Die Wüste als Inspiration
Jordanische Musikschaffende, lange Zeit eher folkloristisch orientiert, suchen seit einigen Jahren unüberhörbar den Anschluss an die globale Szene. Der Pianist und Akkordeonspieler Tareq Al Nasser mit seinem west-östlichen Ensemble "Rum" ist ein prominenter Vertreter dieses neuen Trends. Martina Sabra hat die Band in Köln getroffen.
Wadi Rum, die erhabene und emotional aufwühlende Wüstenlandschaft in Südjordanien, stand Pate, als die jordanische Flötensolistin Russol Al Nasser und ihr Bruder Tareq in Amman 1998 gemeinsam das Ensemble "Rum" gründeten.
Damals waren die Geschwister überhaupt nicht sicher, ob ihr arabisch-globaler Weltmusikmix beim reichlich konservativen jordanischen Publikum ankommen würde. Mittlerweile jedoch ist die Band in Jordanien und in den arabischen Nachbarländern auf vielen Festivals zu Gast, und nachdem jetzt das erste internationale Album der Gruppe erschienen ist ("Urdon"), beginnt man sich auch in Europa für "Rum" zu interessieren.
Genau genommen ist "Rum" keine Band, sondern eher ein Orchester, bestehend aus insgesamt 20 Amateur- und Profi-Musikern und Musikerinnen, die in wechselnden Zusammensetzungen auftreten und die sowohl mit ihren Instrumenten als mit ihren musikalischen Genres ein breites Spektrum westlicher und orientalisch-arabischer Musik abdecken:
Unter anderem werden E-Piano, Akkordeon, Nay, Ud, E-Bass, Trompete, Saxofon, orientalische Perkussion, westliche Drums und vocals eingesetzt, um arabische Musik mit Elementen aus Jazz, Blues, Reggae und lateinamerikanischen Rhythmen zu mixen.
Ein Autodidakt auf dem Akkordeon
"Unsere Musik hat keine bestimmte Nationalität, keinen Pass", sagt Tareq Al Nasser. "Wir machen Musik als Menschen für Menschen, das ist alles. Alle Musiktraditionen der Welt, egal wo sie entstanden sind, gehören allen Menschen. Wir bringen einfach ein paar Elemente so zusammen, dass es gut klingt und Spaß macht."
Nachdem Russol Al Nasser, die Gründerin von "Rum", ihre Auftritte aus familiären Gründen für einige Zeit reduziert hat und sich von zuhause in Jordanien aus hauptsächlich ums Management kümmert, hat ihr Bruder Tareq Al Nasser die Aufgabe übernommen, "Rum" über Jordanien und die arabische Welt hinaus auch im Westen bekannt zu machen. Der Akkordeonsolist und Keyboarder blickt auf eine bemerkenswerte Karriere zurück.
1969 geboren, wuchs Tareq zwar in einer Künstler- und Musikerfamilie auf, doch im Gegensatz zu seiner ein Jahr älteren Schwester Russol zeigte er – abgesehen von ein paar Takten auf der arabischen Laute - zunächst nur mäßiges Interesse an Musik. Erst mit 16 Jahren entdeckte er das Akkordeon, das er sich ohne fremde Hilfe beibrachte.
Später erarbeitete er sich – ebenfalls als Autodidakt – das Keyboard und verschaffte sich auf eigene Faust die Kenntnisse in Komposition und Harmonielehre, die er brauchte, um erfolgreiche Film- und Fernsehmusik zu schreiben.
Arabische und lateinamerikanische Elemente
Mittlerweile ist Al Nasser nicht nur ein bekannter Filmkomponist, sondern schreibt auch die meisten Stücke für "Rum" selbst. Nicht immer gelingt es ihm dabei, die Filmmusik wirklich als Genre hinter sich zu lassen. Manche Phrasen auf dem Album "Mosaik" wirken überdehnt und emphatisch; manche Melodien kommen arg hymnisch, manche Arrangements reichlich dramatisch, wenn nicht sentimental daher.
Und nicht nur die Qualität der Kompositionen schwankt, sondern auch die der Mitglieder des Ensembles: während der Nay-Spieler Nur Abu Haltam und der orientalische Perkussionist Shadi Khries sich musikalisch auf hohem Niveau bewegen, würde man auf die Beiträge der Vokalistin Sahar Khalifa stellenweise am liebsten verzichten.
Insgesamt haben die Musiker von "Rum" viel zu wenig Raum für ihre Persönlichkeiten geschweige denn für spontane Kreativität. Die Performance von "Rum" wirkt deshalb phasenweise reichlich aseptisch. Dennoch besitzt "Rum" musikalisches Potential. Vor allem dort, wo arabische und lateinamerikanische Elemente zusammentreffen, geht die Musik unter die Haut.
Jordanische Kultur nach außen tragen
Last not least beweist die schiere Existenz von "Rum" einmal mehr, dass Jordanien den kulturellen Mief früherer Jahre endgültig überwunden hat.
"Es gab immer einzelne kosmopolitische Kulturschaffende in Jordanien", sagt Tareq Al Nasser. "Aber sie waren eine winzige Minderheit, die kaum nennenswerten Einfluss ausübte. Heute hat sich das geändert. Sowohl der jordanische Staat als auch jordanische Privatleute tun wirklich viel für die Kultur. Man will einfach klarmachen, dass sie sich der globalen Kultur zugehörig fühlt."
Und Musik, könnte man Tareq Al Nasser ergänzen, ist ein hervorragendes Medium, um diese Botschaft zu transportieren.
Martina Sabra
© Qantara.de 2006
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