Polizeidienst unter der Burka
Monika Hoegen berichtet
Oberst Shafika Quaraishi hat sich an diesem Tag in einen langen warmen Rock gehüllt. Das Haar ist unter einem dickem schwarzen Schal versteckt – allerdings nicht unbedingt aus kulturell-religiösen Gründen. Es ist vielmehr das erbarmungslos kalte Wetter, das die Staatsbedienstete an diesem Dezembermorgen dazu verleitet. Wir sind in Berlin – der Stadt, der neben Oberst Shafika eine Gruppe ungewöhnlicher Touristinnen einen Besuch abstattet.
Shafika ist, wie ihre Kolleginnen, Polizistin aus Afghanistan; sie ist – genauer gesagt – Büroleiterin des Kommandanten der Nationalen Polizei im Innenministerium. Ihre Ausbildung absolvierte sie bereits 1982, fiel dann aber erst einmal dem Berufsverbot für Frauen zum Opfer, das die Taliban verhängt hatten.
Rund ein Jahr nach der diskriminierenden Sperre wurde den damaligen Herrscher jedoch klar, dass sie bei der Polizeiarbeit auf Frauen nicht verzichten konnten – denn schließlich war es Männern strikt verboten, in der Öffentlichkeit mit Frauen umzugehen oder sie gar zu durchsuchen. Und so wurde Shafika wieder eingestellt. Doch an diese Zeit erinnert sich die junge Frau nicht gerne.
Polizeidienst mit der Burka
"Wir mussten damals mit der Burka arbeiten", erzählt Shafika. "Und wir hatten nur ein kleines, dunkles Büro zur Verfügung. Unser einziger männlicher Kollege war ein älterer Polizist. Der durfte aber auch nicht mit uns sprechen, sondern nur Unterlagen hereinreichen. Wir standen unter hohem Druck. Trotzdem haben wir versucht, so gut zu arbeiten, wie es eben ging."
Nach weiteren anderthalb Jahren schickten die Taliban Shafika allerdings erneut nach Hause – wieder hatten sie ein Arbeitsverbot verhängt. Zusammen mit anderen Polizistinnen flüchtete Shafika nach Pakistan, andere wiederum überquerten die Grenze zum Iran. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes nahm Shafika ihre Arbeit unter der neuen Übergangsregierung in Afghanistan wieder auf.
"Im Vergleich zu früher ist natürlich jetzt alles ganz anders. Darüber sind wir froh", urteilt sie. "Aber es ist noch längst nicht alles besser geworden. Und für die Frauen muss sich noch viel mehr ändern."
Bei den Männern regiert auch die Macht der Gewohnheit
Shafikas Kollegin Lieutenant Colonel Wagma Saafi ist leitende Angestellte bei der Verkehrspolizei des Innenministeriums. Eine Frau als Polizistin, das lässt sich in der afghanischen Öffentlichkeit nur in kleinen Schritten durchsetzen, diese Erfahrung hat auch Wagma Saafi gemacht – und längst nicht alle Männer sind bereits für Reformen zu haben.
"Auf der Arbeitsstelle, bei uns im Innenministerium, klappt das mit den Männern gut", berichtet Wagma Saafi. "Dort herrscht eine freundliche Atmosphäre. Wir arbeiten zusammen wie Geschwister. Aber in der Gesellschaft ist das etwas anderes." Saafi fügt hinzu, dass viele Afghanen einfach nicht verstehen können, dass eine Ära endgültig zu Ende gegangen ist.
"Besonders die Analphabeten unter den Afghanen reagierten sehr abweisend auf Neuerungen. Wir können nicht einfach mit unserer Uniform auf die Straße gehen. Das würde zu viele Männer provozieren. Deshalb ziehen wir Mäntel über die Polizistenuniform, wenn wir draußen kontrollieren."
Skepsis auch in der eigenen Familie
Auch die eigene Familie tut sich zuweilen mit dem weiblichen Lieutenant Colonel noch schwer. – Wagma Saafi: "Eines Tages kamen Journalisten von der Zeitschrift Malalal und wollten Interviews und ein paar Fotos von uns Polizistinnen machen. Ich dachte, die Bilder würden nur ganz klein in der Zeitung erscheinen, doch am nächsten Tag konnte ich mich groß auf dem Titelblatt sehen – in Uniform und mit einer Kalaschnikow über der Schulter. Das Bild kursierte auf allen Basaren, jeder hat es gesehen."
So sah auch Wagma Saafis Familie die Fotos, und einige Familienmitglieder rügten die Frau. So hätte sie sich nicht präsentieren dürfen, wurde geurteilt. Wagma Saafis Brüder und auch ihr Mann, der sonst nicht gegen ihre Arbeit ist, versuchten allen Ernstes, sämtliche Zeitungen aufzukaufen. Die Polizistin nimmt es mit Humor: "Jetzt haben wir einen riesigen Zeitschriftenstapel zuhause", sagt sie. Auf keinen Fall aber lässt sich die resolute Polizistin durch solche Vorfälle von ihrem Weg abbringen.
Frauen müssen im öffentlichen Leben Position beziehen
"Die Situation ist schwierig, aber wir setzen uns dafür ein, dass noch mehr Frauen in die Polizeiakademie kommen." Es sei wichtig für den Fortschritt der afghanischen Gesellschaft, dass Polizistinnen vermehrt im öffentlichen Leben zu sehen sind und Position beziehen.
Polizistinnen könnten Frauen, die sich in schwierigen Situationen befinden, besser verstehen und ihnen bei Problemen viel besser helfen als ein Mann. Im Übrigen sähen der Koran und die afghanische Verfassung durchaus eine größere Gleichberechtigung der Frauen vor. Doch es hapere nun mal an der Umsetzung.
Hinzu kommt für die Polizistinnen in Afghanistan noch ein ganz anderes Problem: die eklatant miserable Sicherheitslage im Land. Schon in Kabul fühlen sich die Frauen nicht sicher, noch schlimmer ist die Situation im Landesinneren – dort, wo keine internationalen Schutztruppen vor Ort sind. Die Sicherheitslage müsse sich dringend verbessern, fordern die Polizistinnen. Wie sonst sollten sie ihrer Arbeit nachgehen, fragt Shafika. Denn: "Wenn wir uns als Polizistinnen schon nicht verteidigen können, wie können wir da die Gesellschaft verteidigen?"
Monika Hoegen, © Deutsche Welle / DW-WORLD.DE 2003