Imperialer Reflex
Neu ist jener politisch brisante Strafprozess vor einem Gericht in New York für deutsche Leser nicht. Man konnte erfahren, dass ein türkischer Bankmanager angeklagt ist. Ein umtriebiger Goldhändler, der ursprünglich auch angeklagt war, hat sich für schuldig erklärt und ist dann zum Kronzeugen der Staatsanwaltschaft mutiert.
Die politische Brisanz des Strafverfahrens wird meist damit erklärt, dass es die Korruption im Staate Erdoğan offenlege. Bei windigen Geschäften kassierten Minister, Vertraute und die Familie des türkischen Präsidenten Prozente. Weil es um den Einkauf von Öl und Gas in Milliardenhöhe ging, bedeuteten "Prozente" für die einzelnen Nutznießer einen Geldsegen von jeweils einigen Millionen Euro. "Erdoğan unter Druck", so eine hierzulande gängige Deutung der Enthüllungen durch die amerikanische Justiz.
Unbemerkt blieben auch die heftigen Reaktionen von Recep Tayyip Erdoğan nicht. "Ein Komplott gegen die Türkei" sei dieses Gerichtsverfahren in Amerika. Washington habe sich mit der Gülen-Bewegung gegen die türkische Regierung und das ganze Land "verschworen". Die gängige Deutung dieser Äußerungen: typisches Diktatorengehabe! Wenn die eigenen Fehler aufgedeckt werden, versucht der autoritäre Machthaber, sein Volk hinter sich zu scharen, indem er die Sache als einen böswilligen Angriff aus dem Ausland darstellt.
So interessant und zutreffend die Enthüllungen über Selbstbedienung im System Erdoğan sein und so erheiternd die plumpen Abwiegelungen durch den Bloßgestellten auch wirken mögen, so gehen derartige Medienberichte doch am Kern der Geschichte vorbei.
Der Kern, das ist das weltpolitische Drama, das sich hier entfaltet. Genauer gesagt: die Geschichte steht für das Bemühen der Vereinigten Staaten von Amerika, den Gegner Iran mit Wirtschaftssanktionen zu treffen, und für die unbeabsichtigten Folgen, die diese Politik hervorbringt.
Ein iranisch-türkisches Netzwerk
Die Fakten in Kürze: im Januar 2013 landet eine Maschine aus Ghana auf dem Flughafen in Istanbul. Der türkische Zoll findet Gold an Bord. Die zugehörigen Papiere werfen die Frage auf, ob die Fracht legal ist. Türkische Ermittler nehmen sich des Falls an. Sie stoßen auf ein Netzwerk aus türkischen und iranischen Geschäftsleuten, Firmen, Banken und Politikern.
Die Spinne im Netz ist der Goldhändler Reza Zarrab aus Täbris im Nordwesten des Iran. In der geschichtsträchtigen Handelsmetropole sprechen viele sowohl persisch als türkisch, so auch der damals erst 29-jährige Zarrab. Er schuf ein kompliziertes Tauschsystem. Die Türkei bezahlte die Öl- und Gaslieferungen, die sie aus dem Iran erhielt, mit purem Gold. Zarrabs Boten brachten das Zahlungsmittel barrenweise über die Grenze in den Iran. Normale Geldüberweisungen in den Iran waren seit 2011 unmöglich, weil iranische Banken durch die Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten waren.
Am 17. Dezember 2013 schlagen die türkischen Ermittler zu. Sie nehmen Zarrab und weitere Verdächtige fest. Es ist inzwischen klar, dass dieser Tag einen Wendepunkt der türkischen Geschichte markiert. Viele der an den Ermittlungen beteiligten Polizisten und Staatsanwälte sind Anhänger der Gülen-Bewegung.
Die Strafverfolger werfen Erdoğan und seinen Leuten nun Korruption vor, weil sie an den Geschäften persönlich mitverdient haben sollen. Erdoğan begreift es als Angriff auf seine Macht. Er schlägt die Verfahren nieder. Die Beschuldigten kommen wieder frei, auch Zarrab, der seine Geschäfte prompt wieder aufnimmt. Die Polizisten und Staatsanwälte sitzen nun ihrerseits im Gefängnis, wenn sie nicht ins Ausland geflüchtet sind.
Im März 2016 begeht Zarrab die Unvorsichtigkeit, mit Frau und Tochter nach Disneyland in Florida zu reisen. Am Flughafen in Miami wird er festgenommen. Ein Jahr später verhaftet das FBI auch Mehmet Hakan Atilla, Manager der türkischen Halkbank, bei der Zarrab Konten hat. Die Amerikaner schnappen sich Atilla am Flughafen in New York. Der türkische Banker wollte offenbar an einem Fachkongress teilnehmen.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft New York gegen Zarrab und Atilla sowie die Gerichtsverhandlung Ende 2017 lassen die Geschichte nun in neuem Licht erscheinen. Es wird deutlich, wie tief die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika von Beginn an in die Sache involviert gewesen ist.
Ein "ökonomischer Dschihad"
Amerikanische Behörden waren Zarrab und seinem Netzwerk schon auf der Spur, lange bevor die türkischen Ermittler sich für die Sache interessierten. Die New Yorker Staatsanwälte zitieren eine Email, mit der Zarrab sich an die iranische Zentralbank wandte. Der Goldhändler bietet darin der iranischen Führung seine Hilfe dabei an, trotz feindlicher Sanktionen die Handelsbeziehungen Irans mit dem Ausland aufrecht zu erhalten.
Zarrab nimmt in dem Schreiben Bezug auf Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei und dessen Wort vom "ökonomischen Dschihad". Er präsentiert sich als guter Staatsbürger der Islamischen Republik, der diese Parole nur als Auftrag verstehen kann, die Sanktionen zu konterkarieren.
Diese Email ist vom 3. Dezember 2011. Außerdem zitieren die US-Ankläger Emails von iranischen Bankmitarbeitern und Vertretern der nationalen Ölgesellschaft, die im Laufe des Jahres 2011 verschickt worden seien. Darin zeigen sich die Iraner alarmiert darüber, dass Geldüberweisungen für Öllieferungen ins Ausland nicht mehr ausgeführt werden konnten. Die türkischen Ermittlungen beginnen, wie gesagt, erst im Januar 2013.
Woher haben die Amerikaner ihre Informationen? Von den Türken? Doch wohl eher von den eigenen gut ausgestatteten Geheimdiensten! Vor dem Gericht in New York sagen zwei ehemalige Top-Beamte des US-amerikanischen Finanzministeriums (Treasury) aus: Adam Szubin und David S. Cohen. Beide waren zuständig für die Bekämpfung der "Terrorfinanzierung".
Die Halkbank im Fadenkreuz der US-Ermittler
Cohen, der 2015 zum Vize-Chef der CIA aufstieg, bezeugte, er habe Atilla mehrfach vor den Iran-Geschäften der Halkbank gewarnt. Szubin wurde vor Gericht vom Verteidiger des Angeklagten Atilla ins Kreuzverhör genommen. Der Anwalt fragte ihn, wann er zum ersten Mal von Reza Zarrab gehört habe. Der frühere Top-Beamte antwortete: "Ich habe von seiner Tätigkeit auf Informationskanälen erfahren, über die zu reden ich keine Aussagegenehmigung habe."
Ebenso kam bei dem Prozess in New York heraus, dass sich eine "Fallmanagerin" des FBI namens Jennifer McReynolds um den türkischen Banker Atilla gekümmert hatte. McReynolds war auch bei der Festnahme Atillas am New Yorker Flughafen zugegen. Atillas Verteidiger beantragten die Vernehmung der FBI-Agentin vor Gericht, um mehr über das Vorgehen der US-Regierung in dem Fall herauszubekommen. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Bemerkenswert ist, dass Atilla von den türkischen Ermittlern nie einer Straftat verdächtigt wurde.
Die Vereinigten Staaten hatten bei diesem Verfahren eine andere Agenda als die zeitweise ermittelnden türkischen Behörden. Nicht die Aufdeckung von Korruption im Umfeld von Erdoğan stand für die USA im Fokus, sondern die Sanktionspolitik gegen Iran.
Atilla und Zarrab sind wegen Verstößen gegen die Iran-Sanktionen des US-Kongresses angeklagt und inzwischen für schuldig befunden worden. Das Strafmaß soll im April festgelegt werden. Das ist ein Präzedenzfall. Denn noch nie gab es ein solches Strafverfahren gegen den Geschäftsmann eines Drittstaates, das die US-Justiz vor Gericht durchzieht.
Bislang begnügte sich die Administration bei Verstößen gegen das Iran-Embargo der Vereinigten Staaten mit milderen Maßnahmen. Zum Beispiel verlangten US-Behörden von ausländischen Banken die Entlassung bestimmter Mitarbeiter, so geschehen u.a. mit der Commerzbank und der HypoVereinsbank. Oder man setzte unliebsame Personen auf eine Schwarze Liste des Treasury und machte ihnen so die Teilnahme am internationalen Zahlungsverkehr unmöglich, so geschehen etwa mit einem deutschen Geschäftsmann aus Bonn.
Schatten über dem Atomabkommen
Gegen die Banken, die der Sanktionsumgehung für schuldig befunden werden, verhängen die US-Behörden Bußgelder in Milliardenhöhe. Damit muss nun auch die türkische Halkbank rechnen.
Das harte Vorgehen der US-Behörden gegen Zarrab und Atilla steht in merkwürdigem Kontrast zu dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran, an dem die Vereinigten Staaten beteiligt sind. Auf Grund dieses Abkommens wurden die internationalen Sanktionen gegen Iran 2016 erheblich gelockert. Vermutlich dachten Zarrab und Atilla deshalb, ihnen würde bei der Einreise in die USA nichts passieren.
Aber in den Vereinigten Staaten sind die politischen Widerstände gegen einen Ausgleich mit Iran erheblich. Diese gehen nicht bloß von Präsident Trump aus, der keine Gelegenheit verpasst, um das Atomabkommen als den "schlechtesten Deal aller Zeiten" zu bezeichnen. Weite Teile des Establishments in Militär und Geheimdiensten und viele Kongressabgeordnete opponieren gegen das Abkommen und fordern schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Iran.
Der Reflex ist so alt wie die Revolution gegen den Schah vor 40 Jahren. Zusätzliche Dynamik bekam diese Politik nach den Anschlägen vom 11. September 2001 (mit denen Iran nichts zu tun hatte). In den Jahren nach den Anschlägen auf New York und Washington bekam in der US-Administration eine neue Disziplin Auftrieb, die man auf deutsch umständlich mit "Bekämpfung der Finanzströme des Terrors" umschreibt. Auf englisch heißt es kurz "financial intelligence".
Diese Disziplin richtete sich bald stärker gegen den Iran als gegen Al-Qaida. Ab 2007 gelang es den zuständigen Beamten des Treasury zunehmend, die iranischen Banken vom internationalen Zahlungsverkehr abzukoppeln. Manche Beobachter sagen, erst die Druckwirkung der Sanktionen habe das iranische Regime dazu gebracht, im Rahmen des Atomabkommens von 2015 die Urananreicherung auszusetzen.
Da mag etwas Wahres dran sein. Aber das Problem ist die Ambivalenz der amerikanischen Politik. Die US-Sanktionen richten sich nämlich nicht nur gegen das iranische Atomprogramm, sondern sie haben parallel noch ein anderes Ziel: die Schwächung der iranischen Wirtschaft insgesamt und damit die Schwächung des Regimes.
Sanktionslogik als Teil der US-Nahostpolitik
Der "regime change" wird in der Logik der amerikanischen Sanktionspolitik immer mitgedacht. Wenn, wie in den vergangenen Wochen, von wirtschaftlicher Not geplagte Iraner auf die Straße gehen und "Tod dem Diktator" rufen, glauben sich die Wortführer dieser Logik fast am Ziel.
Die Sanktionslogik ist in der amerikanischen Nahostpolitik fest verankert. Sie kommt auch im Libanon zum Tragen. US-Beamte drohen libanesischen Banken seit 2016 offen damit, sie vom Dollarverkehr abzuschneiden, wenn sie weiterhin Konten von Mitgliedern oder Unterorganisationen der pro-iranischen Hisbollah führen. Der libanesische Ministerpräsident Saad al-Hariri, ein Gegner der Hisbollah, hat Bedenken, diese Politik auf die Spitze zu treiben. Insofern hat sein erzwungener zeitweiliger Rücktritt vergangenen November einiges mit der US-Sanktionspolitik zu tun.
Nirgendwo treten die unerwünschten Nebeneffekte der amerikanischen Sanktionspolitik so deutlich zu Tage wie in der Türkei. 2011 kamen die US-Behörden den Türkeigeschäften des iranischen Goldhändlers Reza Zarrab auf die Schliche und warben bei ihren türkischen Bündnispartnern massiv dafür, gegen das Netzwerk vorzugehen.
Das hat heftige Spannungen in der türkischen Innenpolitik ausgelöst und zum Bruch zwischen Erdoğan und den Gülenisten beigetragen. Die Amerikaner hätten wohl nicht gedacht, dass ihre Politik dazu führen wird, den langjährigen Bündnispartner Erdoğan gegen sich aufzubringen und schließlich zu verlieren. Der Prozess in New York führt uns vor Augen: das Abrücken Erdoğans von den USA ist eine "unintended consequence" der Sanktionspolitik gegen den Iran. Da kann es nur ein schwacher Trost sein, wenn man dem neu gewonnenen Feind Erdoğan jetzt mit einer möglichst aggressiven Prozessführung noch eins auswischt.
Stefan Buchen
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Der Autor arbeitet als Fernsehjournalist für das ARD-Politikmagazin "Panorama".