Unterprivilegiert und unerwünscht
Vor der Syrien-Krise hatte Pakistan jahrelang die höchsten Flüchtlingszahlen weltweit. Laut UN-Flüchtlingswerk UNHCR steht nun die Türkei auf Platz eins, gefolgt von Pakistan mit 1,5 Millionen gemeldeten und geschätzt einer Million unregistrierten Geflüchteten.
Die meisten kommen aus Afghanistan, wo die Flucht nach Pakistan 1972 begann. Das Ausmaß schwankte je nach dem Grad der Gewalt, die gerade tobte. Die sowjetische Invasion löste 1979 die größte Fluchtwelle aus: Damals kamen rund drei Millionen Afghanen nach Pakistan.
Pakistans großzügige Aufnahme afghanischer Flüchtlinge hat historische Gründe und wird weltweit anerkannt. Das Land, das 1947 Millionen muslimischer Migranten aus Indien aufnahm, war auch bereit, der überwiegend muslimischen Bevölkerung aus dem kriegsgebeutelten Nachbarland Zuflucht zu bieten. Generell wird anerkannt, dass die Verfassungsrechte mit wenigen Ausnahmen für Ausländer ebenso gelten wie für Pakistaner.
Diese Großzügigkeit hat eine Kehrseite, denn der islamistische Extremismus gedeiht in den Flüchtlingslagern. Viele junge Kämpfer gingen von dort nach Afghanistan zurück; andere schlossen sich extremistischen Gruppen in Pakistan an. Das ist eine bittere Konsequenz der Idee von Pakistan als Nation der südasiatischen Muslime.
Arbeit, Schulen und Krankenhäuser
Afghanische Flüchtlinge genießen in Pakistan Freizügigkeit. Der informelle Sektor bietet ihnen Arbeitsmöglichkeiten. Heute leben mehr als 70 Prozent der Flüchtlinge in Dörfern und Städten unter Pakistanern. Viele zog es in die Metropole Karatschi, wo viele Paschtunen leben. Paschto wird in Afghanistan und Pakistan gesprochen. Wegen der Flucht ist der paschtunische Bevölkerungsanteil in Karatschi gestiegen – mit Folgen für die polarisierte Politik der Stadt. Ethnische Spannungen plagen unser multiethnisches Land, und das gilt besonders für Karatschi, wo Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen immer wieder vorkommt.
Staatliche Schulen und Krankenhäuser nehmen afghanische Flüchtlinge auf. Allerdings geht die Polizei immer wieder recht grob mit ihnen um. Sie haben Probleme, Wohnraum zu mieten. Insbesondere in Zeiten sozioökonomischer Spannung werden die Flüchtlinge auch verteufelt. Viele Pakistaner machen die afghanischen Flüchtlinge für den Waffen- und Drogenhandel verantwortlich.
Für Pakistans Wirtschaft sind die Flüchtlinge eine Belastung. Das Land ist arm; das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf und Jahr liegt nur bei etwa 1.200 Dollar. Dennoch bewegen sich Flüchtlinge massenhaft frei im Land und beanspruchen knappe Ressourcen wie Land, Wasser, Energie und Arbeitsplätze. 2010 stand in einem UNHCR-Bericht, die Flüchtlinge trügen "zur beschleunigten Abnutzung von Straßen und Kanälen und einem deutlichen Anstieg des Brenn-, Kraftstoff- und Futtermittelverbrauchs" bei. Seinerzeit lebten laut UNHCR in keinem anderen Land so viele Flüchtlinge wie in Pakistan.
Immer wieder wird die Ausweisung afghanischer Flüchtlinge gefordert. Die offizielle Politik ist aber, dass die Rückkehr nur freiwillig erfolgen wird, sofern die Flüchtlinge korrekt gemeldet sind.
Damit alle Flüchtlinge erhalten, was ihnen zusteht, braucht Pakistan internationale Unterstützung. Andererseits muss die internationale Gemeinschaft Druck ausüben, damit die Regierung ihrer Verantwortung dann auch gerecht wird. Im Kampf gegen den gewalttätigen Extremismus haben Flüchtlingsrechte nicht unbedingt innenpolitische Priorität.
Überschwemmungen und Extremismus
Die große Zahl an intern Vertriebenen (IDPs – "internally displaced persons") verschärft die Probleme. Sie ist im vergangenen Jahrzehnt schnell gestiegen. Hochwasser spielten dabei ebenso eine Rolle wie Sicherheitsoperationen im Nordwesten. Das "Internal Displacement Monitoring Center" (IDMC) schätzt, Überschwemmungen hätten zwischen 2008 und 2013 an die 14 Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen gemacht.
Derzeit gibt es mehr als 1,5 Millionen registrierte IDPs in Pakistan. Die tatsächliche Zahl ist vermutlich höher. Schätzungen zufolge sind 500.000 Betroffene nicht amtlich registriert.
Nur rund 40.000 IDPs sind in staatlichen Notlagern untergebracht. Die überwiegende Mehrheit lebt in Ortschaften im Nordwesten, in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den halbautonomen Federally Administrated Tribal Areas. Für die überwiegend sehr arme Bevölkerung dort sind sie eine Last.
Angesichts der IDP-Probleme pflegen Staat, Zivilgesellschaft und Medien eine Rhetorik des nationalen Zusammenhalts. Pakistan ist aber ein multi-ethnisches Land, sodass IDPs als Konkurrenten um Arbeit und Ressourcen gesehen werden. Xenophobie gehört zum Alltag. Der pakistanischen Menschenrechtskommission bereitet die Zunahme ethnisch-motivierter Gewalt große Sorgen. In der Tat werden IDP-Rechte oft verletzt.
Zivilgesellschaftliche Gruppen aus Pakistan und dem Ausland kritisieren regelmäßig das Versagen der Zentral- und Provinzregierungen, die Rechte der IDPs zu wahren und sich über deren Nöte zu informieren. Es stimmt, dass dem Staat die Mittel fehlen, um alle IDPs zu versorgen. Die internationale Gemeinschaft und die pakistanische Zivilgesellschaft müssen helfen. Sie müssen aber auch genug Druck auf den Staat ausüben, damit dieser seine heimischen und internationalen Pflichten erfüllt.
Waqqas Mir
© Zeitschrift für Entwicklung & Zusammenarbeit 2016
Waqqas Mir ist Anwalt am High Court in Lahore.