Prinzip "Learning by doing"
Islamischer Religionsunterricht wird mittlerweile an vielen Berliner Grundschulen seit einigen Jahren abgehalten. Wie sind die Erfahrungen mit dem mitunter argwöhnisch betrachteten Unterricht? Eine Zwischenbilanz von Sabine Ripperger
Dass der Islam Teil Deutschlands und Teil Europas ist, hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf den Islamkonferenzen seit 2006 immer wieder betont. Auch die Schulpolitik kann sich dieser Einsicht nicht verschließen, dass die gesellschaftliche Realität in Deutschland vom Islam mitgeprägt wird.
In der Bundesrepublik werden je nach Bundesland unterschiedliche Formen von Religionsunterricht praktiziert. Das Berliner Modell gibt es seit dem Schuljahr 2001/02. Islamischer Religionsunterricht wird mittlerweile an 31 Berliner Grundschulen hauptsächlich in Verantwortung der Islamischen Föderation erteilt.
Unterschiedliche Konzepte
Berlin bietet, im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesländern, Religion nicht als reguläres Unterrichtsfach an den Schulen an. Daher gestalten die Religionsgemeinschaften den Unterricht in eigener Regie.
In Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern dagegen haben die Länder und die muslimischen Verbände gemeinsam die Inhalte für den islamischen Religionsunterricht erarbeitet. Die Mündigkeit des Schülers im Umgang mit Religionsfragen ist dabei oberstes Ziel.
Für Oguz Celik von der Islamischen Föderation, der selbst islamischen Religionsunterricht erteilt, geht es heute nicht mehr darum, ob ein solcher Unterricht stattfindet, sondern vor allem um das "wie".
Er betont, dass sich die Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat zunehmend verbessert habe. Mittlerweile werden die Schüler von 22 Lehrpersonen unterrichtet. Alle sind Hochschulabsolventen – Theologen, Islamwissenschaftler, Lehrer, Soziologen, Germanisten und Politologen.
Gewachsenes Interesse
Die meisten von ihnen studierten im Nebenfach Pädagogik. Im Zeitraum von 2001 bis 2007 habe die Zahl der Schüler, die den islamischen Religionsunterricht besuchen, ständig zugenommen, berichtet Celik:
"Im ersten Jahr hatten wir etwas über 70 Schüler, im Schuljahr 2002/03 hatten wir die Marke 1.500 erreicht und im Schuljahr 2003/04 waren es bereits 3.000. Und ein Jahr darauf sogar schon über 4.500", so Oguz Celik.
Der überwiegende Teil der Berliner Schüler, die den islamischen Religionsunterricht besuchen, sind türkischer Herkunft, rund ein Drittel hat arabische Wurzeln und etwa ein Prozent sind deutsche Kinder – entweder aus deutsch-türkischen, deutsch-arabischen Ehen oder Konvertiten. Rund drei Prozent der teilnehmenden Schüler und Schülerinnen weisen albanische, afghanische, bosnische und persische Wurzeln auf.
Im ersten und zweiten Jahr haben sich die Lehrer regelmäßig einmal wöchentlich getroffen, um über Probleme zu sprechen und Informationen auszutauschen, erzählt Oguz Celik. Dann wurden Arbeitsgruppen gebildet, um für die jeweilige Jahrgangsstufe Arbeits- und Unterrichtsmaterialien zu entwickeln.
Eigene Standards und Lehrmethoden
Dabei wurden eigene Standards gesetzt. "Wir haben versucht, bei der Aufarbeitung der Unterrichtseinheiten möglichst alle vier sunnitischen Rechtsschulen, und wenn es möglich war auch die schiitischen, einzubeziehen", so Celik. "Eine andere Maßnahme bestand in regelmäßigen internen und externen Fort- und Weiterbildungen."
Es ist ein beständiger Lehr- und Lernprozess – "Learning by doing". Im vergangenen Schuljahr waren die meisten Schüler, die am islamischen Religionsunterricht teilnahmen, Zweitklässler.
In den 5. und 6. Klassen nahm die Zahl der Teilnehmer ab, weil zum einen die Unterrichtsstundenzahl für die Schüler in dieser Altersgruppe zunahm und zum anderen gerade Jungen am Nachmittag lieber Fußball spielten oder anderen Hobbys nachgingen.
Durch seine Tätigkeit als Religionslehrer erfährt Celik vieles, was in den Schulen vor sich geht. So wurden in der 2. Klasse einer Grundschule in Berlin-Kreuzberg mit einem hohen Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache, die deutschen Kinder als ‚Schweinefresser' bezeichnet.
Das Problem wurde durch die Klassenlehrerin an den islamischen Religionslehrer herangetragen. Er wurde gebeten, beim Elternabend die Probleme mit den Eltern zubesprechen. Viele muslimische Eltern beschwerten sich darüber, dass sie stets mit Vorwürfen konfrontiert würden.
Im Laufe des Gesprächs schlug der islamische Religionslehrer vor, dass Eltern und Schüler sich besser kennenlernen sollten, damit die Vorurteile und Missverständnisse aufhören: "Aus diesem Gespräch entwickelte sich ein Projekt, das zum Inhalt hatte, dass sich die Eltern gegenseitig zu Hause besuchten und mehr über die Lebensumstände des anderen erfuhren", berichtet Celik.
Das Projekt führte schließlich zu einer Harmonisierung der Beziehungen zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Schülern. Sowohl die Eltern als auch die Schulleitung waren mit dem Ergebnis zufrieden.
Interkonfessionelle Zusammenarbeit im Schulbereich
Inzwischen gibt es an mehreren Schulen bereits Kooperationen zwischen evangelischen und islamischen Religionsgelehrten sowie katholischen und islamischen Religionslehrern. Gemeinsame Projekte und Unterrichtseinheiten sowie Moschee- und Kirchenbesuche gehören mittlerweile zu diesen Aktivitäten.
Nach Ansicht des Religionspädagogen Jörg Nieland aus Nordrhein-Westfalen wäre es für jedes einzelne Bundesland sinnvoll, mehr von den Erfahrungen der anderen Länder hinsichtlich der Praxis des islamischen Religionsunterrichtes zu lernen:
"Was mir auffällt ist, dass das interreligiöse Lernen offensichtlich bei den Lehrplanüberlegungen islamischer Religionsunterricht zur Zeit noch gar keine Rolle spielt", sagt Nieland und führt diesen Umstand vor allem darauf zurück:
"Das liegt natürlich auch ein bisschen an der Berliner Situation des Nebeneinanders und Nichtintegriertseins in die Schule. Die Chance, zu einer besseren Verständigung zu kommen, auch mit großer Integrationswirkung, liegt im interreligiösen Lernen unter den Religionsgemeinschaften."
Ednan Aslan, Vertragsprofessor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien, sieht eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche Integration der Muslime darin, dass sich die Kinder im islamischen Religionsunterricht "heimisch" fühlen. Dann würden sie auch die "größere Heimat" leichter und besser kennenlernen.
Sabine Ripperger
© DEUTSCHE WELLE 2008
Qantara.de
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