Hieronymus Bosch in Abu Dhabi
Musik ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Morgens knipsen wir das Radio an, tagsüber schleppen wir bis obenhin gefüllte iPods mit uns herum und abends gehen wir gern einmal auf ein Konzert. Niemand würde dort von einem Fan erwarten, Musikwissenschaft studiert oder ein Instrument erlernt zu haben, um mitreden zu können. Man muss kein Experte sein, um Musik zu lieben, man muss nicht wissen, wer ein Lied geschrieben hat, um es lauthals mitzusingen.
So unverkrampft geht es in der Kunstwelt leider nicht zu. Wem der Name Picasso nichts sagt, der sollte sich auf einer Gemäldeausstellung zur Klassischen Moderne lieber nicht in Gespräche verwickeln lassen, so begeistert er auch sein mag. Denn im Gegensatz zur Musik ist Kunst bis heute weitaus weniger populär geblieben, ein nach wie vor eher elitäres Hobby. Wir mögen auf unserem Smartphone Lady Gaga-Videos sammeln, aber wer hat schon ein paar coole Video-Artists abgespeichert? Aber warum eigentlich nicht?
Radio für bildende Kunst
Elizabeth Markevitch glaubt die Antwort auf diese Frage gefunden zu haben. "Die Musik hatte das Radio." Bevor es das Radio gab, waren Konzerte der Ort, an dem Musik konsumiert wurde und ein ebenso exklusives Vergnügen für überschaubare gesellschaftliche Kreise, wie es Kunstausstellungen heute noch sind.
Markevitch weiß, wovon sie spricht, wenn sie das elitäre Gebaren der Kunstwelt aufs Korn nimmt. Sie stammt aus einer bekannten Musikerfamilie und ist seit Jahrzehnten in der Kunstwelt aktiv. Lange Zeit lebte sie in Genf, war für das Auktionshaus Sotheby's tätig und hat mit bedeutenden Sammlern zusammengearbeitet. Man blieb immer unter sich, "entre nous", wie das im kultivierten Milieu heißt.
Doch das reicht Markevitch nicht mehr. Sie will ihre Passion für Kunst mit deutlich mehr Menschen teilen und den Kunstgenuss popularisieren. Ein lang gehegter Traum, dessen Umsetzung mit der alles entscheidenden Frage begann: Wie sieht Radio für bildende Kunst aus?
Die Antwort lautet: ikonoTV. Ein einmaliges Projekt, ein TV-Kanal, der Kunst direkt ins Wohnzimmer liefert. Zumindest in jedes nordafrikanische oder im Nahen Osten, das ist vorerst das Verbreitungsgebiet von ikonoTV; mittelfristig soll es allerdings ausgeweitet werden. Der Grund, warum zunächst die arabischsprachige Welt im Fokus liegt, ist schlicht und einfach der, dass Betreiber von ArabSat sich als erste für das Projekt interessierten.
Der Purismus medial vermittelter Kunst
Seit November 2010 ist ikonoTV auf Sendung. Das Konzept ist so radikal wie einfach und setzt alles auf eine Karte – die Wirkung der Kunst selbst. Niemand soll mit Schulmeisterei abgeschreckt werden, deswegen wird auf Kommentare und musikalische Untermalung völlig verzichtet. Werbung gibt es nicht. Wer vor dem Bildschirm das Bedürfnis entwickelt, mehr über Werke, Künstler und deren Kontext zu erfahren, findet auf der Webseite ikono.tv, was er braucht: Informationen zu Künstlern, Links zu Museen oder Buchempfehlungen.
Ahmad Mater - EvolutionOfMan from ikono tv on Vimeo.
Wie so oft, spielte der Zufall keine unwesentliche Rolle, als das Projekt aus der Taufe gehoben wurde. Markevitch war für ein unabhängiges Projekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten unterwegs, als sie mit ihren Partnern in der Region über die Idee zu ikonoTV sprach. Und plötzlich wurde ihr klar, dass es keinen besseren Ort gäbe, wo sie damit anfangen könnte. "Es gibt im arabischen Raum nichts in dieser Richtung, außerdem wird kaum in digitaler HD-Qualität gesendet, so dass viele Frequenzen frei waren. Deswegen konnte ich die Geschäftsführer von ArabSat davon überzeugen, mit uns diesen Versuchsballon steigen zu lassen", erzählt sie.
ikonoTV kann in der Region eine Lücke füllen, die in Europa von einer traditionsreicheren und viel dichteren Museumslandschaft besetzt wird. Rund zwei Drittel der gezeigten Kunst sind Filme von im Sendegebiet ansässigen zeitgenössischen Video-Künstlern oder über islamische und vorislamische Kunst aus der Region. Daneben gibt es Meisterstücke wie die fünfzehnminütige Reise durch ein Triptychon von Hieronymus Bosch zu sehen. Dabei wird jedes Detail des rätselhaften Kosmos' Boschs zur Geltung gebracht.
Ein "verrücktes" Projekt
Sofern das Kunstwerk nicht selbst schon ein Video ist, müssen Beiträge dieser natürlich produziert werden. Dafür hat Markevitch eine Reihe von Kunsthistorikern und versierten Technikern in ihrem internationalen Team. Die Büroetagen des Senders befinden sich allerdings nicht in Beirut, Kairo oder Casablanca, sondern in Berlin. ikonoTV wird in einem Hinterhof in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg produziert.
Die Miete dort ist nicht ganz billig, die nötige Technik schon gar nicht, und auch eine 22-köpfige Crew will bezahlt sein, von Satellitengebühren ganz zu schweigen. Über Werbung kann Markevitch nichts einnehmen, denn sie verfolgt keine kommerzielle Strategie. Stattdessen lehnt sie ihr Geschäftsmodell an das von Museen an – das heißt, es müssen Sponsoren gesucht und Kooperationspartner eingebunden werden. Bisher kommt das meiste Geld von zwei Sponsoren im Nahen Osten und höchstens noch von Markevitch selbst bzw. "friends and family". Wie so oft bei ähnlichen Unternehmungen, ist der Finanzrahmen noch äußerst eng.
Markevitch weiß durchaus, dass sie in gewisser Weise ein verrücktes Projekt aufgezogen hat. Bisher lassen sich noch nicht einmal Aussagen über Zuschauerzahlen machen. Den Optimismus der Chefin schmälert das vorerst jedoch nicht. Der Siegeszug von Radio und iPod war schließlich auch nicht aufzuhalten, aus einem ganz einfachen Grund, wie Markevitch meint – sie sorgen für unser Vergnügen. "Und genau das machen wir auch."
Sebastian Blottner
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Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de