Perspektiven schaffen trotz Blockade

Das Leben im Schatten der Gaza-Blockade erfordert häufig Kreativität und Innovation. Agraringenieur Azem Abu Daqqa und Pharmazeut Fidaa Abu Alyan sind zwei von tausenden Universitätsabsolvent*innen, die den Herausforderungen und mangelnden Jobchancen im Gazastreifen mit eigenen technologischen Initiativen entgegentreten: hydroponischem Anbau und Pflanzenextraktion.
Das Leben im Schatten der Gaza-Blockade erfordert häufig Kreativität und Innovation. Agraringenieur Azem Abu Daqqa und Pharmazeut Fidaa Abu Alyan sind zwei von tausenden Universitätsabsolvent*innen, die den Herausforderungen und mangelnden Jobchancen im Gazastreifen mit eigenen technologischen Initiativen entgegentreten: hydroponischem Anbau und Pflanzenextraktion.

In Gaza verfolgen der Agraringenieur Azem Abu Daqqa und der Pharmazeut Fidaa Abu Alyan trotz der schwierigen Situation hartnäckig ihre Projekte. Mit der neuen landwirtschaftlichen Methode Hydroponik und der Gewinnung von biologischen Pflanzenölen trotzen sie kreativ der israelischen Blockade und versuchen, der jungen Generation Mut machen. Ein Bericht aus Gaza.

Mit Zuversicht betrachtet Azem Abu Daqqa die Früchte seiner harten Arbeit: Vor sich sieht er Tausende von Salatköpfen, die er bald auf den lokalen Märkten verkaufen wird. Im Januar 2019 baute der Agraringenieur erstmals hydroponisch – also ohne Erdboden – rund 3000 Salatpflanzen in seinem 200 Quadratmeter großen Gewächshaus an. Ein vielversprechendes Projekt, wie es in den besetzten Gebieten Palästinas bislang nur selten anzutreffen ist.



Abu Daqqa kann deshalb wohl zurecht behaupten, mit seinem Projekt bei Null angefangen zu haben. Unterstützung erhielt er vor allem von seiner Schwester Safiyya, ebenfalls Agraringenieurin, mit der er gemeinsam vor wenigen Monaten die erste Ernte auf den Markt bringen konnte. Zufrieden gingen die beiden mit ihren Einnahmen nach Hause – die Mühen hatten sich gelohnt. Dies habe ihn ermutigt, sein Projekt weiter auszubauen, wie er sagt.

Die Vorteile eines Anbaus ohne Erdboden

Abu Daqqa zählt die vielen Vorteile eines Anbaus ohne Erdboden auf, zum Beispiel den größeren Ertrag auf kleinerer Fläche. Für die Menge an Salaten, die er in seinem relativ kleinen Gewächshaus angebaut hat, brauche man in der traditionellen Landwirtschaft eine Fläche von rund 1500 Quadratmetern. Die hydroponische Pflanzenzucht werfe zudem in einem zweieinhalb Mal kürzeren Anbauzeitraum doppelt so viele Erträge ab als der Feldbau.

Hydroponik ist eine im Gazastreifen noch sehr neue Technologie, bei der kein Erdboden verwendet wird und bis zu 90 Prozent Wasser gespart werden kann. Diese Tatsache beschreibt die Hilfsorganisation Union of Agricultural Work Committees auf ihrer Webseite als besonders wertvoll für den Gazastreifen. Denn Gaza leide nicht nur an Wasserknappheit, sondern auch an einem Schwund nutzbarer Böden. Außerdem ließen sich durch Hydroponik mehr und gesündere Lebensmittel produzieren, da keinerlei Pestizide oder industriell produzierte Hormone für die Bearbeitung der Böden notwendig seien.

Hydroponik in Gaza; Foto: Afaq
Ein Anbau von Gemüse ohne Erdboden hat viele Vorteile. Auf kleinerer Fläche lassen sich höhere Erträge erzielen. Für die Menge an Salaten, die der Agraringenieur Abu Daqqa in seinem relativ kleinen Gewächshaus angebaut hat, braucht man in der traditionellen Landwirtschaft eine Fläche von rund 1500 Quadratmetern. Außerdem sind in einem zweieinhalb Mal kürzeren Anbauzeitraum doppelt so viele Erträge möglich als beim Feldbau.

Die Hydroponik-Anlage von Abu Daqqas sieht wie folgt aus: Auf einem Eisengestell sind hintereinander zahlreiche breite Metallröhren befestigt. Sie befinden sich in der Schräglage, damit das hindurchfließende Wasser mit den Wurzeln der Jungpflanzen in Kontakt kommt. Die Pflänzchen wiederum ruhen in perforierten Plastikbechern, die das Eindringen von Wasser und das Ausdehnen der Wurzeln ermöglichen. Es handelt sich um einen geschlossenen Wasserkreislauf, bei dem das Wasser immer wieder über einen Abfluss zurück ins Pumpreservoir gelangt, wo der für die Pflanzen notwendige Sauerstoff erneuert wird.



„Für dieses System brauchen wir keine Pestizide und chemischen Düngemittel, wie sie in der traditionellen Landwirtschaft verwendet werden“, erklärt Abu Daqqa zufrieden. „Stattdessen versorgen wir die Salate mit rein natürlichen Nährstoffen“.



Damit die Salatpflänzchen in den Plastikbechern auch ohne Erde stabil stehen, wird ein Substrat verwendet. Abu Daqqa hat sich für Lavastein entschieden, der die Wurzeln nicht nur fixiert, sondern auch Feuchtigkeit spendet.

Von den drei Pflanzenarten, die sich mit den Methoden der Hydroponik anbauen lassen, konzentriert sich Abu Daqqa derzeit auf sommerliches Blattgemüse wie Salat. Da er hier bereits Erfolge erzielt hat, möchte er irgendwann sein Projekt um Obstanbau erweitern. Er weiß jedoch, dass dafür ein größeres System notwendig ist, für das ihm derzeit noch die Möglichkeiten fehlen.



Aber Unterstützung scheint in Sicht: Das Landwirtschaftsministerium in Gaza kündigte kürzlich an, Hydroponik-Projekte zu fördern, indem Wasser, Dünger und Anbauflächen zur Verfügung gestellt werden sollen. So wolle man unter anderem den erheblichen Herausforderungen der Zersiedlung und des steigenden Bedarfs an Wasser und Ressourcen für eine wachsende Bevölkerung entgegentreten.

Wo die Schwierigkeiten liegen

Jeder Anfang ist schwer. Und Abu Daqqa gibt zu, dass der Anfang seines Projekts „sehr schwer“ war, da er bei Null anfangen musste. Glücklicherweise konnte er sich jedoch auf die Hilfe von Familie und Freunden sowie den Rat zweier Experten verlassen.



Er berichtet: „Am Anfang bestand das Problem, dass einige Dinge in Gaza einfach nicht zur Verfügung standen, wie zum Beispiel fertig perforierte Becher. Das musste ich also manuell machen – 3000 Becher für eine entsprechende Anzahl von Salatpflanzen“. Eine langwierige und schwierige Prozedur. Nützliche Nitrate hätten ebenso wenig zur Verfügung gestanden, da Israel ihre Einfuhr in den Gazastreifen unter dem Vorwand der Sicherheit nicht gestatte.

Hydroponik im Gewächshaus von Azem Abu Daqqa im südlichen Gazastreifen; Foto: Afaq
Ein Anbau von Gemüse ohne Erdboden hat viele Vorteile. Auf kleinerer Fläche lassen sich höhere Erträge erzielen. Für die Menge an Salaten, die der Agraringenieur Abu Daqqa in seinem relativ kleinen Gewächshaus angebaut hat, braucht man in der traditionellen Landwirtschaft eine Fläche von rund 1500 Quadratmetern. Außerdem sind in einem zweieinhalb Mal kürzeren Anbauzeitraum doppelt so viele Erträge möglich als beim Feldbau.

Auch seien die Anfangskosten für den hydroponischen Anbau höher als in der traditionellen Landwirtschaft. Die Vorteile zeigten sich erst später, wenn nicht nur die Kosten, sondern auch der Bedarf an Wasser, Zeit und Arbeitskraft deutlich zurückgehen.



Das Projekt von Abu Daqqas erhält derzeit finanzielle Unterstützung vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und Save the Children International sowie praktische Hilfe von der Organisation Save Youth Future Society.

Ein Pharmazeut trotzt der Gaza-Blockade

Seit 13 Jahren verwehrt Israel Tausenden von Palästinensern aus dem Gazastreifen die Reise ins Ausland, auch die Ausreise zur Weiterbildung in ihren Fachgebieten oder zur Werbung für ihre Projekte ist nicht möglich. Gleichzeitig verbietet Israel auch die Einreise ausländischer Experten nach Gaza. Dieser Umstand ist für Universitätsabsolventen und Spezialisten auf den verschiedenen Fachgebieten und den Wissenschaftsbetrieb insgesamt äußerst nachteilig.



Nicht weit entfernt vom Hydroponik-Betrieb des unbeirrbaren Ingenieurs Abu Daqqa lebt der Labormediziner Fidaa Abu Alyan. Auch er wollte sich von den israelischen Restriktionen nicht aufhalten lassen und baute kurzerhand sein eigenes Gerät zur Gewinnung von Ölen aus Samen, Wurzeln oder Blättern von Heil- und Aromapflanzen.

Zuvor hatte der studierte Pharmazeut mehrfach ohne Erfolg versucht, solche Geräte zu importieren. Nach eingehender Recherche zu Aufbau und Funktionsweise, gelang es ihm jedoch, aus in Gaza verfügbaren Mitteln, ein eigenes Gerät zu entwickeln. Parallel dazu hatte er bereits begonnen, Kräuter sowie Heil- und Aromapflanzen biologisch, also ohne chemische Düngemittel, anzubauen. In der nächsten Phase konnte er nun die Öle extrahieren.

Dabei hatte er Erfolg bei der Extraktion von Essenzen aus Samen und Blättern, unter anderem von Minze, Rizinus, Thymian, Salbei, Kamille, Salat, Fenchel, Mandel und Aloe Vera. Besonders stolz war Abu Alyan auf sein Sesamöl, das in Gaza sehr gerne gegen Erkältungen und für die Behandlung von kranken Kindern eingesetzt wird.

Nur der Anfang

Abu Alyan betont, dass das Gerät, wie der Bau einer Fabrik, nur den Anfang darstelle. Nun wolle er sein Projekt weiterentwickeln und in den Dienst der Menschen von Gaza stellen. Immerhin sei die Region, wie er sagt, reich an Heil- und Aromapflanzen und das Klima sehr gut für ihren Anbau geeignet.



Und Ingenieur Abu Daqqa? Für ihn stand am Anfang seines Projekts die Überzeugung, dass jeder Mensch einen ganz individuellen Beitrag für die Gesellschaft leisten könne und zwar allein mit den Mitteln, die ihm lokal zur Verfügung stehen. Mit dieser Logik kam er zur Hydroponik, die genau zu seinem Spezialgebiet passte.



Abu Daqqa glaubt, dass sich Hydroponik wie auch urbane Landwirtschaft im Gazastreifen mit vernünftiger Planung auf lange Sicht stärker durchsetzen könnten. Hier müsste es auch von institutioneller Seite mehr Unterstützung für solche Projekte wie seines geben. Vor allem aber seien erst einmal die Bauern davon zu überzeugen, zur Hydroponik überzugehen – es zumindest mal zu versuchen, die Idee weiterzuentwickeln und sich weiterzubilden.



Ein abschließender Appell Abu Alyans an die jungen Menschen seiner Generation lautet, nicht angesichts der düsteren Realität zu verzweifeln und aufzugeben. Sie hätten die Möglichkeit, an den verschiedenen Stationen ihres Lebens ihre positiven Spuren zu hinterlassen. Trotz aller Schwierigkeiten gebe es „in unserem Land auch viel Gutes“.

Aus dem Englischen von Jana Duman

Der Artikel wurde zuerst im Afaq Magazine, dem führenden Umweltmagazin Palästinas, veröffentlicht.

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