Libanesische Zivilgesellschaft als Zaungast?
Wurde die libanesische Zivilgesellschaft durch den Krieg im Libanon gestärkt? Wie werden sich Staat und Zivilgesellschaft die Rolle des Wiederaufbaus aufteilen? Darüber sprach Anne Schober mit Bernhard Hillenkamp, Mitarbeiter der Organisation Save the Children Sweden, die sich im Südlibanon engagiert.
Der Libanon ist auf fast allen Ebenen des politischen und sozialen Lebens durch die Trennung in konfessionelle Gruppen gekennzeichnet. Spiegelt sich diese Trennung auch in der Zivilgesellschaft und in der Flüchtlingshilfe wider?
Bernhard Hillenkamp: Die libanesische Zivilgesellschaft ist in zwei Fraktionen gespalten, eine politische Fraktion westlicher Prägung und eine traditionelle, die durch Zugehörigkeiten zu Klans und klientelistischen Netzwerken gekennzeichnet ist. Genau diese Zweiteilung hat sich auch in der Nothilfe widergespiegelt.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Stadt Saida, wo die Hariri Foundation und die Stadtverwaltung nicht bereit waren, miteinander zu kooperieren.
Aber es gab auch kleine überkonfessionelle und vorwiegend studentische Gruppen, wie die Al-Muwatinun (die Staatsbürger), die ihr eigenes Programm durchsetzten und ungeachtet der konfessionellen Zugehörigkeit Nothilfe für alle leisteten. Dafür nutzten sie ihre Kontakte zu internationalen NROs, erhielten aber auch Hilfe aus dem Bekanntenkreis.
Vielleicht stehen diese Gruppen für den Beginn einer alternativen Bewegung der Zivilgesellschaft. Ganz sicher wird es auch einzelne neue Gruppen geben, die aus dieser positiven Erfahrung der überkonfessionellen Zusammenarbeit entstehen.
Da Nothilfe jedoch die unterste Stufe entwicklungspolitischen Engagements ist, glaube ich nicht, dass der Krieg wirklich positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft haben wird. Vielmehr erwarte ich, dass alles in die herkömmlichen konfessionell klientelistischen Strukturen zurückfallen wird.
Der Rückzug der syrischen Armee aus dem Libanon weckte bei vielen Libanesen die Hoffnung auf einen nationalen Dialog und die Demokratisierung des Landes. Wie kann und wird sich die libanesische Zivilgesellschaft jetzt nach dem Krieg politisch weiterentwickeln?
Hillenkamp: Der Krieg war hoffentlich das letzte Glied in einer langen Kette von Enttäuschungen für die Entwicklung der libanesischen Zivilgesellschaft. Nach dem Rückzug der Syrer war man optimistisch, dass es zu einem demokratischen, weniger konfessionellen Libanon kommen würde.
Aber schon die Parlamentswahlen, die ab Mai 2005 durchgeführt wurden, waren so konfessionell wie immer. Danach zeigte der nationale Dialog, dass bestimmte Interessensgruppen, unter anderen auch die Hisbollah und pro-syrische Gruppen, nicht zu Kompromissen bereit waren.
Zum Beispiel ließ sich das Gewaltmonopol der Armee im Süden nicht durchsetzen. Die Durchsetzung nicht nur militärischer Gewaltmonopole ist jedoch die grundlegende Voraussetzung für eine Normalisierung im Libanon und den Dialog gleichberechtigter Kräfte, also auch zivilgesellschaftlicher Gruppen mit dem Staat.
Deshalb hängt die weitere Entwicklung des politischen Lebens auch von der Umsetzung der Resolution 1701 und ihrer Vorgängerresolutionen ab. In dem Moment, in dem das Gewaltmonopol bei der libanesischen Armee liegt, wird man auf dem Weg zu einer Einigung des Libanon einen Schritt weiter gekommen sein.
Es wird im Libanon nun eine intensive Diskussion um die Rolle beziehungsweise die Entwaffnung der Hisbollah geben. Die Hisbollah wurde geschwächt, und eventuell wird der Staat gestärkt aus diesem Krieg hervorgehen. Die Zivilgesellschaft selbst wird in dieser Diskussion jedoch eine untergeordnete Rolle spielen.
Generell kann man vermuten, dass die traditionellen Teile der Zivilgesellschaft, die auch Zugang zu internationalen und nationalen Hilfsgeldern haben, wie zum Beispiel die Hariri Foundation zu Saudi Arabien oder die Hisbollah zum Iran, ihr klientelistisches Netzwerk verstärkt nutzen und mehr Gelder akquirieren können.
Der andere Teil der Zivilgesellschaft, also die eher politischen Gruppen, werden sicher nicht in gleichem Maße Ressourcen für sich mobilisieren können. Deshalb wird sich der Wiederaufbau eher gegen die liberalen Akteure der Zivilgesellschaft auswirken.
Darüber hinaus wurde auch der inhaltliche Teil ihrer Arbeit um Jahre zurückgeworfen. Gruppen, die viele Jahre dafür gearbeitet haben, sich entwicklungspolitisch zu engagieren und von der Wohlfahrts- und Serviceidee zu emanzipieren, sind mit der Nothilfe und Aufbauarbeit wieder da angekommen, wo sie begannen.
Welche Rolle werden die westlichen und auch die Nachbarstaaten zukünftig bei der Finanzierung der libanesischen Zivilgesellschaft spielen?
Hillenkamp: Die Diskussion hat gerade erst begonnen. Vieles ist jetzt abhängig von der zukünftigen Rolle der Hisbollah - und ob es für sie eine politische Lösung geben wird. Das heißt, wenn es gelingt, die Hisbollah in den Staat zu integrieren, dann wird viel mehr Geld aus dem Westen ins Land fließen, als wenn sie nicht integriert würde. Im zweiten Fall würde der Libanon mehr Geld etwa aus dem Iran bekommen als aus dem Westen.
Wie teilen sich Staat und Zivilgesellschaft die Aufgaben des Wiederaufbaus? Wer wird finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten?
Hillenkamp: Während des Krieges versuchten Regierungsstellen, die Nichtregierungsorganisationen zu bevormunden. Ihnen wurde vorgeschlagen, ihre Arbeit mit dem Staat zu koordinieren. Man wollte, dass Projekte von staatlichen Stellen hätten bewilligt werden müssen.
Weder die nationalen noch die internationalen Organisationen waren allerdings bereit, sich einer Beeinflussung durch den Staat auszusetzen. Nun, nach dem Krieg, stellt sich die Frage, wer die Akteure des Wiederaufbaus sein werden - staatliche Organisationen oder internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen.
In Afghanistan konnte man gut beobachten, wie das Geld in der ersten Phase nach dem Krieg vorwiegend an Nichtregierungsorganisationen floss, und der Wiederaufbau durch diese ausgeführt wurde. Dann kam es jedoch zu einer Phase, in der versucht wurde, den Staat direkt zu unterstützen. In dieser Phase wurde das Geld für den Wiederaufbau an staatliche Institutionen verteilt.
Da es im Libanon auch zehntausende zerstörte Wohneinheiten gibt, glaube ich, dass der Staat eine prominente Rolle im Wiederaufbau spielen wird und dass viele der kleineren Organisationen nur Zaungäste sein werden.
Unter Umständen wird die Hisbollah mit ihren Institutionen partizipieren dürfen. Aber die hauptsächlichen Akteure werden die traditionellen nationalen Spieler sein, wie z.B. der Council of the South oder der Council of Reconstruction.
Interview Anne Schober
© Qantara.de 2006
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