Talentförderung unter Lebensgefahr
Ende 2004 gründete der irakische Filmemacher Kasim Abid eine unabhängige Filmschule in Bagdad, in der Irakerinnen und Iraker zu Regisseuren oder Kameraleuten ausgebildet werden. Abdul-Ahmad Rashid sprach mit ihm über die Schule und die Arbeitsbedingungen im Irak.
Wie kam es zu der Idee, das "Independent Film and Television College" zu gründen?
Kasim Abid: Nach dem Krieg gab es viele Diskussionen darüber, was wir als Iraker für den Irak tun könnten. Wir, die wir im Westen leben, verfügen über Ausbildungen und Erfahrung.
Welche waren ihre größten Probleme in der Anfangsphase?
Abid: Um einen Film zu machen, benötigt man Ausrüstung und Geld. Während der Sanktionierung ging all das verloren, und viele irakische Filmemacher kämpften ums berufliche Überleben. Die Zerstörung während der Sanktionierung und während des Krieges war enorm. Als wir zurückkamen, war sämtliches Equipment gestohlen oder verbrannt worden.
Wie stark sind Sie in die Entwicklung des Colleges mit eingebunden?
Abid: Ich habe den Irak 1974 verlassen, um Film zu studieren. 2003 kam ich gemeinsam mit meiner Kollegin Maysoon Pachachi zurück. Das College wird von uns beiden geleitet. Damals hatten wir vor, sechs oder sieben Kurse im Jahr anzubieten. Letztlich boten wir auf Grund der Sicherheitslage nur einen Kurs jährlich an.
Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Institut?
Abid: Wir wollen den talentierten jungen Leuten mit kreativem Potenzial durch professionelles Training helfen, ihre Ideen und Geschichten auf die Leinwand zu bringen. Es dauert Tage, um einen Drehtag zu organisieren, manchmal auch Wochen, da wir sehr um die Sicherheit unserer Studenten besorgt sind.
Unsere Unterrichtseinheiten für Ton und Kamera haben wir auf unserem Institutsdach zwischen Satellitenschüsseln und Kabeln abgehalten, nicht auf offener Straße. Aus dem ersten Kurs sind vier Dokumentarfilme hervor gegangen, die in England, den USA, Deutschland und der Schweiz ausgestrahlt wurden.
Die Menschen können den Irak so aus einem anderen Blickwinkel erleben. Wir zeigen kleine Details, Probleme, mit denen wir Iraker jeden Tag zu kämpfen haben, um zu überleben.
Wie viele Studenten haben Sie und in welchem Alter sind sie?
Abid: Wir nehmen nur Studenten im Alter von 25 bis 30 Jahren auf. Mindestens ein Viertel davon Frauen, da wir glauben, dass das Thema "Frauen" in der arabischen Welt sehr komplex ist, weshalb wir weibliche Studentinnen dabei unterstützen wollen, sich diesem Thema zu widmen und es auf die Leinwand zu bringen. Wir nehmen zwischen 20 und 25 Studenten in unsere Intensiv-Kurse auf. In Dreiergruppen sollen sie dann ein Projekt, einen Film machen.
Sie sagten, Sie hätten vier Filme verwirklicht. Was sind das für Filme?
Abid: Es gibt den Film "Baghdad days" von Hiba Bassem, der zwei Preise gewonnen hat: einen Goldenen Preis beim Arabischen Filmfestival in Rotterdam und einen Silbernen Preis beim Internationalen Filmfestival von al-Dschasira in Katar in der Kategorie "Neue Horizonte".
Dann gibt es den Film "Hiwar". Er zeigt ein irakisches Zentrum für zeitgenössische Kunst, Musik und Film. Regie führte unsere Studentin Kifaya Saleh. Der dritte Film, "Omar is my friend", handelt von einem Studenten, der in Bagdad als Taxifahrer arbeitet, um seine Frau und vier Töchter zu unterstützen. Der vierte Film heißt "Let the Show begin", und beschäftigt sich mit dem irakischen Kurzfilmfestival.
Welche neuen Projekte planen Sie?
Abid: Im letzten Jahr haben wir mit einem zweiten Kurs für Dokumentarfilm begonnen. Die Explosion in den heiligen Stätten von Samarra geschah einige Tage, bevor wir mit dem Kurs anfingen. Ich wusste nicht, ob ich mit dem Kurs fortfahren würde, da die Sicherheitssituation in Bagdad völlig kollabiert ist.
Die konfessionell begründete Gewalt in Bagdad ist mittlerweile so angestiegen, dass man getötet werden kann, nur weil man Omar oder Osman heißt (dezidiert sunnitische Namen; Anm.d.Red.), oder weil man Ali oder Hussein (schiitische Namen; Anm.d.Red.) heißt. Also fragte ich die Studenten: "Wollt ihr weitermachen?", und alle haben "Ja" gesagt.
Warum? Welche Intention hatten die Studenten, trotz der Gefahr ihre Arbeit fortführen?
Abid: Die meisten der Studenten kamen von der Kunstakademie. Sie haben dort vier Jahre lang Film studiert, ohne je einen Film zu verwirklichen. Sie kamen zu uns, um Filme zu machen. Hiba Bassem hat inzwischen ihren zweiten Film vollendet, genauso wie Munaf Shaker. Diese Filme werden bald bei Al-Dschasira International gezeigt.
Wie finanzieren Sie sich? Bezahlen die Studenten für die Kurse?
Abid: Die Kurse sind kostenfrei. Wir erhalten Gelder aus der Spendenorganisation für Medien, von einigen Bildungsinstitutionen in Großbritannien sowie von der Britischen Handelskammer.
Werden Sie von der irakischen Regierung unterstützt?
Abid: Die Regierung zahlt keinen Penny. Sie unterstützen das Kino nicht, sie unterstützen religiöse Veranstaltungen. Film ist etwas, was ihren Vorstellungen sehr fern ist. Wir erhalten außerdem Spenden von Künstlern, Filmemachern oder Privatpersonen.
Wie viel Geld benötigen Sie etwa pro Jahr?
Abid: Etwa 50.000 - 60.000 Dollar im Jahr. Jetzt, wo die Schule in Bagdad leer steht, müssen wir trotzdem für die Miete aufkommen. Ich habe Bagdad im letzten Jahr verlassen, weil es zu gefährlich wurde. Ich konnte mit der Situation nicht mehr umgehen. Einer meiner Brüder wurde entführt und getötet, ein anderer Bruder wurde von religiösen Extremisten bedroht. Unsere Familie zerbrach. Meine Schwester hat das Land verlassen und lebt jetzt in Damaskus.
Wurden Ihre Studenten von Extremisten bedroht?
Abid: Wir fordern die Studenten immer dazu auf, an möglichst sicheren Orten zu arbeiten. Vor einigen Wochen hat einer unserer Studenten in einem Café gefilmt, als auf der Straße eine Bombe explodierte und das Café einstürzte. Er filmte weiter.
Später kamen zwei Leute auf ihn zu und nahmen ihm die Kamera und die Bänder ab. Sie zwangen ihn mitzukommen, doch er konnte fliehen, und sie schossen auf ihn. Er ist jetzt im Krankenhaus und wird vielleicht ein Bein verlieren.
Sie sagten, Sie planen Ihre Schule nach Damaskus verlagern?
Abid: Wir überlegen, das College vorübergehend zu verlegen. Wenn sich die Situation in Bagdad beruhigt hat, werden wir zurückkehren. Im Herbst wollen wir einen neuen Kurs für Dokumentarfilm beginnen und werden einige Studenten aus dem Irak mitbringen. In Damaskus gibt es über eine Million Iraker und eine Menge irakischer Filmschaffender, die nur darauf warten, dass wir mit unseren Kursen beginnen.
Haben Ihre Studenten eine reelle Chance auf eine Arbeit, nachdem sie Ihre Kurse absolviert haben?
Abid: Ja. Munaf Shaker arbeitet für die Mustansiriya-University an der Fakultät für Medien und Film. Hiba Bassem hat zunächst für Hurra-TV in Bagdad gearbeitet, aber vor zwei Monaten das Land verlassen. Auch sie ist bedroht worden. Einige ehemalige Studenten arbeiten freiberuflich als Kameraleute oder Regisseure.
In Bagdad ist es sehr gefährlich, auf offener Straße eine Kamera in der Hand zu halten. Vielleicht gefährlicher, als eine Kalaschnikow. Die Amerikaner denken, man filmt im Auftrag der Terroristen, die Terroristen denken, du arbeitest für die Amerikaner. Der irakische Geheimdienst denkt, du filmst entweder für die Terroristen oder die Amerikaner. Es ist ein Dilemma.
Interview: Abdul-Ahmad Rashid
Aus dem Englischen von Rasha Khayat
© Qantara.de 2007
Qantara.de
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www
Independent Film and Television College (engl./arab.)