Tanz auf dem Vulkan

Ungefähr 10 Prozent der Ägypter sind koptische Christen. Entgegen der Darstellung der Regierung, Kopten und Muslime lebten im Einklang miteinander, kommt es tatsächlich aber immer wieder zu Spannungen, wie Nelly Youssef aus Kairo berichtet.

Ungefähr 10 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind koptische Christen. Entgegen der offiziellen Darstellung der Regierung, Kopten und Muslime lebten im Einklang miteinander, kommt es tatsächlich immer wieder zu Spannungen zwischen beiden Religionsgruppen. Von Nelly Youssef

Der koptische Papst Shenouda III., Foto: www.coptic-churches.ch
Papst Shenouda III. ist die höchste Autorität der koptischen Kirche und gilt als der 116. Nachfolger des Evangelisten Markus, der das Christentum nach Ägypten brachte

​​Während der Wahlen zum ägyptischen Parlament erregte ein in Alexandria aufgeführtes Theaterstück den Zorn vieler Muslime. Es handelte von einem jungen Kopten, der zum Islam konvertiert, dann jedoch zum Christentum zurückkehrt, weil er den Islam abstoßend findet.

Die islamische Religion erscheint darin in keinem guten Licht, und das Stück beinhaltet Beleidigungen des Propheten Muhammad. Demonstranten forderten daraufhin vom Patriarchen der koptisch-orthodoxen Kirche eine Entschuldigung für das Theaterstück, das auch auf CDs vertrieben wurde.

Die Kirche lehnte es jedoch ab, sich für das Bühnenstück zu entschuldigen. Neuerliche Demonstrationen folgten. Einige der 5.000 muslimischen Demonstranten ließen sich schließlich zu gewaltsamen Übergriffen hinreißen. Mehrere Kopten und Muslime wurden verletzt.

Dies war das erste Mal, dass es in Ägypten zu Protesten solchen Ausmaßes von Seiten der muslimischen Bevölkerungsmehrheit kam.

Gründe für die Gewalteskalation

Die ägyptische Organisation für Menschenrechte veröffentlichte einen Bericht über die Ereignisse. In diesem werden auch Gründe genannt, die für Eskalation der Gewalt verantwortlich waren, wie das provokative Einschreiten der Sicherheitskräfte oder die Zurückhaltung der Regierung im Umgang mit der Krise – sei es, indem man versuchte, die Vorkommnisse zu vertuschen, oder indem man behauptete, die Situation würde sich von allein beruhigen. So wurde zum Teil überhaupt nicht eingegriffen.

In dem Bericht wurde den religiösen Institutionen wie der Azhar und der koptischen Kirche vorgeworfen, kein Interesse an der Untersuchung der Ursachen zu haben, die zur Verschlimmerung der Lage geführt hatten. Niemand versuche, das Phänomen zu analysieren und tatkräftig darauf hin zu wirken, dass das Geschehene sich nicht wiederhole.

Hafez Abu Sa'ada, Generalsekretär der ägyptischen Organisation für Menschenrechte, betonte gegenüber Qantara.de, wie wichtig es sei, derart heikle Themen offen und ehrlich zu diskutieren. Man habe den relevanten Stellen Vorschläge unterbreitet, wie man den Ursachen der Krise entgegenwirken und künftige Wiederholungen vermeiden könne.

Zum Beispiel sei auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, einen Ausschuss für religiöse Angelegenheiten im Parlament einzurichten, an dem einflussreiche Vertreter aus den Bereichen Medien, Bildung, Stiftungswesen und Staatssicherheit beteiligt sind, ebenso wie Vertreter der koptischen Kirche, der al-Azhar und der Nichtregierungsorganisationen.

Der Ausschuss solle sich um die Angelegenheiten der Bürger kümmern und praktische Lösungen zur Vermeidung von Konflikten zwischen den Anhängern unterschiedlicher Konfessionen und Religionen entwickeln. Außerdem müssten einheitliche Regelungen zum Bau von Gotteshäusern geschaffen werden.

Kopten werden benachteiligt

Youssef Sidhom, Chefredakteur der Wochenzeitung "Watani", der einzigen koptischen Zeitung in Ägypten, warf der Regierung vor, den Kopten eine politische Beteiligung zu erschweren. Lediglich zwei koptische Namen hätten sich auf der Kandidatenliste für die Parlamentswahlen befunden.

Die großartigen Beteuerungen während offizieller Feierlichkeiten oder Konferenzen, dass man die Minderheiten stärken wolle und ein friedliches Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen anstrebe, seien leere Rhethorik, so Sidhom.

Auch der Publizist Samir Marqus sieht die Kopten benachteiligt. Dabei gehe es nicht nur um ein Theaterstück, das die Gemüter errege. Vielmehr erschwere man den Kopten den Zugang zu Arbeitsstellen in der Regierung und dem öffentlichen Dienst.

Man behindere den Bau von Kirchen, obgleich Präsident Hosni Mubarak kürzlich einen Beschluss erließ, der die Bürgermeister beauftragt, den Kopten den Bau oder die Restaurierung von Kirchen zu erlauben.

Demnach müsse die Entscheidung über den Bau einer neuen Kirche oder die Restaurierung einer alten innerhalb von 30 Tagen nach einem entsprechenden Antrag erfolgen.

Dieser Beschluss setze ein aus osmanischer Zeit stammendes Gesetz außer Kraft, demzufolge Kopten, vor dem Bau oder der Restaurierung einer Kirche, die Zustimmung des Regierungsoberhauptes einholen müssen.

Die ägyptische Regierung, so Marqus, verdränge die Kopten seit den 50er Jahren aus der Politik, nur in seltenen Ausnahmefällen würden Regierungsämter mit Kopten besetzt. Auf diese Weise stemple der Staat die Kopten zu einer religiösen Gemeinschaft ab, die außerhalb der bürgerlichen Gemeinschaft stehe.

Mangel an Demokratie und Bürgerrechten

George Ishaq, Koordinator der "Kifaya"-Bewegung, ist überzeugt, dass das politische Klima in Ägypten - das von einem Mangel an Demokratie und freier Meinungsäußerung gekennzeichnet ist - dazu führt, dass die Menschen sich dem schwächsten Bindeglied der ägyptischen Gesellschaft zuwenden, nämlich der Religion.

Nicht nur die Kopten seien dadurch benachteiligt. Auch die Muslime litten darunter, dass das Prinzip der Gleichberechtigung in Ägypten nicht verwirklicht sei. Es gehe hier nicht um einen Streit zwischen Muslimen und Kopten, sondern um eine Kultur- und Demokratiekrise.

Ein Kopte, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt, Kopten in Ägypten erlebten täglich Beleidigungen, ohne jemals dafür eine Entschuldigung zu bekommen.

In den vergangenen 30 Jahren wurden in Ägypten gerade einmal 20 neue Kirchen gebaut. Muslimische Prediger bezeichnen die Kopten in der Freitagspredigt als Ungläubige. Kopten werden in Filmen verspottet, und die meisten koptischen Studenten fühlen sich an den ägyptischen Universitäten isoliert, weil ihre muslimischen Kommilitonen sie meiden und den Umgang mit ihnen auf ein Mindestmaß beschränken.

Scheich Ibrahim Rida, der als Prediger und Lehrer beim Ministerium für religiöse Stiftungen ("Awqaf") angestellt ist, meint, dass die Krise zwischen Muslimen und Kopten nicht durch Sicherheitsmaßnahmen oder Entschuldigungen seitens religiöser Institutionen beseitigt werden könne.

Vielmehr sei ein tiefgreifender politischer und kultureller Wandel in der Gesellschaft nötig, der den Muslimen und den Kopten ein friedliches Zusammenleben als Bürger ermöglicht.

Errichtung eines Präventionszentrums

Nabil Abd al-Fattah vom "Al-Ahram-Zentrum für Politische und Strategische Studien" ist Chefredakteur des jährlichen Berichts zur religiösen Lage in Ägypten. Er ist der Ansicht, man versuche, koptische Vereinigungen in der Diaspora als Druckmittel gegen das System zu instrumentalisieren und mit ihrer Hilfe Bewegungen des politischen Islams und deren anti-koptischen Diskurs zu bekämpfen.

Nach Abd al-Fattahs Auffassung lässt der Druck durch die Diaspora-Kopten bei den Bewegungen des politischen Islams und den religiösen Institutionen den Verdacht entstehen, im Ausland, besonders in den USA und der EU, sammelten die Kopten ihre Kräfte zum Schlag gegen das System und insbesondere die Islamisten. Dies habe zu gewalttätigen Reaktionen einiger Islamisten geführt.

Abd al-Fattah schlug die Gründung eines Präventionszentrums vor, das frühzeitig die Aufmerksamkeit auf entstehende religiöse und konfessionelle Konflikte lenken solle, um sie so zu verhindern. Auch müsse man Gesetzestexte neu abfassen, die die Bestrafung für Verunglimpfung der Religion behandeln und die Bestrafung für aufwieglerisches Verhalten verschärfen.

Christianisierungs- und Islamisierungsbewegungen

Dass sich die Situation zwischen den beiden religiösen Gruppen zuspitzt, liegt nicht zuletzt an den Christianisierungs- bzw. Islamisierungskampagnen, die neuerdings unternommen werden.

Vor wenigen Monaten demonstrierten einige hundert Kopten in Kairo dagegen, dass eine Koptin zum Islam konvertierte. Sie bezichtigten die Muslime, die Koptin entführt und zur Annahme des Islams gezwungen zu haben.

Bei einem anderen Vorfall ging es um Zeinab, einer jungen Muslimin, die von zu Hause geflüchtet war und in einer Botschaft an ihre Familie erklärte, sie sei zum Christentum übergetreten. Zeinab nahm den Namen Christine an und erklärte, sie sei konvertiert, nachdem sie durch eine Christianisierungskampagne mit der christlichen Religion in Kontakt gekommen war.

Das aufsehenerregendste Ereignis, das seit kurzem die Öffentlichkeit in Atem hält, ist die Geschichte der beiden Schwestern Marian und Christine, die zwei junge Muslime heirateten und zum Islam konvertierten. Die Mutter der beiden jungen Frauen trat im Fernsehen auf und behauptete, ihre Töchter seien entführt worden.

Kurz darauf schickten die beiden Frauen ein Videoband an den Sender, auf dem sie erklärten, sie seien aus freien Stücken zum Islam übergetreten.

All das verstärkt die Spannungen zwischen Muslimen und Kopten. In diesem Kontext stehen auch die Vorwürfe der in Ägypten aktiven Organisation für Persönlichkeitsrechte gegenüber dem Innenministerium, das die Rechte der ägyptischen Bürger, die zum Islam oder zum Christentum konvertieren wollen, verletze, indem es ihnen untersagt, sich zu ihrem wahren Glauben zu bekennen. Und das, obwohl einige von ihnen sogar Gerichtsbeschlüsse eingeholt haben, die ihnen dieses Recht verbürgen.

Der Publizist und Historiker Yunan Labib Rizq kommentiert hierzu lakonisch: "Während man sich überall auf der Welt mit Fortschritt und Technologie befasst, beschäftigen wir uns hier damit, wer nun gerade zum Islam übergetreten und wer Kopte geworden ist – das sind deutliche Anzeichen von Rückschrittlichkeit, denn religiöse Fragen sind Privatangelegenheit der Bürger. Und schließlich besteht in der Religion kein Zwang!"

Nelly Youssef

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2006

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