Ent-Täuschungen im Nahen und Mittleren Osten
Abseits der Festivalmoden und eines offiziell verordneten Kinos entwickelt sich im Nahen und Mittleren Osten eine moderne Film- und Videokultur, in der Klischees hinterfragt werden und persönliche Sichtweisen im Vordergrund stehen. Amin Farzanefar stellt einige Kunstfilmer vor.
In den Werken der Libanesen Akram Zaatari und Walid Raad, des Ägypters Hassan Khan, des Iraners Maani Petgar und anderer Kunstfilmer präsentiert sich der Nahe und Mittlere Osten - abseits der von den autokratischen Regimes vermittelten Images - als dynamische, mobile Region, die eigene Formen der Moderne praktiziert: bestimmt von globalen Kapitalströmen und von neuen Medien – Fernsehen, Handy und Laptop finden sich auch bei Beduinen und Nomaden.
Die Bilderflut der urbanen Werbeplakate spricht sowieso jenem Verständnis Hohn, welches das Bilderverbot noch für relevant hält. Die im Westen so hoch gehängten Begriffe "Islam" und "Islamismus" sind hier nur einzelne Komponenten, die das gesellschaftliche Ganze höchst unzureichend umreißen.
Nun ist es eine Binsenweisheit, dass die vereinfachenden Wahrnehmungsmuster des Westens die Vielfalt der Region nicht angemessen wiedergeben: Allein der Iran und die arabische Welt sind zwei völlig verschiedene Kulturräume mit eigener politischer und kultureller Geschichte. Gibt es dennoch, abseits des für die Filmkunst wenig bedeutsamen Faktors "Islam" ein verbindendes Element?
Definitionen hinterfragen
Was sich wie ein Roter Faden durch die moderne Film- und Videokunst zieht, ist ein eigentümlich "dekonstruktivistischer" Ansatz, ein Spiel mit (offiziellen) Wahrheiten und Realitäten.
Viele der Filmemacher eint das Bestreben, klare Begrifflichkeiten, eindeutige Definitionen von Nation, Geschichte, Biografie und Identität etc. zu hinterfragen und aufzulösen.
Ein häufiges Mittel ist für sie das Collagieren: Da werden persönliche Erinnerungen, Tagebuchaufzeichnungen aufgenommen und von Medienbildern überlagert; da mischen sich Fernsehaufzeichnungen und Filmdokumente unmerklich mit nachinszenierten, erdichteten und gefälschten Ereignissen.
Walid Raads "Hostage: The bachar tapes" etwa ist das fingierte Videotagebuch einer Geisel im libanesischen Bürgerkrieg. Die Entführung gab es tatsächlich, doch was Bachar, der vorgeblich einzige arabische Gefangene, dann berichtet, ist einigermaßen skurril: In seiner Erzählung löst sich die allmähliche physische Zurückhaltung, ja der Ekel der amerikanischen Geiseln vor dem Körper des Orientalen nach einigen Wochen in einer homosexuellen Orgie auf.
Diese "Mockumentary" – gefälschte Dokumentation - hat vielerlei Anspielebenen: kulturell verschiedene Konzepte von Körperlichkeit, sexuelle Phantasien über die andere Ethnie, Rassismus, und natürlich gibt es einen Bezug zu Abu Ghuraib.
Flimmern zwischen Sein und Schein
Bei dem Iraner Maani Petgar erscheint die große Sonnenfinsternis von 2000 als vielschichtige Metapher. "An eclipse which dropped from the sky" zeigt zuerst die ununterbrochenen, wortreichen aber nichts sagenden Kommentare der zwischen unterschiedlichen Experten hin- und herzappenden iranischen Fernsehsender, die in dem imposanten Himmelsereignis eine Manifestation Gottes erkennen wollen. Petgaar verliert das Interesse und schwenkt seine Kamera vom Fernseher auf einen kleinen kranken Spatz ...
Mit ähnlich einfachen Mitteln arbeitet Jalal Toufic: "Saving face" dokumentiert, wie alte libanesische Wahlplakate mit den Slogans und Kandidaten von gestern abgeschabt werden. Wenn darunter Politiker von vorgestern auftauchen, dann wird nicht nur Geschichte freigelegt, es entstehen auch neue Gesichter, neue Politiker - aus hier einem Auge, dort einem Kinn, da einem Jackett.
Durch solche Täuschungen und Überlagerungen entsteht ein vielschichtiges Palimpsest, das den Eindeutigkeiten, Simplifizierungen und auch dem Wahrheitsanspruch der Medien zuwiderläuft – ein über die Kulturgrenzen hinausgreifendes Thema.
Weitergedacht ist diese Auflösung, dieses Oszillieren und Flimmern zwischen Schein, Sein und weiteren Positionen auch ein Gegenprogramm zu den monolithischen, starren und autoritären Regierungsformen der Region.
Einen möglichen Vorwurf muss man dabei entkräften: Der kreative Umgang mit neuen Medien hat tiefergehende Ursachen als nur das Andienen an die Moden des westlichen Kunstmarktes.
Dahinter stehen Belange des Einzelnen, der Individualisierung; der Wunsch nach Fragen statt Parolen: "Was ist der Libanon eigentlich - für mich?", "Wie ist das mit dem Nahostkonflikt - für mich?".
Der Iraker Sinan Antoon etwa kehrt aus dem Exil zurück, und spürt in seiner Dokumentation dem Zeitgeist der Ent-Saddamisierung nach. "About Baghdad” ist ein hautnah und spontan gefilmter Essay, der Raum lässt für Fragen, Widersprüche - und eine heftig diskutierende Zivilbevölkerung.
Wie Antoon kultivieren viele der jüngeren Filmemacher eine Sicht, die zugleich nüchtern und radikal subjektiv ist, und damit diametral entgegengesetzt zu der Masse der medial versendeten, kollektiv verordneten und emotional überladenen Bild-Botschaften. Auch solche Ent-Täuschungen sind ein globales Thema.
Amin Farzanefar
© Qantara.de 2005
Die hier genannten Filme waren Ende Oktober während der Kölner Kunstfilmbiennale im Rahmen der von Catherine David kuratierten Reihe "Vision und Wirklichkeit" zu sehen. Die Leiterin der Documenta X leitet seit 1998 das Langzeitprojekt "Contemporary Arab Representation", das sich mit Fragen der Eigen- und Fremdwahrnehmung der Region beschäftigt. Nach zwei Projekten zu Kairo und Beirut wendet sich David ab dem 17. Dezember dem Irak zu. Im Berliner Museum Kunstwerke veranstaltet sie "The Iraqi Equation".
Qantara.de
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Website der Kölner Kunstfilmbiennale