Der Tsunami hat den Frieden erst möglich gemacht

Der Tsunami rückte eine indonesische Provinz ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, in der seit Jahrzehnten ein blutiger Kampf um Unabhängigkeit tobte. Durch finnische Vermittlung gelang es, ein Friedensabkommen auszuhandeln. Von Hendra Pasuhuk

Der Tsunami rückte eine indonesische Provinz ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, in der seit Jahrzehnten ein blutiger Kampf um Unabhängigkeit tobte. Durch finnische Vermittlung gelang es, ein Friedensabkommen auszuhandeln. Informationen von Hendra Pasuhuk

Rebellen in Aceh liefern ihre Waffen ab; Foto: AP
Nach dem Helsinki-Abkommen müssen GAM-Anhänger bis zum Jahresende ihre Waffen abgeben

​​"Was jetzt gerade geschieht, ist etwas Erstaunliches. Ich bin überrascht, und viele Acehnesen auch. Der Friedensprozess verläuft bisher ziemlich reibungslos. Es gibt keine größeren Probleme."

Aguswandhi ist gerade nach Aceh zurückgekehrt. Er war Studentenaktivist, hat früher Protestaktionen gegen das indonesische Militär organisiert. Als die Situation zu gefährlich wurde, ging er mit Hilfe einer Menschenrechtsorganisation ins Ausland.

In England absolvierte er ein Studienjahr über Menschenrechte und Konfliktlösung. Seit einigen Wochen ist er wieder in Aceh und hilft der Aceh Monitoring Mission, AMM.

Die von der EU geführte Mission überwacht den Friedensprozess in Aceh. Nach monatelangen Verhandlungen unter Vermittlung des finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari hat die indonesische Regierung und die Bewegung Freies Aceh (GAM) im August in Helsinki ein Friedensabkommen unterzeichnet. Die GAM hat die Forderung nach Unabhängigkeit fallengelassen, Indonesien stimmte im Gegenzug Verhandlungen unter internationaler Vermittlung zu.

Aufklären über den Frieden

Die Aceh Monitoring Mission hat heute über 230 Beobachter aus der EU, der Schweiz, Norwegen und 5 asiatischen Ländern über die ganze Region verteilt. Seitdem sind Vertreter der lokalen Behörde und GAM gemeinsam unterwegs, um die Bevölkerung bis in die Dörfer über das Friedensabkommen aufzuklären.

"Die Flutwelle hat die Friedensverhandlungen zwischen Indonesien und der GAM erst möglich gemacht. Erst nach der Flutwelle haben beide Seiten ihre Sichtweise und ihre Positionen geändert. So können sie in die Verhandlung gehen", sagt Teuku Kamaruzzaman, der noch vor wenigen Monaten auf der Insel Java im Gefängnis saß.

Er war vor der Tsunami-Katastrophe GAM-Unterhändler bei Waffenstillstands-Verhandlungen mit den indonesischen Militärs. Als der Waffenstillstand scheiterte, wurde er in Aceh verhaftet und nach Java gebracht. Die Unterzeichnung des Friedensabkommens in Helsinki hat er noch im Gefängnis verfolgt.

"Der Gefängnisdirektor hat uns einen Fernseher gegeben. Wir haben dann alles live im Fernsehen gesehen. Bisher hat die indonesische Regierung gezeigt, dass sie wirklich gewillt ist, alle Vereinbarungen zu halten. Dies ist eine sehr positive, noch nie dagewesene Entwicklung", so Teuku Kamaruzzaman.

Überall trauen sich die Menschen auch in der Dunkelheit wieder auf die Straße. Die typischen Straßencafes in Banda Aceh sind abends fast voll und viele Geschäfte bleiben bis 22 Uhr noch geöffnet:

"Früher war fast niemand da. Jetzt sind wieder viele Menschen unterwegs. Sie kommen von überall außerhalb Aceh. Wir öffnen jetzt bis 23.00 Uhr, jeden Tag. Jetzt kommen neue Leute nach Aceh", erzählt eine Verkäuferin.

Ausländische Beobachter

Kamaruzzaman betont immer wieder den Unterschied zwischen einem Waffenstillstand und einem Friedensabkommen. Nach dem Helsinki-Abkommen müssen GAM-Anhänger bis zum Jahresende ihre Waffen abgeben. Im Gegenzug wird Indonesien 30.000 Soldaten und Polizisten, die in den letzten Jahren zur Aufstandsbekämpfung nach Aceh geschickt wurden, aus der Region wieder abziehen.

Dies ist nur möglich, wenn beide Seiten genug Vertrauen in den Friedensprozess haben. Dabei spielt die Anwesenheit ausländischer Beobachter eine wichtige Rolle. Lange Zeit hat sich Indonesien gegen die Anwesenheit ausländischer Beobachter gewehrt und den Konflikt in Aceh stets als "innere Angelegenheit" deklariert.

Doch der Tsunami habe der internationalen Gemeinschaft eine Möglichkeit eröffnet, endlich den Konflikt in Aceh aufzugreifen, so Aguswandhi: " Viele sind gekommen, um beim Wiederaufbau zu helfen. Aber sie können nicht sinnvoll helfen, wenn es noch Krieg gibt. Also fragte die Europäische Union, wie der Konflikt friedlich beigelegt werden kann."

Nach dem Friedensabkommen von Helsinki wurde den GAM-Rebellen eine Amnestie zugesichert. Sie bekommen ein Stück Land und eine finanzielle Unterstützung. Kamaruzzaman hat jetzt ein Büro im Regionalparlament von Aceh als GAM-Vertreter.

Allgemeine Wahlen geplant

Die Abgeordneten haben gerade einen Entwurf zum neuen Autonomie-Gesetz nach Vorgabe des Helsinki-Abkommens fertig gestellt. Der Entwurf wird jetzt nach Jakarta gebracht und muss noch vom nationalen Parlament und von der Regierung bestätigt werden. Nächstes Jahr sollen dann in Aceh allgemeine Wahlen stattfinden.

Teuku Kamaruzzaman will auf jeden Fall kandidieren. Für welches Amt weiß er noch nicht. Aguswandhi macht sich noch Sorgen. Die Beobachtermission hat zunächst nur ein Mandat bis Ende März 2006. Was geschieht, wenn die Ausländer fort sind?

Wird die GAM-Fraktion so geschlossen und diszipliniert bleiben wie bisher oder wird sich die Organisation spalten? Werden die Menschen, die jahrelang mit Waffen gekämpft haben, die Reintegrationsprogramme akzeptieren? Der Menschenrechtsaktivist Aguswandi ist vorsichtig optimistisch:

"Die Konflikte, die Auseinandersetzungen sind ja nicht über Nacht verschwunden. Da machen wir uns keine Illusion. Doch was uns sehr freut, ist die Tatsache, dass es jetzt Mechanismen gibt, wie diese Auseinandersetzungen mit friedlichen, demokratischen Mitteln ausgetragen werden können."

Hendra Pasuhuk

DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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