Khamenei schaltet potenzielle Widersacher aus

Mit der Präsidentschaftswahl versucht Irans Oberster Führer Ajatollah Ali Khamenei, seine Macht zu festigen. Wird ein drastischer Rückgang der Wahlbeteiligung das Ausmaß der Unzufriedenheit der Bevölkerung deutlich machen? Von Alex Vatanka

Von Alex Vatanka

Die Präsidentschaftswahlen in Iran am 18. Juni werden an den Verhältnissen im Land nichts ändern. Der Mann, der für die missliche Lage die größte Verantwortung trägt, ist der nicht demokratisch legitimierte 82-jährige Oberste Führer Ajatollah Ali Khamenei, der seit 1989 an der Macht ist und im Vorfeld der Wahl bereits signalisierte, dass er nicht möchte, dass Präsidentschaftskandidaten die iranische Außenpolitik infrage stellen.

Dass Khamenei die Zügel fest in der Hand hält, macht das von ihm geführte Kontrollgremium des Regimes, der Wächterrat, deutlich, der im Alleingang bestimmt, wer für die Präsidentschaft kandidieren darf. Zur diesjährigen Wahl hatten 552 Männer und 40 Frauen ihre Kandidatur angemeldet. Kandidatschaftsanwärter, die es wagten, Khameneis weise Führung des Regimes infrage zu stellen, wurde sogleich ausgeschlossen.

Unter ihnen war der ehemalige Präsident Mahmoud Ahmadinedschad, der nach seiner Disqualifikation sagte, dass er nicht wählen werde und diese Wahl nicht als legitim anerkenne. Ahmadinedschad wurde von der Kandidatur ausgeschlossen, obwohl er in seiner Zeit als Präsident das Regime immer gestützt und es vor Gruppen geschützt hatte, die das Land reformieren wollten. Nur sieben Männer und keine einzige Frau wurden schließlich zugelassen. Alle Kandidaten, die grünes Licht erhielten, sind Anhänger des Regimes bis auf zwei eher symbolische Reformkandidaten, die schwerlich zu radikalen Veränderungen anstacheln werden.

 

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Der Bertelsmann Transformation Index (BTI) 2020 für den Iran unterstreicht das Ausmaß der Zentralgewalt: "Der oberste Führer, der nicht vom Volk gewählt wird, genießt uneingeschränkte Macht im Iran. Er bestimmt die Innen- und Außenpolitik des Landes und kann sich kraft seiner Position in gesetzgeberische, richterliche und exekutive Entscheidungen einmischen." Aufgrund dieser Machtkonzentration landete das Land mit Platz 126 unter den Schlusslichtern der 137 Länder, deren politische Transformation das BTI-Ranking untersucht.

Die massenhafte und wahllose Disqualifikation von Kandidaten vor der diesjährigen Wahl markiert einen Rückfall in die dunklen 1980er-Jahre, als die iranischen Präsidentschaftswahlen aufgrund von Hinterzimmerabsprachen vorbestimmt waren. Da die diesjährigen Kandidaten keine echte Entscheidungsmöglichkeit bieten, wird eine rekordverdächtig tiefe Wahlbeteiligung erwartet. Bei den Wahlen 2017 und 2013 lagen die Wahlbeteiligungen bei 73 respektive 72 Prozent.

Mitte Juni dürfte die Wahlbeteiligung jedoch einbrechen, wobei die meisten Beobachter einen Rückgang auf 20 bis 30 Prozent prognostizieren. Längst kursieren in den sozialen Medien Hashtags wie "Ich werde nicht wählen". Ein Rückgang der Wahlbeteiligung von über 50 Prozent wäre in jeder Hinsicht eine ungeheure Blamage. Sogar Mitglieder des inneren Zirkels von Khamenei stellten das pauschale Ausfiltern von Kandidaten infrage.

Khamenei lässt keinen Spielraum für Überraschungen

Doch Khamenei fuhr unbeirrt fort: Er verteidigte die massenhafte Disqualifikation von Kandidaten vollumfänglich und sagte, der Wächterrat habe nur seine Arbeit getan. Er verfolgt einzig das Ziel, dass es am 18. Juni beim Urnengang nicht zu Überraschungen kommt. Alle Befürchtungen, die er möglicherweise über das Ergebnis hat, löscht Khamenei aus, indem er vorab überprüft, wer antreten darf. Gewinnen sähe Khamenei vermutlich am liebsten den 60-jährigen Ebrahim Raisi. Der Präsidentschaftskandidat ist Chef der mächtigen Justiz im Iran und wurde als Top-Anwärter auf die Nachfolge von Khamenei als oberster Führer ins Spiel gebracht.

Karikatur zur Außenpolitik des Irans (Foto: Mana Neystani/DW)
Von seinen Gegnern ausmanövriert: Bei der Suche nach einem anderen großen Namen für die Präsidentschaftskandidatur fiel der Blick der Reformisten auf Außenminister Javad Zarif. Doch seinen Gegner machten den Mitschnitt eines sensationellen, inoffiziellen Interviews, das er gegeben hatte, publik und zwangen ihn so zum Rückzug, bevor er überhaupt über eine Kandidatur nachdenken konnte, schreibt Vatanka.

Raisi trat 2017 gegen Hassan Rohani an und verlor. Raisi sicherte sich damals 38 Prozent oder 16 Millionen Wählerstimmen, ein Ergebnis, das er nicht wiederholen kann, wenn die Wahlbeteiligung so stark sinkt, wie es Umfragen vorhersagen. Sollte Raisi jedoch im Präsidentenpalast landen, wird Khamenei unabhängig davon, wie gering die Wahlbeteiligung auch war, beruhigt jedes Detail seines eigenen Nachfolgeprozesses nach seinem Tod organisieren können. Für den 82-jährigen Obersten Führer geht es beim Ausgang der Präsidentschaftswahlen nicht darum, den Wählern eine Alternative für die politischen Zukunft zu geben. Es geht darum, sicherzustellen, dass die Präsidentschaft kein Potenzial hat, seine eigenen Pläne für den Machtwechsel zu behindern.

Auch wenn in der Islamischen Republik der gewählte Präsident immer nur die zweite Geige hinter dem nicht demokratisch legitimierten Obersten Führer spielt, wacht das Amt des Präsidenten immer noch über so viel Staatsapparat, dass genug Spielraum vorhanden ist, um zum Spielverderber werden zu können. Aus diesem Grund geht Khamenei kein Risiko ein.

Die Gegner bleiben stumm

Erwartungen, dass Khamenei mit seiner Feinsteuerung des Präsidentschaftswahlprozesses ungerecht behandelte Mitglieder des Regimes gegen sich aufbringen würde, erfüllen sich nicht. Zwar ist die Wut groß, aber die wenigsten Mitglieder des Regimes wagen es, sich öffentlich zu äußern. Hassan Khomeini, ein Enkel von Ayatollah Khomeini, der 1979 die Islamische Republik gründete, übte indirekt die schärfste Kritik an Khamenei: "Sie können nicht für mich einen Kandidaten auswählen und mir sagen, dass ich für diesen stimmen soll," sagte er, ohne seine Kritik weiter auszuweiten.

 

Hassan Khomeini war als möglicher Präsidentschaftskandidat der Reformbewegung gehandelt worden, wurde aber von Khamenei gewarnt, er solle sich besser gar nicht erst die Mühe machen, sich zu registrieren. Dann fiel der Blick der Reformisten bei der Suche nach einem anderen großen Namen für die Präsidentschaftskandidatur auf Außenminister Javad Zarif. Doch seinen Gegner machten den Mitschnitt eines sensationellen, inoffiziellen Interviews, das er gegeben hatte, publik und zwangen ihn so zum Rückzug, bevor er überhaupt über eine Kandidatur nachdenken konnte. Da nun keine prominenten Kandidaten für sie bei den kommenden Wahlen antreten, entschied sich die Reformbewegung, keinen der sieben konkurrierenden Kandidaten zu unterstützen.

Die Geschichte der iranischen Reformbewegung ist tragisch. Seit 1997 und bis zu Rohanis Wiederwahl im Jahr 2017 genoß sie die volle Unterstützung des Volkes. Doch inzwischen wächst die Zahl derer, die meinen, dass eine schrittweise Reform im Iran nicht möglich ist. Inzwischen will die Mehrheit der Iraner nicht mehr an der Farce der iranischen Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Ein Boykott ist das kleinste Zeichen, das sie Khamenei senden können, und darauf scheinen die iranischen Wahlen 2021 mehr oder weniger hinauszulaufen.

Khamenei zeigt sich überrascht und hält es für notwendig zu betonen, dass der "Schlüssel für die Beständigkeit der Islamischen Republik in den beiden Worten 'islamisch' und 'Republik' liegt". Wohl weiß Khamenei, dass er jeden "republikanischen" Aspekt der "Islamischen Republik" so gut wie beendet hat, indem er das Land zu einer Art Kalifat machte. Er will es vermutlich nicht zugeben, doch das iranische Volk durchschaut dieses Spiel.

Alex Vatanka

© Qantara.de 2021

Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt

Alex Vatanka ist Direktor des Iran-Programms und Senior Fellow des Frontier Europe Program am Middle East Institute in Washington, DC und Gastautor des BTI Blogs der Bertelsmann Stiftung. Sein neues Buch "The Battle of the Ayatollahs in Iran: The United States, Foreign Policy and Political Rivalry since 1979“ ist gerade erschienen.

 

 

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