Ein schwieriges Verhältnis
Am 31. März und 23. Juni 2019 hat die "Republikanische Volkspartei" (CHP) in Istanbul die Bürgermeisterwahlen gewonnen und gleichzeitig erkannt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der kurdisch-progressiven "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) ist, um politisch stärker zu werden.
Dabei muss betont werden, dass die Unterstützung der HDP für den Wahlsieg der CHP von entscheidender Bedeutung war. Erst dass die CHP von den Kurden so unterstützt wurde, machte ihren Sieg möglich, da die HDP in großen westtürkischen Städten keine eigenen Kandidaten aufgestellt hatte. Die Parteiführung der HDP rief ihre Basis dazu auf, der CHP zu helfen und für deren Kandidaten zu stimmen. Daher konnte Ekrem İmamoğlu in Istanbul auch die Stimmen vieler kurdischer Wähler für sich verbuchen. Von den etwa 4,6 Millionen Stimmen, die er erhielt, stammten 911.000 von Wählern der HDP.
Als die Istanbuler Bürgermeisterwahl dann am 23. Juni 2019 wiederholt wurde, war der Kampf um die kurdischen Wähler in vollem Gange. Sowohl die CHP als auch die regierende "Partei für Recht und Gerechtigkeit" (AKP) versuchten, diese Bevölkerungsgruppe für sich zu gewinnen. Ebenso wie ihnen wurde auch den (über 1,5 Millionen) Nichtwählern besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei setzte die AKP im Rahmen ihrer Strategie nicht auf große Parteikundgebungen, sondern warb vor allem bei der Basis um Stimmen (beispielsweise durch Hausbesuche).
Umworbene Kurden
Um beim Wettkampf um die Stimmen der Kurden ein positives Signal zu senden, hob die Regierung Anfang Mai spontan das bereits elf Jahre andauernde Verbot für Abdullah Öcalans Rechtsanwälte auf, ihren Klienten zu besuchen. Öcalan ist Chef der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und sitzt seit 1999 im Gefängnis.
Zum ersten Mal seit dieser Zeit konnte Öcalan Anfang Mai 2019 also von seinen Anwälten besucht werden. Und kurz vor den Wahlen am 23. Juni zog die AKP-Regierung erneut die "kurdische Karte": Um die HDP-Wähler zu beeinflussen, wurde eine Stellungnahme Öcalans veröffentlicht, in der er angeblich die Kurden dazu aufruft, sich neutral zu verhalten.
Trotzdem konnte die AKP die Wahl nicht gewinnen. Der CHP-Kandidat Ekrem İmamoğlu war mit einem Vorsprung von etwa neun Prozent der klare Sieger (Ekrem İmamoğlu: 54 Prozent, Binali Yıldırım: 45 Prozent).
Der Wahlerfolg der CHP löste innerhalb der Partei eine Welle des Optimismus aus. Gleichzeitig stieg der Druck auf die CHP, da mit dem Erfolg auch die Erwartungen der Bevölkerung größer wurden. Auch die HDP hofft nun auf mehr Unterstützung für die kurdische Sache.
Die HDP als Zünglein an der Waage
Der Wahlerfolg der CHP verdeutlicht auch, wie stark die Rolle der HDP als entscheidender Faktor im Kräfteverhältnis ist: Trotz ihres Status als kurdische Regionalpartei konnte sie enorm an Bedeutung gewinnen und darf nicht länger ignoriert werden.
Obwohl sie legal ist und die drittstärkste Oppositionspartei im türkischen Parlament stellt, wird die HDP seit langem vom Staat unterdrückt. Dadurch wurde sie erheblich in ihrer Handlungsfähigkeit geschwächt. Die AKP-Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan nutzte den Erfolg der HDP bei den Parlamentswahlen im Juni 2015, den Krieg gegen die PKK seit Juli 2015 und den gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016, um die HDP systematisch zu demontieren.
Außerdem führte er über das gesamte politische und bürgerrechtliche Spektrum der Kurden hinweg umfassende Säuberungen durch. Seitdem gab es zahlreiche Verhaftungen und Verbote. Davon ist nicht nur die Parteiführung betroffen, sondern auch die Basis. Tausende von Aktivisten wurden verhaftet, und über 90 HDP-Bürgermeister wurden grundlos abgesetzt sowie unter staatliche Kontrolle gestellt. Und seit November 2016 wurden der Parteiführer Selahattin Demirtaş, die Mitvorsitzende Figen Yüksekdağ und weitere Parlamentsmitglieder der HDP eingesperrt und zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Trotz dieser Repressionen gelang es der HDP, bei den Wahlen zu einem wichtigen Einflussfaktor und damit zu einer ernsthaften politischen und demokratischen Kraft in der Türkei zu werden. Obwohl sie marginalisiert und bei den Wahlen benachteiligt wurde, konnte die HDP nicht nur einen entscheidenden Beitrag zum Sieg der CHP leisten und eine Schlüsselrolle als Zünglein an der Waage spielen.
Die CHP zwischen autoritärem Kemalismus und Demokratie
Darüber hinaus gewann sie auch viele der Bürgermeisterämter im kurdischen Südosten wieder, die bisher unter staatlicher Kontrolle waren. Aber kurz nach den Wahlen annullierte der Wahlausschuss den Sieg von sechs HDP-Bürgermeistern, weil sie vorher per Dekret aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden und daher für das Amt ungeeignet seien. Diese Entscheidung wurde von der HDP völlig richtig als "willkürlich" kritisiert, da der Hohe Wahlausschuss während der Registrierung keinerlei Einspruch erhoben und die Kandidaten zur Wahl zugelassen hatte.
In erster Linie stellt sich die Frage, ob die CHP dieses mit Hilfe der HDP erlangte Wahlergebnis als gute Gelegenheit nutzt – nämlich dazu, ihre immer noch sehr rigide Einstellung gegenüber den Kurden und der HDP zu ändern und eine echte soziale und demokratische Liberalisierung und Integration der kurdischen Forderungen zu unterstützen. Dies würde der CHP mehr Möglichkeiten geben. Aber bis jetzt ist die Partei davon immer noch sehr weit entfernt. Zu einer eventuellen Zusammenarbeit mit der HDP verweigert sie jede öffentliche Aussage.
Dies hat größtenteils ideologische Gründe. Die CHP ist die historisch gewachsene Partei des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk, und sie sieht sich selbst bis heute als Beschützerin der kemalistischen Staatsideologie. Dieser ideologische Grundsatz äußert sich in erster Linie in einem rigiden türkischen Nationalismus, der sich seit der Gründung der modernen türkischen Republik für einen autoritären, allgegenwärtigen und im Kern zentral organisierten nationalistischen und säkularen Einheitsstaat einsetzt.
Innerhalb dieser Ideologie wird die kurdische Frage per se als Gefahr für die nationale und territoriale türkische Einheit angesehen, was eine kurdenfeindliche Einstellung zur Folge hat. Obwohl das politische und soziale Selbstverständnis der CHP sozialdemokratische und kurdische Elemente enthält, sind die kemalistischen und nationalistischen Kräfte innerhalb der Partei immer noch dominant. Deshalb konnte sie ihre dominante ideologische Ausrichtung noch immer nicht abstreifen.
Obwohl die CHP in den letzten Jahrzehnten mehrmals an der Regierung war, hat sie es nie riskiert, in der kurdischen Frage entscheidende Schritte zu unternehmen. So hat sie sich in ihren sogenannten Berichten über die Lage im Südosten sehr einseitig auf den konfliktfördernden Faktor der sozioökonomischen Vernachlässigung konzentriert und dabei die politische Dimension des türkisch-kurdischen Konflikts völlig ignoriert. Und als größte Oppositionspartei hat sie den Friedensprozess der AKP-Regierung mit der PKK, der in der Geschichte der modernen Republik einen Tabubruch darstellte, immer wieder kritisiert.
Zwischen den Stühlen
Darüber hinaus hat die CHP die Unterdrückung und Marginalisierung der HDP schweigend hingenommen und im Mai 2016 sogar dafür gestimmt, die Immunität der Mandatsträger aufzuheben. Gleichzeitig hat sie die militärischen Operationen, die die AKP-Regierung in den kurdischen Gebieten in Nordsyrien und im Nordirak durchführte, um die PKK zu bekämpfen und die kurdischen Landgewinne rückgängig zu machen, vehement unterstützt.
Sogar die stille Übereinkunft mit der HDP bei den Bürgermeisterwahlen wurde von der CHP nicht öffentlich bestätigt – außer dadurch, dass sich die Partei bei den Kurden, die İmamoğlu gewählt haben, bedankt hat.
Also sitzt die CHP immer noch zwischen zwei Stühlen – einerseits einem autoritären Kemalismus und andererseits dem Bedürfnis nach mehr Demokratisierung, wobei sie sich ständig darum bemühen muss, diese Gegensätze miteinander zu vereinbaren.
Vor diesem Hintergrund lässt sich auch ihr schwieriges Verhältnis zu den Kurden und zur HDP verstehen. Schafft es die CHP jedoch nicht, dieses Dilemma zu lösen und ihren ideologisch-autoritären Wertekanon durch ein liberales Verständnis von Staat, Nation und Minderheitenschutz zu ersetzen, kann von ihr kein grundlegender Beitrag zur Demokratisierung des Landes und zur Lösung der Kurdenfrage erwartet werden. Und daher kann auch die Zusammenarbeit mit der HDP nur sehr eingeschränkt stattfinden.
Die Eliten der CHP stehen immer noch vor der grundlegenden Aufgabe, das historisch gewachsene ideologische Fundament der Partei zu überwinden und auf eine echte sozialdemokratische Agenda umzustellen, so wie es teilweise bereits heute ihrem politischen Selbstverständnis entspricht.
Gülistan Gürbey
Gülistan Gürbey ist habilitierte Politikwissenschaftlerin und Privatdozentin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff