Arm in Arm durch die entfesselte Gewalt
Der neuerliche Konflikt zwischen Christen und Muslimen in Ägypten fällt paradoxerweise in eine Zeit, in der der ägyptische Kino-Kassenschlager "Hassan wa Morqos" zur Besonnenheit im Zusammenleben der Religionen aufruft. Aus Kairo informiert Jürgen Stryjak
Der jüngste Gewaltausbruch zwischen Muslimen und Christen in Ägypten Ende November im Kairoer Stadtteil 'Ain Shams, ähnelt vergleichbaren Ereignissen zuvor. Hunderte zumeist junger Männer schlugen aufeinander ein, zwei Autos gingen in Flammen auf, Steine flogen. Acht Männer wurden verhaftet, fünf Muslime, drei Kopten.
Ungewöhnlich ist lediglich, dass der Grund der Zusammenstöße im Kern dieses Mal tatsächlich religiöser Natur zu sein schien. Eine leere Fabrikhalle, die von der koptischen Gemeinde rechtmäßig erworben wurde, sollte zum christlichen Gebetssaal umgewidmet werden, direkt gegenüber der großen Moschee des Viertels. Das entfachte offensichtlich den Zorn von Muslimen der Nachbarschaft.
Zunehmende Gewaltspirale
Unüblich ist auch die Brutalität, mit der die Protestierenden vorgingen. Die unabhängige ägyptische Tageszeitung "Al-Masri Al-Youm" berichtete, dass sie kochendes Wasser von Gebäuden auf die anrückenden Polizeikräfte gossen.
Nach Ansicht der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte ("Egyptian Initiative for Personal Rights") hat die Zahl von Spannungen dieser Art jüngst deutlich zugenommen. Allein für die Monate Juli bis September dieses Jahres dokumentiert die Initiative acht gewaltsame Zusammenstöße von Kopten und Muslimen in Ägypten.
Zumeist handelte es sich dabei um Konflikte beispielsweise um Land oder die Familienehre, die erst im Verlauf einen religiösen Charakter annahmen.
So zum Beispiel Anfang Oktober in Kairo: Der 25-jährige Rami Khella dringt zusammen mit einem Verwandten in die Wohnung von Ahmed Saleh und seiner Frau Miriam ein. Die beiden Männer, beides Kopten, eröffnen das Feuer, töten den Muslim Ahmed und verletzen seine Frau wie auch die kleine Tochter der beiden.
Die Tat ist im Grunde ein "Ehrenmord". Miriam ist die Schwester von Rami, dem Täter und war einst ebenfalls Koptin – bevor sie aus Liebe zum Muslim Ahmed zum Islam konvertierte. Deshalb wurde sie von ihrer koptischen Familie verstoßen. Die Tat sollte die "Familienehre" retten.
Religiöse Verwandlung
Die Stimmung zwischen den Religionsgruppen in Ägypten ist angespannt, Konflikte münden immer öfter in Gewalt. Genau von diesen konfessionellen Spannungen handelt der ägyptische Spielfilm "Hassan wa Morqos", der seit vergangenem Sommer in ägyptischen Kinos läuft. Sein Erfolgsrezept lautet: ein brisantes Thema mit einer prominenten Besetzung und Gags am laufenden Band gekonnt zu verbinden.
Der ägyptische Starkomödiant Adel Imam spielt einen Kopten. Der einstige Hollywoodschauspieler Omar Sharif ist im Film ein muslimischer Gewürzhändler. Beide werden von Extremisten bedroht.
Zu ihrem Schutz beschließt die Regierung eine ungewöhnliche Maßnahme: Sie bekommen zusammen mit ihren Familien eine neue Identität. Aus dem Kopten wird so der Muslim Hassan, aus dem muslimischen Gewürzhändler der koptische Christ Morqos.
Im Stil klassischer Verwechslungskomödien à la "Manche mögen's heiß" werden alle möglichen Verwechslungen und Missverständnisse, die solche Rollenspiele bieten, bis ins Detail ausgekostet.
Religiöser Schabernack
Nie zuvor wurde in einem ägyptischen Film so entwaffnend Schabernack mit Religion betrieben - oder besser gesagt mit dem, was Menschen im Alltag aus ihr machen.
In einer der groteskesten Szenen kommen Vertreter der muslimischen wie der koptischen Gemeinde zu ihren vermeintlichen Glaubensbrüdern nach Hause. Beide waren kurz zuvor mit ihren Familien – jeweils ohne vom Versteckspiel des anderen etwas zu ahnen – auf dieselbe Etage eines Hauses gezogen.
Die Vertreter der Gemeinden statten ihnen zeitgleich einen Besuch ab, um sie willkommen zu heißen. Die einen tragen ihre schwarzen koptischen Kutten, die anderen weite weiße muslimische Gewänder.
Die Kopten schwingen Weihrauchschüsseln und rezitieren wie besessen ihre ihnen jeweils Heiligen Bücher – die Muslime beten. Die Kopten haben ihre Tamburine mitgebracht – den Muslimen bebt die Stimme, als sie den Koran rezitieren.
Beten um die Wette
Dieses "Wettbeten" dringt bis hinunter auf die Straße. Passanten bleiben verwundert stehen und glauben, das Haus brennt, weil dicke Weihrauchschwaden aus den offenen Fenstern ziehen.
Immer wieder überzeichnet der Film Alltagsfrömmelei bis in die Groteske. Es ist der in Ägypten inzwischen nicht unübliche Wahnsinn, der entsteht, wenn Religion immer "obsessiver" praktiziert wird.
Doch die Gründe für die Spannungen zwischen Christen und Muslimen im Land am Nil nennt der Spielfilm nicht. Nach Ansicht des politischen Publizisten Sameh Fawzi, einem koptischen Christen, sind diese Konflikte auch gar nicht religiöser Natur:
"Die religiöse Maske muss fallen!"
"Jedes dieser Vorkommnisse hat seine eigenen Ursachen", erklärt Fawzi. "Die religiöse Spannung, die existiert, verwandelt alle normalen Auseinandersetzungen in religiös aufgeladene Konflikte, sobald es sich bei den Beteiligten um Kopten und Muslime handelt. Diese religiöse Maske muss fallen. Dann erkennen wir die ökonomischen, politischen und sozialen Ursachen und sehen, dass die Konflikte mit Religion nichts zu tun haben."
Dieser Ansicht ist auch der niederländische Soziologe Cornelis Hulsmann vom Zentrum für arabisch-westliche Verständigung ("Center for Arab-West Understanding") in Kairo, der seit 1994 in Ägypten lebt.
Er sei Hunderten von Diskriminierungsfällen nachgegangen und zu der Erkenntnis gelangt, dass die Interessenkonflikte zumeist komplizierter waren als in den Medien dargestellt. Der religiöse Faktor sei oft erst später hinzugekommen.
Die Menschen im Land, glaubt der Publizist Sameh Fawzi, würden darunter leiden, dass ihnen elementare Bürgerrechte vorenthalten werden, aber nicht unter ihrer Religionszugehörigkeit.
"Die Christen in Ägypten werden so lange nicht in Frieden und Harmonie leben können, solange alle Menschen im Land unterdrückt werden", so Fawzi.
Das Filmplakat zum Film "Hassan wa Morqos" verdeutlicht diesen Gedanken symbolisch: Es zeigt den Muslim Hassan und den Christen Morqos mit einer Handschelle aneinander gefesselt.
Bewegte Bilder für ein Massenpublikum
Der Film selber geht nicht soweit in die Tiefe. Stattdessen ruft er, sehr plakativ, zum friedlichen Zusammenleben auf. Hier erinnert der Streifen an belehrendes Agitprop-Theater, das einfache, eindeutige Statements formuliert.
Es handelt sich bei dem Film um keine intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem brisanten Thema – jedoch ein unerheblicher Mangel, denn der Film richtet sich an ein Massenpublikum, an jene Durchschnittsägypter, die auch die Zielgruppe der zahllosen, vor allem muslimischen Kassettenpredigten sind, die die Religionsgruppen gegeneinander aufhetzen.
Am Ende zeigt "Hassan wa Morqos", wie sich Muslime und Christen eine Straßenschlacht liefern. Das Haus von Hassan und Morqos gerät dabei in Brand. Der Christ rettet die Frau und die Tochter des Muslims aus dem Feuer – eine Szene, bei der in Kairoer Kinos das Publikum applaudiert.
Genau so wie bei jener Einstellung, bei der beide Familien sich einhaken und "standhaft interreligiös" Arm in Arm durch die entfesselte Gewalt in den Abspann des Filmes laufen. Auch hier kommt es zu Applaus in einigen Filmtheatern.
Jürgen Stryjak
© Qantara.de 2008
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Ungefähr 10 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind koptische Christen. Entgegen der offiziellen Darstellung der Regierung, Kopten und Muslime lebten im Einklang miteinander, kommt es tatsächlich immer wieder zu Spannungen zwischen beiden Religionsgruppen. Von Nelly Youssef
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