Farbmarken in der Stadt

In diesen Tagen steht Istanbul im Fokus der Kunst. Noch bis Ende Oktober findet dort die 9. Istanbul Biennale statt. Wie nie zuvor beschäftigten sich Künstler aus aller Welt mit den urbanen Phänomenen dieser Metropole. Von Dirk Fuhrig

In diesen Tagen steht Istanbul im Fokus der Kunst. Noch bis Ende Oktober findet dort die 9. Istanbul Biennale statt. Wie nie zuvor beschäftigten sich Künstler aus aller Welt mit den urbanen Phänomenen dieser Metropole, die innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer wahren Megalopolis explodiert ist. Von Dirk Fuhrig

Logo der Istanbul Biennale
"Die Biennale ist pink"

​​Die Biennale ist pink. Wie ein blassroter Faden zieht sich die Farbe durch die Altstadt Istanbuls. Die verschiedenen Privathäuser, ehemaligen Hafendocks, ein Tabaklager, das aus Fatih Akins Filmen berühmte Grand Hotel de Londres - überall hat die Biennale ihre Farbmarken hinterlassen.

Bei ihrer 9. Auflage hat sich die Kunstschau damit zum ersten Mal außerhalb traditioneller Museumsräume oder historischer Ausstellungsorte ausgebreitet. "Das haben wir ganz bewusst so gewählt", erklärt Vasif Kortun, einer der beiden Kuratoren.

"Es geht darum, die Bürger in ein Verhältnis zu ihrer Stadt zu bringen. Wir stellen Fragen an die Bewohner. Über die Zukunft der Stadt, wie es weitergehen soll. Wir wollen die Stadt aufblättern."

Zum Teil ist dieses Konzept, die Stadt künstlerisch aufzufalten gelungen: So viel Beschäftigung mit dem sich rasant verändernden Istanbul, mit seinen urbanen Strukturen, gab es noch nie.

Eigens für die Biennale gefertigte Kunstwerke

Das alte Europäer-Viertel Beyoglu, architektonisch geprägt durch Gründerzeit und Jugendstil und heute räumlicher Mittelpunkt der aufstrebenden Galerie- und Künstlerszene, wird bei dieser Biennale selbst zum Kunstwerk. Halb verfallene Bürgerhäuser nehmen die Fotos, Skulpturen, Installationen und besonders die vielen Videoarbeiten auf.

Ein Großteil der ausgestellten Werke ist speziell für diese Biennale entstanden. Junge Künstler aus aller Welt - Europäer, Amerikaner, im Ausland geborene Türken - wohnten über mehrere Monate hinweg in Istanbul, haben die Stadt erkundet. Ziel ist es, über das Klischee hinaus unter die Oberfläche zu blicken, hinter das Touristische, so Charles Esche, der Co-Kurator aus den Niederlanden.

Denzi-Palast in Istanbul
Auch der Deniz-Palast zeigt die Farbe der Biennale

​​"Etwas sichtbar machen, was unsichtbar ist - auch für die Menschen, die hier in dieser Stadt leben. Ich hoffe, das haben die 'Artists in Residence' geschafft."

Den komplexesten Kommentar zur Biennale-Stadt Istanbul hat sicherlich der rumänische Zeichner Dan Perjovschi gegeben: Seine schwarzen Linien ziehen sich durch eine ganze Etage im Deniz-Gebäude. Sie zerlegen die Stadt in Einzelteile und stellen sie gleichzeitig in einen Zusammenhang mit den Strukturen der globalisierten Welt-Gesellschaft.

Eröffnung des Museums "Istanbul Modern"

Parallel zur Biennale hat das erst vor wenigen Monaten unter großer weltweiter Beachtung eröffnete Museum "Istanbul Modern" seine erste internationale Ausstellung gezeigt. "Center of Gravity" heißt die Schau, kuratiert von Rosa Martinez, die auch die derzeitige Biennale von Venedig mitleitet.

Die weit gereiste Ausstellungsmacherin setzt schon lange auf Istanbul als neue Kunstmetropole: "Die Biennale hat in den vergangenen fast zwanzig Jahren sehr stark dazu beigetragen, die lokale Szene hier mit der internationalen Kunst zu verknüpfen.

"Die Biennale zeigt die innovativsten Trends und setzt den Akzent auf eher soziologisch oder politische orientierte Werke. Gemeinsam schaffen wir hier in Istanbul, so hoffe ich, ein echtes Gravitationszentrum für moderne Kunst."

"Der Fall" Orhan Pamuk

Politisch, wie Rosa Martinez meint, ist die Biennale jedoch nur in Randbereichen. Zwar beschäftigen sich manche Arbeiten durchaus mit staatlicher und militärischer Gewalt oder mit Folter. Künstlerische Stellungnahmen zur Zensur und Meinungsfreiheit findet man jedoch kaum.

Der Fall des Schriftstellers Orhan Pamuk - in Europa als Knackpunkt für den EU-Beitritt begriffen - wird etwa auch von Biennale-Kurator Vasif Kortun als Einzelphänomen verstanden. Der Fall sei für ihn völlig unwichtig, ebenso für Orhan Pamuk selbst.

"Sollte der Prozess wirklich stattfinden", so Kortun, "gibt es einen großen Auftritt. Die Leute kommen aus Europa, die gesamte Presse. Das wird Orhan Pamuk nutzen und es wird uns allen nutzen. Selbstverständlich wird er frei gesprochen. Und die Staatsanwälte werden erkennen, dass sie so etwas nie wieder tun können."

Dirk Fuhrig

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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Website der 9. Internationalen Istanbul Biennale