"Kultur ist keine rein westliche Angelegenheit"

Der Louvre hat jüngst einen millionenschweren Deal mit Abu Dhabi abgeschlossen. Kritiker in Frankreich fürchten nun einen Ausverkauf der Kulturnation. Im Interview mit Lewis Gropp widerspricht die Kuratorin Rose Issa diesen Befürchtungen.

Der Louvre hat jüngst einen millionenschweren Deal mit Abu Dhabi abgeschlossen. Kritiker in Frankreich fürchten einen Ausverkauf der Kulturnation. Im Interview mit Lewis Gropp widerspricht die unabhängige Kuratorin und Kunstkritikerin Rose Issa diesen Befürchtungen.

Abu Dhabi plant, binnen der nächsten Jahre vier Großmuseen sowie Ausstellungsflächen für eine internationale Biennale zu errichten. Das Guggenheim-Museum hat bereits eine umfassende Zusammenarbeit vereinbart und das Louvre-Museum hat in diesen Tagen einen 200 bis 400 Millionen Euro schweren Deal mit Abu Dhabi abgeschlossen. Werden Abu Dhabi und die Emirate von diesem Projekt kulturell profitieren können? Immerhin sind rund 80 Prozent der Einwohner von Abu Dhabi Migranten ohne Staatsangehörigkeit.

Rose Issa; Foto: privat
Rose Issa: "In der Golfregion gibt es viel zu wenig öffentliche Orte und Räume für Ästhetik, an denen kontextualisierte Kunstobjekte ausgestellt sind."

​​Rose Issa: Ich denke, letzten Endes wird jeder von diesen Kulturprogrammen profitieren: an erster Stelle natürlich der Louvre und das Guggenheim-Museum, die beauftragten Baugesellschaften, aber auch die gesamte Region und die Vereinigten Arabischen Emirate. Wenn hier schon mal ein Land bereit ist, sein Geld für Kultur auszugeben, anstatt für Waffen oder Casinos, dann kann ich nur sagen: Bravo!

In der Golfregion gibt es im Übrigen viel zu wenig öffentliche Orte und Räume für Ästhetik, Orte, an denen kontextualisierte Kunstobjekte ausgestellt sind. Die Kooperation mit dem Louvre und dem Guggenheim wird dazu führen, Kuratoren, Konservatoren, Designer, Planer und Administratoren etc. auszubilden – und natürlich in erster Linie die interessierte Öffentlichkeit. Wenn es dann bei den Museen, wie in Großbritannien, auch noch freien Eintritt gibt, dann könnten sogar einfache Arbeiter diese Kulturinstitutionen aufsuchen.

In Abu Dhabi gibt es sonst so gut wie kein ausgeprägtes Kulturleben, daher ist jegliche Art von kultureller Aktivität besser als gar keine. Wenn das Land es sich leisten kann – wer will es dann wagen, es dafür zu kritisieren?!

Ein Kulturleben ist keine rein westliche Angelegenheit. Letzten Endes werden die Leute das Angebot wahrnehmen und daran teilhaben. Es gilt zu bedenken: Dubai und Sharjah befinden sich kulturell erst in der Startphase. Die Europäer, die in die Emirate reisen, kommen nicht in erster Linie wegen des Louvre oder dem Guggenheim; sie kommen wegen des Klimas – und um Geld zu machen. Dabei können sie sich doch auch kulturell bilden. Was bitteschön ist daran auszusetzen?!

Der Leiter des Guggenheim-Museums, Thomas Krenz, erklärt, dass man mit der Guggenheim-Filiale in Bilbao auch die lokale Kunstszene in das Konzept mit integriert habe und dass man gleiches für Abu Dhabi zu tun beabsichtige. Wie aber sieht es mit der kulturellen Infrastruktur in Abu Dhabi aus – gibt es dort Kunstakademien, eine lebendige Kunstszene; kann man die Situation überhaupt mit der in Bilbao vergleichen?

Issa: Die Infrastruktur der beiden Städte kann man meines Erachtens nach nicht direkt vergleichen, wohl aber die Intention und das künstlerische Konzept. Abu Dhabi ist, wenn man so will, reicher als Bilbao, Hochschulen der Künste oder ein Netzwerk ansässiger Künstler gibt es aber nicht. Ich würde aber auch nicht von vornherein ausschließen, dass die Kunst durch das Projekt nun einen größeren Stellenwert bekommt; und mit dem wirtschaftlichen Aufschwung könnten sich auch einige Künstler aus der Deckung wagen, um die alt hergebrachten Vorstellungen in Frage zu stellen – wer weiß?

Fest steht auf jeden Fall, dass dieses Projekt Abu Dhabi – wie auch vorher schon Bilbao – international verorten wird. Und wer nicht hin will, wird ja auch nicht gezwungen! Auf jeden Fall aber werden die Leute in der Region den Ort aufsuchen. Sie können Seminare, Vorträge, Filmreihen und so weiter veranstalten, und es wird auf jeden Fall ein Publikum dafür geben.

Das Land kann es sich leisten, kein Geld damit zu machen. Abu Dhabi erkauft sich Prestige und eine zukunftsgerichtete Infrastruktur. Und es ist schon seltsam, dass einige Europäer es nicht ertragen können, dass eine arabische Stadt ein Kulturleben aufbaut.

Ist die moderne westliche Kunst und die zentrale Rolle des Aktes mit Abu Dhabis eher restriktivem, weniger liberal ausgerichtetem Sozialleben kompatibel? Ist es denkbar, dass Ausstellungen moderner Kunst zensiert werden und so eine verzerrte, "unauthentische" Vorstellung europäischer und westlicher Kultur vermittelt wird?

Issa: Die meisten herausragenden und inspirierenden Kunstwerke haben mit dem Akt überhaupt nichts zu tun. Im Übrigen glaube ich auch gar nicht, dass der Akt diese zentrale Rolle spielt. Ein Akt kann gelungen sein oder eben nicht, wie jedes andere Sujet auch. Und Zensur gibt es überall. In Großbritannien bin ich ständig damit konfrontiert. Das eine mal basiert die Zensur auf ethnischen Kriterien, dann geht es um einen bestimmten Stil, dann um eine bestimmte Schule oder um eine Region, die nicht vertreten sein darf usw.

Im Nahen Osten haben wir keine so genannte "Demokratie" – weder politisch noch kulturell – der Westen aber glaubt, er sei demokratisch; die jüngsten Kriege in der Region haben jedoch bewiesen, dass auch die Europäer zensiert werden, auch Europa ist verschleiert, es verschleiert seine Verlogenheit, seine Deklarationen, seine Androhungen, seine Intentionen und seine Interessen. Im Grunde ist die Verschleierung in Europa noch verbreiteter als bei uns.

Abgesehen davon begeistert man sich in großem Maße für Kunst, die überhaupt nichts taugt und die man nur deswegen als "avantgardistisch" einstuft, weil sie zensiert wird! Manche untalentierte Künstler bedienen sich dieses PR-Tricks, um ihren Arbeiten niveaulosen Kritikern und ahnungslosen Institutionen anzudrehen.

Nacktheit wird in vielen Fällen immer noch als Provokation angesehen. Ich persönlich kann dazu nur sagen: Das ist von gestern, es ist einfältig und außerdem langweilig.

Zensur basiert bei westlichen Institutionen auf ökonomischen Entscheidungen. Oft werden Künstler ausgewählt, die von renommierten Galerien vertreten werden – und nicht unbedingt aufgrund ihrer Kunstwerke. Ob es sich also um ökonomische Zensur oder um moralische Zensur handelt – in irgendeiner Form ist Zensur immer im Spiel.

Die Proteste in Frankreich gegen eine Louvre-Filiale in den Emiraten waren besonders heftig, und das, obwohl es bereits ähnliche "Kulturdeals" mit China und anderen Ländern gibt. Gibt es Ihrer Ansicht nach im Westen – auch in der Kulturelite – möglicherweise besondere Vorbehalte gegenüber der arabischen Welt?

Issa: Die Franzosen haben wohl tatsächlich ein Problem, jedenfalls diejenigen, die gegen kulturelle Aktivitäten dieser Art protestieren: Sie sind offensichtlich besonders ignorant und stupide. Sie haben schon damals gegen das Centre Pompidou protestiert, und sie protestieren im Grunde gegen jedes innovative architektonische Projekt in ihrem Land.

Trotzdem kann man den Widerspruch nicht wirklich nachvollziehen, denn schließlich profitiert ja Frankreich am meisten von diesem Deal. Es fließt so viel Geld nach Frankreich, es bringt Beschäftigung – und Prestige.

Wenn ich daran denke, dass es in Frankreich Institutionen und Ministerien gibt, die die französische Sprache und Kultur fördern, was bitte wollen sie denn noch? Die Emirate sind in diesem Fall doch jemand, der PR-Arbeit für die französische Kultur leistet. Ich misstraue auf jeden Fall jedem, der gegen eine kulturelle Entwicklung protestiert.

Könnte eine Art "verletzter Kulturstolz" möglicherweise auch eine Rolle spielen? Wird sich der Westen mit der Tatsache abfinden müssen, dass er in Zukunft möglicherweise nicht mehr das globale Epizentrum der Kulturwelt sein wird?

Issa: Das Epizentrum der Kulturwelt ist – um es mal profan auszubuchstabieren – immer da, wo das Geld ist. Eine Zeitlang war es in Frankreich, dann in New York, dann in London, bald wird es alle nach China ziehen, nach Indien, oder eben an den Golf. bis dann das nächste Epizentrum entsteht. Man wird sich noch darüber wundern, wie eine einzige Kunstmesse in Dubai eine Neuorientierung der westlichen Galerien nach sich ziehen wird.

Der Westen muss sich darüber im Klaren werden, dass er eins ist mit dem Osten. Die Welt ist eine Einheit, und sie ist klein. Wenn es im Arm schmerzt, leidet der ganze Körper mit. Wenn der Geist fröhlich ist, dann tanzt der Körper.

Daher sollte diese Zeile von Rumi unser Motto sein: "I am neither from the East nor the West, No boundaries exist in my breast."

Interview: Lewis Gropp

© Qantara.de 2007

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