Schreckgespenst am Horn von Afrika

Die Bombenattentate in Uganda und die Rekrutierung von US-Bürgern brachte die somalische Islamistengruppe Al-Shabab in die internationalen Schlagzeilen. Für ihre Entstehung war die internationale Gemeinschaft jedoch mitverantwortlich. Von Alfred Hackensberger

Al-Shabab-Milizionäre in Mogadischu; Foto: AP/Farah Abdi Warsameh
"Wir wären gerne die Nummer eins": Al-Shabab ist auf Platz 41 der Terrorliste der USA.

​​ Ginge es nach dem ugandischen Präsident Yoweri Museveni, würde er am liebsten 20.000 Soldaten nach Somalia schicken, um mit der Harakat Al-Shabab al-Mudschahedeen (Die Bewegung der Jugend-Krieger) abzurechnen.

"Wir sollten sie uns vornehmen", sagte das Staatsoberhaupt auf dem 15. Treffen der Afrikanischen Union (AU) im August in Kampala. "Diese reaktionäre Gruppe hat eine Aggression in unserem Land begangen. Wir haben das Recht auf Selbstverteidigung."

Aussagen, die geprägt sind von den Anschlägen am 11. Juli in der ugandischen Hauptstadt. Während der Fernsehübertragung des WM-Finales in einem Sportclub explodierten zwei Bomben, die 76 Menschen töteten. Al-Shabab übernahm dafür die Verantwortung.

"Die Bomben von Kampala sind erst der Anfang", verlautbarte Al-Shabab-Führer Ahmed Abdi Godane in einer Radiobotschaft. Sie seien eine Racheaktion für die Gräueltaten, die die ugandische Armee an der Zivilbevölkerung Somalias begangen habe. Die AU folgte trotzdem nicht den Wünschen des ugandischen Präsidenten und stockt die in Somalia stationierte Friedenstruppe von 6.000 Soldaten um nur 2.000 weitere auf.

"Das ist keine signifikante Truppenerhöhung und bewirkt kaum etwas", meint Abdi Samatar, Professor an der Universität von Minnesota. "Bei Al-Shabab wird sich höchstens ihre Zielsetzung verhärten, gegen die Okkupation zu kämpfen".

Äthiopische Invasion

"Der Kampf gegen die Besatzer" ist für Al-Shabab von zentraler Bedeutung. "Eine von Gott gegebene Aufgabe", wie Scheich Abu Mansur, einer der Kommandeure von Al-Shabab, in einem Interview mit dem Nachrichtensender Al-Jazeera erklärte. "Wir wurden in unserem eigenen Land angegriffen und müssen uns verteidigen. Wenn wir dafür als Terroristen gelten, sind wir stolz darauf." Die USA setzte die Organisation auf ihre Terrorliste. "Schade, dass wir darauf nur Nummer 41 sind", erklärt Abu Mansur ironisch. "Wir wären gerne die Nummer eins."

Trauerbeflaggung vor dem Parlament in Kampala, Uganda, nach dem Anschlag während der WM 2010; Foto: AP/Stephan Wandera
"Die Bomben von Kampala sind erst der Anfang", verlautbarte Al-Shabab-Führer Ahmed Abdi Godane in einer Radiobotschaft.

​​ Ursprünglich war Al-Shabab eine kleine Gruppe, die der Union Islamischer Gerichte (ICU) angehörte, die 2006 die berüchtigten Warlords besiegte und dem Land nach 15 Jahren Bürgerkrieg erstmals Frieden und so etwas wie Rechtssicherheit gegeben hatte. "In dieser Zeit", erinnert sich Abdi Samatar, der aus Somalia stammende Akademiker, "gab es in Mogadischu keine gefährlichen Straßensperren mehr. Man konnte sich frei bewegen. Leider änderte das die äthiopische Invasion."

Innerhalb von nur zwei Wochen besetzten die Truppen des Nachbarlandes im Dezember 2006 die somalische Hauptstadt und setzten die Übergangsregierung (TFG) wieder ein, die sie um Hilfe gebeten hatte. "Alles mit logistischer und finanzieller Unterstützung der USA", wie Abdi Samatar meint. Es habe auch direkte militärische US-Eingriffe gegeben. Seines Wissens jedoch nur drei: "Auf führende Mitglieder der ICU, die sich versteckt hatten."

Bei einem dieser Raketenangriffe wurde Aden Hashi Ayro getötet. Er war ein populärer Führer der Union, laut US-Angaben in Afghanistan ausgebildet, und unterhielt Verbindungen zu Al-Qaida.

"Gottlose Feinde"

Der Einfall Äthiopiens sollte dem Islamismus der ICU Einhalt gebieten. Die Union der Islamistischen Gerichte wurde zwar zerschlagen, aber letztendlich provozierte man die Entstehung einer wesentlich extremeren islamistischen Gruppe.

"Äthiopien und die USA schafften die Bedingungen für all diese verrückten Kerle wie Al-Shabab", bestätigt Professor Samatar. "Wir hatten es ihnen vorher gesagt, die ICU ist ein breit gefächertes, effektives Bündnis, das man ernst nehmen sollte, um Frieden zu garantieren. Nur keiner wollte es glauben."

Nach dem Abzug der äthiopischen Truppen nutzte Al-Shabab das Machtvakuum. Die Islamisten bekamen dank ihres griffigen islamistischen Populismus Zulauf und eroberten rasch Süd- und Zentralsomalia sowie den überwiegenden Teil von Mogadischu. Die nötigen Waffen sollen aus Eritrea, dem Erzfeind Äthiopiens, geliefert worden sein.

Friedenstruppen der Afrikanischen Union auf Patrouille in Mogadischu; Foto: AP/Farah Abdi Warsameh
Friedenstruppen der Afrikanischen Union auf Patrouille in Mogadischu: In den Augen der Shabab "gottlose Feinde".

​​ Die Übergangsregierung kontrolliert in Mogadischu nur noch das Parlamentsgebäude, den Flug- und den Seehafen. Für Al-Shabab sind die stationierten AU-Friedenstruppen "gottlose Feinde". Die Übergangsregierung ist eine "Bande von Verrätern, die mit dem Feind kollaboriert". "Wir freuen uns, wenn wir ihren Soldaten schlaflose Nächte bereiten", sagte Scheich Abu Mansur. "Jede Attacke macht uns stärker und ist Gottes Wille".

Verhandlungen mit dem im Januar 2009 neu gewählten Präsidenten Scheich Ahmed Sharif kommen nicht in Frage, obwohl er einst Vorsitzender der ICU war und damals vom westlichen Ausland als Terrorist gebrandmarkt wurde. Er galt als Hoffnungsträger für die Lösung des Konflikts. "Die Regierung von Scheich Ahmed ist illegitim und korrupt", erklärte Scheich Abu Mansur. "Nur wenn sie Gott um Verzeihung bitten und mit der Waffe in der Hand an unserer Seite kämpfen, kann es Versöhnung geben".

Ablehnung in der Bevölkerung

Ziel der Al-Shabab ist die Befreiung ganz Somalias und die Einführung der Scharia, die in den bereits kontrollierten Gebieten angewandt wird. Verurteilte werden gesteinigt, gepeitscht oder auch die Hand abgehackt. Musik, Satellitenfernsehen und Fußball, auf dem Spielfeld wie am Bildschirm, sind verboten.

Prof. Abdi Samatar; Foto: MPR/Laura Yuen
"Äthiopien und die USA schafften die Bedingungen für all diese verrückten Kerle wie Al-Shabab", meint Professor Abdi Samatar von der Universität Minnesota.

​​ Gedenkstätten anderer Glaubensgemeinschaften werden zerstört. Dazu gehören Kirchen, aber auch Gräber von Sufi-Scheichen, die in kleinen Moscheen (maqamat) oft seit Jahrhunderten verehrt wurden. Sie gelten als Ausdruck des Polytheismus.

Nach Somalia soll der Islam "von Alaska und Chile bis nach Südafrika und von Japan nach Russland regieren", so Al-Shabab-Scheich Ibrahim Al-Maqdasi. Ziel sei ein weltumspannendes Kalifat, von dem das Osmanische in den 1920er Jahren als letztes verschwunden sei.

"Mit dieser religiösen Agenda", erklärt Abdi Samatar von der Universität Minnesota, "wird Al-Shabab nicht weit kommen. Die somalische Bevölkerung sieht diesen Weg als Sackgasse, denn sie hat mit ihren islamistischen Praktiken nichts zu tun."

Alfred Hackensberger

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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