An den Grenzen des Sichtbaren

Die zeitgenössische türkische Fotografie ist nicht nur ungemein lebendig und vielfältig sondern auch sehr politisch. Das zeigt eine umfangreiche Gruppenausstellung unter dem Titel "A Pillar of Smoke" im südfranzösischen Arles. Felix Koltermann hat die Ausstellung besucht.

Von Felix Koltermann

Welche Rolle können die visuellen Künste in einem Land spielen, in dem die Meinungsfreiheit bedroht ist? Dieser Frage gehen die Istanbuler Kuratorin Ilgın Deniz Akseloğlu und der Pariser Kurator Yann Perreau mit der Ausstellung "A Pillar of Smoke" nach. Die Ausstellung, die Teil des französischen Fotofestivals "Les Rencontres D'Arles" ist, zeigt die Arbeiten von 14 Fotografinnen und Fotografen sowie zwei Kollektiven, die in ihren Arbeiten auf vielfältige Art und Weise die zeitgenössische Türkei porträtieren.

Geboren zwischen Anfang der 1970er und Mitte der 1990er Jahre bekommt damit eine Generation eine Plattform, welche den vielfältigen Wandel des Landes zwischen Autoritarismus und politischer Öffnung hautnah miterlebt hat.

Perreau will mit der Ausstellung das Verhältnis zwischen visuellen Künsten und Fotojournalismus ausloten. Dementsprechend könnten die einzelnen Arbeiten sowohl thematisch als auch gestalterisch kaum vielfältiger sein.

 So finden sich klassische fotojournalistische Arbeiten in Farbe neben künstlerischen Serien in schwarz-weiß, Video-Installationen neben Found Footage von Instagram. Geografisch werden die Besucher auf eine Reise vom kurdischen Diyarbakir im Südosten zu den Istanbuler Slums im Westen und der Stadt Trabzon an der Schwarzmeerküste im Norden des Landes geschickt. Raffiniert wird dabei die Auseinandersetzung über die kurdische Frage und den Syrienkrieg mit der innenpolitischen Suche nach Stabilität verwebt.

Der Körper als umkämpfte Ressource

Die Aufnahme, die der Ausstellung ihren Namen gab. "Sand im Wirbelwind", 2015, von Sinem Disli; Ausstellung "A Pillar of Smoke" (Foto: mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)
Dämme über den Euphrat haben zu einer ungleichen Wasserverteilung in Syrien, Irak und der Türkei geführt. Die Verschwendung von Wasser und Boden in Urfa hat in der südlichen Grenzregion der Türkei eine Versteppung ausgelöst. Die Folge sind vermehrte Sandstürme die von Zeit zu Zeit aus den wüstenähnlichen Regionen des Mittleren Osten kommen. Sie erinnern uns daran, dass die Natur ein Ganzes ohne Grenzen ist.

Verstörend und gleichzeitig höchst faszinierend ist der umfangreiche Werkkomplex "Control" von Çağdaş Erdoğan, dessen schwarz-weiße Fotografien aus den Istanbuler Nächten in einem Raum mit schwarzen Wänden in Szene gesetzt werden. Rahmenlos in einer Art Petersburger Hängung an die Wand plakatiert, geht es ohne Pause von illegalen Hundekämpfen direkt zu bewaffneten Gangs und gewalttätigen Sexparties.

Die Körper werden hier zu einer umkämpften Ressource, hin- und hergerissen zwischen Kontrolle, Widerstand und Selbstaufgabe. Für Erdoğan ist es Ausdruck des politischen Klimas, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Subkulturen die Dunkelheit der Nacht suchen.

Am Fall von Erdoğan, der Mitglied des Journalistenkollektives 140 journos ist, wird auch deutlich, wie fragil der Raum zwischen künstlerischer Freiheit und politischer Repression ist. Im Jahr 2017 wurde er am helllichten Tag beim Fotografieren in einem Istanbuler Park verhaftet. Aus Versehen hatte er ein nicht gekennzeichnetes Haus des türkischen Geheimdienstes fotografiert.

Begründet wurde seine Verhaftung mit dem altbekannten Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. In der Ausstellung ist ein Brief abgedruckt, den er aus dem Gefängnis schrieb. Nach sechsmonatiger Untersuchungshaft, in der er viel internationale Unterstützung erfuhr, wurde er im Februar 2018 aus der Haft entlassen.Die Macht der Bilder

In der Ausstellung vertreten, ist auch das renommierte, 2003 gegründete Fotojournalistenkollektiv Nar Photos. Gezeigt werden drei großformatige Bilder der Gezi Serie aus dem Jahr 2013, auf denen Demonstranten zu sehen sind, die massiver Polizeigewalt ausgesetzt sind.

Ausstellungsplakat zu "Arles 2018: Les Rencontres de la Photographie" (Quelle: www.billetterie-rencontres-arles.com)
Welche Rolle spielen die visuellen Künste in Zeiten der Repression: Dieser Frage gehen die Istanbuler Kuratorin Ilgın Deniz Akseloğlu und der Pariser Kurator Yann Perreau mit der Ausstellung "A Pillar of Smoke" nach. Die Ausstellung, die Teil des französischen Fotofestivals "Les Rencontres D'Arles" ist, zeigt die Arbeiten von 14 Fotografinnen und Fotografen sowie zwei Kollektiven, die in ihren Arbeiten auf vielfältige Art und Weise die zeitgenössische Türkei porträtieren.

Ungewöhnlich für eine fotojournalistische Serie ist der Verzicht auf Bildunterschriften, worüber jedoch der Begleittext aufklärt. Die drei Bilder gehörten zu einer achtteiligen Serie, die 2014 im Museum Istanbul Modern ausgestellt werden sollte. Die Museumsleitung verlangte jedoch, sie abzuhängen. Im Geist des Gezi-Protests werden die drei Bilder deswegen als Zeichen des Protestes ohne Zuordnung zu einem einzelnen Fotografen als Kollektivarbeit präsentiert.

Herausragend aufgrund ihrer konzeptionellen Stringenz und der damit verbundenen Aussagekraft sind die beiden Video-Arbeiten "Prison" und "School" von Ali Kazma aus der Serie "Resistance" von 2013. In fotografisch anmutenden, statischen Videobildern zeigt Kazma die menschenleeren Innenräume von öffentlichen Schul- und Gefängnisbauten und legt dabei frappierende visuelle Ähnlichkeiten offen. Die gezeigten Aufenthaltsräume, Mensen oder Kinosäle sind selbst auf den zweiten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Beide Orte sind von der Allgegenwart symbolischer politischer Macht geprägt, unter anderem durch Porträts des Republikgründers Atatürk.

Der inszenierten Fotografie hat sich die in Istanbul lebende Künstlerin Nilbar Güres verschrieben. Von ihr sind in Arles mehrere Bilder aus ihren Serien "TrabZONE" und "Çiçir" zu sehen. Das Bild "The Living Room" beispielsweise zeigt ein typisches Wohnzimmer mit großer Couchecke, in der vier Personen sitzen.

Zu sehen sind jedoch nur die Beine und Füße, die unter den Überwürfen herausschauen. Auf die Überwürfe sind Cocktailkleider drapiert, mit denen auf das Geschlecht der Dargestellten verwiesen wird. Güres verhandelt hier Fragen nach Geschlechteridentität sowie Sicht- und Unsichtbarkeit.

Für den Leiter der "Rencontres D'Arles", Sam Stourdzé, liegt die Bedeutung der Ausstellung darin, eine Tradition des Festivals fortzuführen und den Blick auch auf außereuropäische fotografische Traditionen zu richten. An den Arbeiten aus der Türkei überzeuge ihn, dass die gezeigten Künstler hervorragend die zeitgenössische visuelle Bildsprache inkorporieren und gleichzeitig tief in die komplexe lokale Situation eintauchen. Nachdem im vergangenen Jahr der iranischen Fotografie ein Forum gegeben wurde, bleibt zu hoffen, dass 2019 erneut ein Land aus dem Nahen oder Mittleren Osten fotografisch gewürdigt wird.

 

Felix Koltermann

© Qantara.de 2018

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. September in der Maison des Peintres in Arles zu sehen (täglich 10-19:30 Uhr).