Alle gegen einen?
Mit der Registrierung der Kandidaten ist Anfang Mai in Iran der offizielle Startschuss für einen längst entbrannten Wahlkampf gefallen. Inflation, Arbeitslosigkeit und verpulverte Rekordeinnahmen aus der Ölförderung heizen die Unzufriedenheit mit der Bilanz von Ahmadinejad an.
Zudem hatte der Präsident mit seinem Auftritt bei der Antirassismuskonferenz in Genf gezeigt, dass er auch auf internationaler Ebene keine ruhigeren Gewässer ansteuert.
Kann Ahmadinejad also eine zweite Amtszeit erreichen? Höchste Zeit für einen Wechsel, meinen seine Herausforderer und begründen ihre Kandidatur quer durch das politische Spektrum mit der "Sorge um die Nation".
Programmatischer Spagat
Die Mehrzahl der Reformparteien – einschließlich ihres ursprünglichen Favoriten, Ex-Präsident Khatami – unterstützt inzwischen Mir-Hossein Mussavi. Der frühere Premierminister beruft sich nach 20 Jahren politischer Abstinenz auf seine erfolgreiche Führung des Landes während des achtjährigen Iran-Irakkrieg.
Er spricht die Belange der einfachen Bevölkerung an und greift damit erkennbar nach dem Publikum von Ahmadinejad. Gleichzeitig stellt Mussavi mehr Öffnung in Aussicht: er will die Sittenpolizei aus den Straßen verbannen und private Fernsehsender zulassen.
Mit diesem programmatischen Spagat stellt der 67jährige für einen Teil der Wähler jedoch seine Glaubwürdigkeit in Frage. Gerade den Jüngeren erscheint sein von der Revolutionszeit geprägtes Vokabular fremd. Einige iranische Blogger debattierten, ob Mussavi überhaupt zum Reformlager zu zählen sei.
Er selbst bezeichnet sich als "Reformer, der zu den Prinzipien der Revolution zurückkehrt" und sucht so Anschluss zu den Konservativen, die unter dem Banner der "Prinzipientreue" antreten. Tatsächlich sind hier einige bereit, den früheren Gefährten Khomeinis zu unterstützen.
Rückenwind durch Irans Reformbewegung
Weitaus prägnanter wirken da die Positionen des zweiten Reformkandidaten, Mehdi Karrubi. Der 71jährige Geistliche nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er für eine Stärkung der Bürgerrechte eintritt oder den ultrakonservativen Wächterrat wegen dessen Einmischung in die Wahlen attackiert.
Dank seiner Beharrlichkeit hat Karrubi den Beistand prominenter Personen der Reformbewegung gewonnen. Unterstützung kam selbst von Seiten des iranischen Philosophen Abdolkarim Soroush, dessen Schriften eine Grundlage für die Forderung nach Demokratisierung der Islamischen Republik lieferten.
War anfänglich noch von einer Einigung der zwei Reformer die Rede, so scheint nun klar, dass beide bis zum Schluss im Rennen bleiben. Befürchtungen, sie würden sich gegenseitig Stimmen wegnehmen, weist der frühere Vizepräsident Mohammad Abtahi in der Zeitung "Etemad-e Melli" zurück: "Karrubi und Mussavi können jeweils die Stimmen unterschiedlicher Wählergruppen anziehen".
Mit der Wahlbeteiligung steige auch die Aussicht, einen der beiden in der zweiten Runde der Wahlen zu sehen.
Laut Gesetz muss ein Kandidat nämlich mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen gewinnen, sonst kommt es zu einem Stechen zwischen den zwei Spitzenreitern. Im Duell mit Ahmadinejad rechnen sich die Reformkandidaten gute Chancen aus.
Die Unzufriedenheit der Bevölkerung könnte sich mit einem Schlag gegen den Präsidenten wenden. Der Journalist Akbar Montajebi erklärt in seinem Weblog sogar, die eigentliche Entscheidung falle mittlerweile nur noch zwischen Karrubi und Mussavi.
Gedämpfte Stimmung bei den Konservativen
Im konservativen Lager hingegen herrscht gedämpfte Stimmung. Die gemäßigten Prinzipientreuen, die bei den letzten Parlamentswahlen eine Mehrheit der Sitze gewonnen haben, konnten sich bislang nicht durchringen, eine zweite Amtszeit Ahmadinejads öffentlich zu befürworten.
Sowohl Parlamentspräsident Laridjani als auch der Teheraner Bürgermeister Ghalibaf – beide ausgesprochene Kritiker des Präsidenten – hüllen sich in Schweigen. Der konservative Klerus hält seine Präferenzen ebenfalls zurück.
Einziger Herausforderer aus dieser Fraktion ist somit Mohsen Rezai. Der vormalige Chef der Revolutionsgarden attackiert Missmanagement und außenpolitische Provokationen Ahmadinejads.
Er vertritt die Idee einer "Koalitionsregierung", in der fähige Kräfte Platz finden, um das Land aus der Krise zu holen. Die Chancen des 54jährigen sind jedoch ungewiss. Selbst seine Mitstreiter aus dem eigenen Lager halten sich mit Beistandsbekundungen zurück.
Im Dunkeln bleibt auch die Haltung des obersten Revolutionsführers. Khamenei schien lange Zeit ein Faible für den hitzköpfigen Präsidenten zu haben und signalisierte ihm seine Gunst.
In den letzten Monaten erklärte er allerdings mehrfach, keinen speziellen Kandidaten zu bevorzugen. Dies muss aber keine Distanzierung von Ahmadinejad bedeuten. Im Jahr 2005 hatte Khamenei erst wenige Tage vor der Wahl einen Vorzug für den bis dahin kaum beachteten Kandidaten erkennen lassen.
Ahmadinejads Siegeswille
Gleichwohl sind die Aussichten des Amtsinhabers – ebenso wie sein Siegeswille – nicht zu unterschätzen. Ahmadinejad baut auf die Unterstützung der mächtigen Revolutionsgarden und des Wächterrats, der verfassungsgemäß die Wahlen überwacht.
Auch das Staatsfernsehen steht auf seiner Seite und gibt ihm dementsprechend Sendezeit. Der Präsident ist zu einer weiteren Reise durch die Provinzen aufgebrochen, wo er mit Geldgeschenken aus der Staatskasse um Stimmen wirbt.
Gleichzeitig liegt die Verantwortung für die Durchführung der Wahlen beim Innenministerium. Dort hat Ahmadinejad bereits enge Vertraute platziert. In den letzten Wochen konnten umfangreiche Personalwechsel beobachtet werden, so der Reformpolitiker Behzad Nabavi in einem Zeitungsinterview. Selbst lokale Wahlkommissionen in den Gemeinden seien inzwischen mit regierungstreuen Mitarbeitern besetzt.
Kein Wunder, dass die Sorge um faire Wahlen immer größer wird. Die beiden Reformkandidaten kündigten die Einrichtung eines unabhängigen Komitees an, das den Urnengang überwachen soll. Karrubi reagiert zudem hochempfindlich auf Eingriffe von Seiten der Revolutionsgarden.
Deren Chef verkündete unlängst, die Bassidj-Miliz dürfe durchaus politisch aktiv werden. Bereits bei den letzten Wahlen hatte Karrubi gegen Einflussnahme durch militärnahe Organisationen protestiert. Damals verfehlte er den Einzug in die zweite Runde knapp hinter Ahmadinejad.
Bei alledem zeigt sich die iranische Bevölkerung eher verhalten. Laut Reformaktivist Abbas Abdi bremsen sowohl wirtschaftliche Not als auch die unklaren Standpunkte der Kandidaten das Interesse an den Wahlen. Bald sollen Fernsehduelle nach US-Vorbild für mehr Begeisterung sorgen.
Zugleich will derzeit niemand das Ausmaß der Unterstützung für Ahmadinejad unter den Leuten einschätzen. In der Vergangenheit haben iranische Wähler immer wieder für Überraschungen gesorgt. Bis zum 12. Juni steht somit ein spannender Endspurt bevor.
Marcus Michaelsen
© Qantara.de 2009
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