Der Poet und der Tyrann aus Tunesien
Azza Zarrad ist erschöpft, weil sie die Sorgen um ihren Ehemann Taoufik Ben Brik kaum mehr erträgt. Der Kontakt zu ihm ist ihr streng verboten, obwohl er schwer krank ist. Taoufik Ben Brik leidet schon lange am so genannten Cushing Syndrom, einer Erkrankung der Nebenniere. "Ich habe ihn nur fünf Minuten sehen dürfen. Leider war das schon genug, um zu erkennen, wie es um seine Gesundheit steht. Er ist in einem ganz furchtbaren Zustand", sagt Azza Zarrad. Ihr Mann sei sehr schwach. Er habe chronischen Durchfall und brauche dringend Medikamente und eine ganz besondere Behandlung. Doch die könne er im Gefängnis nicht bekommen, da sich der Arzt dort mit dieser seltenen Krankheit gar nicht auskenne.
Schonungslose Kritik
Taoufik Ben Brik bezahlt einen hohen Preis dafür, dass er sich immer wieder mit dem mächtigsten Mann Tunesiens anlegt: Dauerpräsident Ben Ali, der gerade zum fünften Mal ins Amt gewählt wurde. Auch Taoufik Ben Brik, Jahrgang 1960 und Enfant terrible der tunesischen Kulturschaffenden, wollte schon Präsident werden – zumindest symbolisch. Es sollte ein Gag sein, ein Protest gegen die Farce des Regimes.
Mit einem Hungerstreik kämpfte er bereits vor zehn Jahren für mehr Reisefreiheit und ätzte in vielen Büchern und Artikeln für französische Zeitungen gegen Ben Ali. Zwar habe der Tunesiens Wirtschaft nach vorn gebracht, dafür aber sein Land in einen Polizeistaat verwandelt. "Als sie mir sagten, ich soll nicht mehr über die Menschen schreiben, schrieb ich über die Tiere. Als ich nicht mehr über Tiere schreiben durfte, schrieb ich über die Natur. Als man mir auch das verbot, schrieb ich über den, der mir das Schreiben verbot", sagt Ben Brik.
In der Falle
Doch Ben Ali, der Pate, wie Ben Brik ihn nennt, verzeiht keine Kritik. Während der allmächtige Präsident seine Wiederwahl feiert, wird Ben Brik Ende Oktober 2009 wegen angeblicher Fahrerflucht und sexueller Belästigung in Tunis verhaftet. Sein Anwalt William Bourdon spricht von einer Falle der Polizei mit gekauften Zeugen. Auch Ben Briks Unterschrift unter einem Vernehmungsprotokoll sei gefälscht worden. Nach einem Monat Untersuchungsarrest folgte das Urteil: sechs Monate Haft ohne Bewährung. Der Schriftsteller und Journalist solle offenbar endgültig mundtot gemacht werden, fürchtet der Anwalt. "Offenbar hat man ihn inzwischen aus dem Gefängnis der Nähe von Tunis in ein anderes Gefängnis gebracht, wo er seine endgültige Haftstrafe absitzen soll. Unten in der Wüste." Seine Familie habe allen Grund, sich um seinen Zustand Sorgen zu machen.
Komplette Kontrolle
Doch solche Kritik prallt an Tunesiens Regierungsapparat ebenso ab wie die der ausländischen Medien und Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Freilassung von Ben Brik und anderen Dissidenten einsetzen. Der Fall Ben Brik hat auch eine diplomatische Verstimmung zwischen Tunesien und dem bislang engsten Verbündeten Frankreich ausgelöst.
Als das Pariser Außenministerium sich "besorgt über die Schwierigkeiten der Journalisten und Verfechter der Menschenrechte in Tunesien" äußert, verbittet man sich in Tunis jede Einmischung in innere Angelegenheiten. Staatschef Ben Ali habe alles im Griff: die Presse, die Justiz, ja das Volk schlechthin, sagt Zouhair Belhassen, Präsidentin der Internationalen Menschenrechtsliga. "Wir haben in Tunesien ein geschlossenes Regime, eine Art Käfig, wo alle Freiheiten und alle Rechte, alle Stimmen der Opposition und der Kritik, verboten sind." Das Regime zensiere aber nicht nur die Medien, sondern mache es auch der Zivilgesellschaft unmöglich, sich nachhaltig Gehör zu verschaffen.
Unter Einsatz des eigenen Lebens
Taoufik Ben Brik ist vor allem mit seinen Provokationen berühmt geworden. Er macht die Medien in aller Welt aufmerksam, aber dadurch reagiert auch Präsident Ben Ali immer nervöser und härter. Das wiederum macht es anderen Regimekritikern in Tunesien immer schwerer. Sie halten nicht viel von Ben Briks lautem Aktivismus und fürchten, dass sie bald gar nicht mehr arbeiten können. Azza Zarrad versteht diese Sorgen. Doch sie sieht keinen anderen Ausweg mehr, als mit ihrem eigenen Leben für das ihres Mannes zu kämpfen. Zusammen mit ihrer Familie ist sie in den Hungerstreik getreten. "Trotz des ganzen internationalen Drucks droht meinem Mann nun jederzeit der Tod. Unser Hungerstreik wird so lange dauern, bis Taoufik frei ist." Egal welchen Preis sie und ihre Familie dafür zahlen müsse, so könne und dürfe es nicht weitergehen. Die ganze Welt müsse aufstehen und der tunesischen Regierung zu verstehen geben, dass es so nicht weitergehe. "Es reicht – dieses Verbrechen muss endlich aufhören."
Alexander Göbel
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