

Umfragen zufolge ist das Vertrauen der Bevölkerung in eine Reihe von Ministerien, die mit der Vergabe von Hilfsgeldern betraut sind, auf einem Tiefpunkt.Geht es nach Karsai, soll der neue Fünfjahresplan Afghanistan bis 2013 landwirtschaftlich bei der Getreideversorgung autark machen.

Mehr noch: Afghanistan soll zu einer Exportnation werden. Kritiker halten dieses Ziel, das nicht im Abschlussdokument steht, für ebenso ambitioniert wie unrealistisch.

Energie und Bildung

Im Energiesektor, dem mit dem Pariser Dokument ebenfalls Priorität zukommt, scheint mehr möglich. "Afghanistan verfügt über Reserven an Öl und Erdgas, sowie an Kohle und Wasser, die noch längst nicht ausgeschöpft sind", so Karsai in Paris.

Internationale Experten sehen das ähnlich. Hier wird es darauf ankommen, die Ressourcen gezielt und rasch dem afghanischen Verbraucher zugänglich zu machen.

Ein weiteres Schlüsselwort heißt Bildung. Paris legt zu Recht einen Fokus darauf. Bisher gibt es für viele der Abiturienten in Afghanistan keinen Studienplatz. Noch kann kein Student in der Heimat seinen Master-Abschluss machen.

Und in vielen der neuen Schulen fehlt es an Lehrern. Bei einer Bevölkerung, die zur Hälfte jünger als 18 Jahre ist, birgt dies zugleich das Risiko, dass jene, die ohne Perspektive sind, politisch verführbar und radikalisierbar bleiben.

Am Tag nach der Pariser Konferenz griffen Taliban erfolgreich das Zentralgefängnis von Kandahar an und befreiten in einem spektakulären Übergriff an die 900 inhaftierten Gesinnungsgenossen.

Dieser Vorgang symbolisiert, dass die meisten der in Paris formulierten Ziele hochfahrende Ambitionen bleiben, wenn Regierung und die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage sind, die innere Sicherheit langfristig zu etablieren.

Martin Gerner

© Qantara.de 2008

Qantara.de

Journalisten in Afghanistan in Bedrängnis
Gibt Karsai die Pressefreiheit auf?
Die Situation von Journalisten in Afghanistan wird schwieriger. Entführungen und Morde häufen sich, von offizieller Seite wird die Pressefreiheit immer stärker eingeschränkt, wie Martin Gerner aus Kabul berichtet.

Fehler beim Wiederaufbau in Afghanistan
Zeitbombe Hindukusch
Die Situation in Afghanistan verschlechtert sich zunehmend. Die Taliban gewinnen täglich an Boden zurück und der Wiederaufbau geht bestenfalls schleppend voran. Martin Gerner berichtet.

Wiederaufbau Afghanistans
Missmanagement und fehlende Transparenz
Nachdem die Ziele des Bonner Petersberg-Abkommens auf dem Papier erfüllt sind, gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die Geberländer von Afghanistan abwenden. Dabei entscheiden gerade die kommenden Monate darüber, ob der Wiederaufbau langfristig gelingen kann. Von Martin Gerner