Filme über Erinnerung, Verlust und staatliche Gewalt

Ein Mann auf einem Motorrad mit einem Hund auf dem Beiwagen.
Kairo, wie man es selten sieht: Standbild aus "Seeking Haven for Mr. Rambo", Regie: Khaled Mansour. (Foto: ALFILM)

Das ALFILM-Festival 2025 in Berlin präsentierte ein einzigartiges Trio ägyptischer Filme, die den Auswirkungen von Traumata und autoritärer Herrschaft nachgehen. Eine Rezension von „Seeking Haven for Mr. Rambo“, „Perfumed with Mint“ und „Abo Zaabal 89“.

Von Schayan Riaz

Jean-Luc Godard sagte einmal, man brauche für einen Film nur ein Mädchen und eine Waffe. Das mag stimmen, nimmt man aber noch einen Hund dazu, wird es noch besser. Der ägyptische Film „Seeking Haven for Mr. Rambo“ (dt. Auf der Suche nach Schutz für Mr. Rambo) bietet alles drei, ist aber nicht der reißerische Thriller, den Godard im Kopf hatte. Es ist das feinfühlige und Debüt von Khaled Mansour, das seine Wirkung langsam aufbaut. Statt den Klischees stellt er eine existenzielle Schwere in den Mittelpunkt, ohne sich völlig von der Genreästhetik zu lösen. 

Der Film begleitet Hassan, einen jungen Mann, der mit seiner Mutter und Hund Rambo in einer bescheidenen Wohnung in Kairo lebt. Ihr Vermieter Karem will die beiden um jeden Preis loswerden, um seine Garage erweitern zu können. Als Rambo Karem in einem panischen Moment beißt, verlangt der rachsüchtige Vermieter die Herausgabe des Hundes, wahrscheinlich, um ihn zu töten. Es entfaltet sich eine spannende, traurige und zutiefst menschliche Geschichte über einen Mann, der versucht, nicht nur für seinen Hund, sondern auch für sich selbst Sicherheit zu finden.  

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Trauma durchdringt jedes Bild. Kairo, vom Kameramann Ahmed Tarek Bayoumi fast ausschließlich nachts gefilmt, ist in Schatten gehüllt und wird nur von schwachen Straßenlaternen erhellt. Es ist eine Seite der Stadt, die im Mainstream selten gezeigt wird – ruhig, unheimlich und bedrückend – weit entfernt vom geschäftigen, lebendigen Kairo der Postkarten. 

Die Düsternis ist nicht nur ästhetisch; sie spiegelt Hassans Traurigkeit und Einsamkeit wider. Obwohl der Film wenig Details liefert, erfahren wir, dass es in der Geschichte des Helden einen abwesenden Vater gibt. Hassan ist ein junger Mann, dessen einziger Beschützer der Hund ist, den er zu verlieren droht. 

Die Handlungsstränge des Films, darunter Einblicke in die düstere Welt der Hundekämpfe, kreisen um eine zentrale Metapher: Was bedeutet es, einen sicheren Hafen zu haben? In „Seeking Haven for Mr. Rambo“ ist Heimat etwas Zerbrechliches und hart Umkämpftes – das Häusliche ist zutiefst politisch.

Es passt daher auch, dass der Film bei der kürzlich zu Ende gegangenen 16. Ausgabe von ALFILM, Berlins wichtigstem arabischen Filmfestival, gezeigt wurde. ALFILM hat sich zu einer Art Zufluchtsort für die vielfältigen arabischen Communities der Stadt entwickelt und bietet Raum für Geschichten, die in der breiteren Kulturlandschaft der Stadt oft marginalisiert oder ignoriert werden. 

Das Programm 2025 umfasste unter anderem Dokumentarfilme über den anhaltenden Krieg im Sudan oder Sonderveranstaltungen über Syriens grausame Gefängnisse. ALFILM wagt auch im aktuellen deutschen Kontext die politische Klarheit, selbst wenn beispielsweise Solidarität mit Palästina oft auf Unbehagen oder Repressionen stößt.

Versunken in Melancholie – und Haschisch

Während „Seeking Haven for Mr. Rambo“ auf der harten Alltagsrealität beruht, wirkt „Perfumed with Mint“ (dt.: Der Duft der Minze) , ein weiteres ägyptisches Debüt, wie sein spirituelles Pendant aus einer anderen Dimension. Surreal, undurchsichtig und melancholisch, ist auch dieser Film größtenteils im Dunkeln gedreht und wird von einem langsamen, traumähnlichen Rhythmus getragen. Muhammed Hamdy erschafft eine Welt zwischen Schlaf und Erwachen, zwischen Erinnerung und Gegenwart.

Der Film folgt einer Gruppe von Charakteren – hauptsächlich Männern –, die ihre Tage damit verbringen, Haschisch zu rauchen, Gedichte zu rezitieren und von Ort zu Ort zu ziehen. Es ist nie ganz klar, wer sie sind oder was sie verbindet. Manchmal ist nicht einmal klar, ob sie leben oder tot sind. Sind sie Geister oder doch Menschen, die zu viel verloren haben? 

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Die surrealistische Seite des Films offenbart sich ganz sanft: Aus dem Körper eines Mannes sprießt Minze – ein poetisches Detail, das dem Film seinen Titel gibt. Es gibt keine wirkliche Erklärung dafür und doch wirkt es seltsam natürlich. Durch solche Details wird der Film so hypnotisch – die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen und lassen uns in einem Raum zurück, in dem alles fremd und vertraut zugleich wirkt, selbst wenn es bizarr ist. 

Hamdy hat viel als Kameramann gearbeitet, und das merkt man. Seine Bilder sind wunderschön, sein Schattenspiel meisterhaft. Und wie Mansour scheut er sich nicht, im Dunkeln zu drehen. „Der Duft der Minze“ bietet nicht wirklich Antworten und folgt kaum einer Erzählung, aber er hinterlässt noch Tage später Stoff zum Nachdenken. Wie ein Traum, an den man sich nur halb erinnert, bleiben die Figuren und fragmentarischen Szenen im Gedächtnis.

Eine zerrüttete Familie

Während die ersten beiden Filme Verlust und Unterdrückung aus fiktionaler Perspektive betrachten, handelt ein dritter ägyptischer Film von gelebter Geschichte. Bassam Mortadas Dokumentarfilm „Abo Zaabal 89“ ist ein zutiefst persönlicher und emotional vielschichtiger Film. Mortada versucht, seine Familiengeschichte und den Riss zu verstehen, der durch die Inhaftierung seines Vaters Mahmoud entstand. Dieser wurde 1989 wegen sozialistischen Aktivismus im berüchtigten Abo Zaabal-Gefängnis gefoltert. 

Was mit dem Ausgraben von Informationen beginnt – alter Tonbandaufnahmen, gefundenem Filmmaterial und Interviews – entwickelt sich zu einem ruhigen, eindringlichen Porträt eines Sohnes, der versucht, eine Verbindung zu seiner Vergangenheit und zu seinen beiden getrennt lebenden Eltern herzustellen, deren Leben durch diese Erfahrung unwiderruflich verändert wurde.

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Abo Zaabal fungiert nicht nur als Gefängnis; es ist vor allem ein Symbol. Die Einrichtung ist seit langem ein berüchtigter Ort politischer Repression, Inhaftierung und Folter. Mortada rekonstruiert die Geschichte der Inhaftierung seines Vaters, seine Ausreise aus Ägypten nach seiner Freilassung und seiner Übersiedlung nach Wien. Bassams Mutter blieb zurück und ist in vielerlei Hinsicht der emotionale Anker des Films. Sie wirkt ruhig und gelassen, ist aber sichtlich gezeichnet von Jahren der Verlassenheit und des Schweigens.  

Wie in den beiden anderen Filmen steht auch hier eine übergeordnete Frage im Vordergrund: Was macht staatliche Gewalt mit einer Gesellschaft? Ob die Machtlosigkeit des Protagonisten angesichts der Zwangsräumung in „Seeking Haven for Mr. Rambo“, die ziellosen „Geister“ in „Perfumed with Mint“ oder die zerbrochene Familie in „Abo Zaabal 89“ – jede Geschichte thematisiert die nachhaltigen Folgen autoritärer Kontrolle für Körper, Familien und die kollektive Zukunft. 

Mortada schafft es zudem, seinen Blick über den Fall seiner Eltern hinaus zu erweitern und mit anderen ehemaligen Häftlingen und deren Kindern zu sprechen. Es entsteht eine Art Kartierung der Generationen – ein Mosaik von Leben, die auf unterschiedliche Weise vom gleichen Trauma geprägt sind. Und obwohl der Film die Vergangenheit thematisiert, hallt er auch in der Gegenwart nach. 

Es ist unmöglich, Bassam und seinen Vater Mahmoud zu sehen, ohne an Alaa Abd El-Fattah und andere politische Gefangene in Ägypten und anderswo zu denken. Obwohl sie nie explizit erwähnt werden, steht der Film im Dialog mit diesen Fällen und erinnert das Publikum daran, dass Geschichte nichts ist, was hinter uns liegt, sondern etwas, das sich wiederholt und wiederkehrt.  

 

Dieser Artikel ist eine bearbeitete Übersetzung des Englischen Originals. Übersetzung von Clara Taxis.

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