Predigten für den wohltätigen Zweck

Der als TV-Prediger bekannte ägyptisch-stämmige Amr Khaled erfreut sich mit seinen religiösen Botschaften auch bei arabischen Jugendlichen in Deutschland großer Beliebtheit. Mona Naggar stellt ihn und seine deutschen Anhänger vor.

Amr Khaled, Foto: Ikhlas Abbis
Populär bei Muslimen in der arabischen und westlichen Welt gleichermaßen - Fernsehprediger Amr Khaled

​​Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland hat zu ihrer 27. Jahreskonferenz unter dem Motto "Muslime in Deutschland – Mittendrin und doch daneben?" eingeladen.

Die Leverkusener Sporthalle ist gut besetzt. Ein Mann steht auf der Bühne. Der Enddreißiger trägt einen dunkelgrauen Anzug, Krawatte und einen Schnauzer.

Amr Khaled hält im ägyptischen Dialekt eine Predigt. Er ist derzeit wohl der populärste Prediger in der arabischen Welt und der prominenteste Gast dieser Veranstaltung. Sein Thema an diesem Abend: Muslimische Frauen in Deutschland und Europa zwischen traditionalistischen Frauenbildern und zeitgemäßem Islamverständnis.

Der Prophet als Vorbild

Er spricht von der Unterdrückung der muslimischen Frauen, von den unislamischen Praktiken des Ehrenmords und der Zwangsheirat und vom guten Beispiel des Propheten Muhammed.

Vor allem von den anwesenden Frauen und Jugendlichen erntet er viel Applaus: "Wir verfolgen ihn im Fernsehen, besonders in Ramadan", erzählt ein Amr-Khaled-Fan begeistert. "Die ganze Familie ist überzeugt von ihm. Wir wünschen uns von ihm mehr Auftritte in Deutschland, und gerade für die jüngere Generation!"

Der 1967 in Alexandria geborene Amr Khaled ist kein Repräsentant des islamischen Establishment. Er hat keine klassische islamische theologische Ausbildung genossen, sondern Buchhalter von Beruf. Khaled besitzt auch kein besonderes Charisma, sieht eher aus wie der nette Nachbar von nebenan.

Trotzdem hat er weltweit ein Millionenpublikum. Über arabische Sattelitensender, eine eigene Website, Bücher, CDs und Kassetten verbreitet er seine Botschaft.

Auch in westliche Sprachen ist sie zugänglich. Er predigt über den Glauben, über Moral oder Prophetenbiographien, aber auch über familiäre Probleme oder das Leben der muslimischen Minderheit in Europa.

Der Islam als flexible Religion

Der Islam sei eine flexible Religion, sagt Khaled: "Wir müssen mit der Realität der Menschen umgehen. Der Islam ist fähig, sich mit der Gesellschaft zu verständigen und das Zusammenleben zu fördern. In einer meiner Predigten im Monat Ramadan, die im Fernsehen von ungefähr 20 Millionen Arabern gesehen wurde, habe ich über den Propheten Muhammed gesprochen und gesagt, dass er nach seiner Auswanderung nach Medina, die in Mekka zurückgebliebenen Muslime nicht gegen die Ungläubigen benutzt oder aufgestachelt hat."

Man müsse daher die Werte der Gesellschaft, in der man lebt respektieren, so der populäre Fernsehprediger. Dieses Beispiel habe er auf das Leben der Muslime im Westen übertragen und gesagt, dass die Muslime im Westen die Werte der Gesellschaften, in denen sie leben, respektieren müssten.

Amr Khaled benutzt eine einfache, allgemein verständliche Sprache. Hin und wieder streut er englische Ausdrücke ein. Er droht nicht mit der Höllenstrafe, sondern versucht bei seinen Zuhörern Spaß an der Religion und eine positive Einstellung zu wecken. Er gibt sich als kumpelhafter Ratgeber und nicht als strenger Religionsgelehrter.

Obwohl der junge Prediger den religiösen Diskurs der islamischen Gelehrten heutzutage kritisiert, bietet er keine Neuinterpretation des Koran und des Hadith. Sein Islamverständnis bewegt sich im Rahmen der sunnitischen Orthodoxie.

Keine Appelle an die arabischen Regierungen

Jugendliche und junge Erwachsene liegen Amr Khaled besonders am Herzen. Er verfolgt das ehrgeizige Ziel, die arabische Welt zu einem Aufschwung ("Nahda") zu führen. Aber er nimmt nicht etwa die arabischen Regierungen in die Pflicht oder fordert längst fällige politische und wirtschaftliche Reformen oder gar Demokratie ein.

Khalid ist auch kein Vertreter des politischen Islam. Er ruft in seinen Predigten junge Araber auf, selbst gegen das Problem der Arbeitslosigkeit vorzugehen. Er prangert ihre Passivität an und appelliert an sie, durch die Schaffung von Kleinstprojekten ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und der Gesellschaft nützlich zu sein.

Dazu hat er die "Lifemakers" ("sunna al-hayat") ins Leben gerufen. "Lifemakers" sammeln Kleider für Bedürftige, organisieren Essensrationen für Arme während des Fastenmonats Ramadan oder verschönern mit einer Begrünungsaktion die Universität.

"Lifemakers" in Aktion

"Ich trete nicht mit einer rein religiösen Botschaft auf", sagt er, "und ich habe eine reformerische und entwicklungspolitische Botschaft, die ich Entwicklung durch Glauben nenne. Der Glauben ist der Antrieb für Entwicklung, und man kann auf ihn nicht verzichten. Ich bin kein Mufti und ich gebe keine Rechtsgutachten über das Erlaubte und Verbotene im Islam ab. Ich möchte die arabische Jugend bewegen."

Längst haben seine Aufrufe auch junge Muslime in der westlichen Welt erreicht. Vor einigen Monaten hat sich "Lifemakers Deutschland" gegründet. Junge Muslime mit Migranten-Hintergrund aus ganz Deutschland haben ein Netzwerk von Lokalgruppen aufgebaut, die Projekte ins Leben rufen und versuchen, sie umzusetzen.

"Die Idee ist sehr simpel, und zwar, dass Jugendliche, egal in welcher Gesellschaft sie leben, sich nützlich machen", erklärt Saloua, Pressesprecherin von "Lifemakers Deutschland". Jugendliche sollten sich von dieser Passivität befreien und aktiv an der Gesellschaft teilnehmen, sagt die 23-Jährige, die derzeit ein Fernstudium der Islamwissenschaften an der Al-Azhar Universität in Kairo macht.

Zurzeit führen die Lokalgruppen von "Lifemakers Deutschland" verschiedene Projekte durch, vor allem im sozialen Bereich. Eines davon ist das Wintermärchenprojekt.

Wohltätigkeitsarbeit im nichtislamischen Umfeld

"Jeder kocht was zuhause und bringt es dann mit", berichtet Saloua. "Wir treffen uns dann und gehen zusammen zum bekannten Bonner Loch. Dort sind viele Obdachlose, auch Alkoholiker oder Drogensüchtige, die von der Gesellschaft ausgestoßen worden sind. Wir gehen dahin und verteilen Essen, suchen das Gespräch und motivieren, dass man da raus kann. Wir wollen damit auch ein anderes Bild der Muslime geben."

Saloua und ihre Freunde möchten ihre Religion praktizieren, in der deutschen Gesellschaft aktiv sein und von der nichtislamischen Umgebung akzeptiert werden. Sie engagieren sich nicht in bestehenden islamischen Strukturen in Deutschland, denn "es herrscht zuviel Theorie und man muss Richtlinien befolgen", wie Saloua sich ausdrückt.

Auch deutsche Verbände oder Parteien kommen nicht in Frage. Die jungen Muslime schaffen ihre eigene Plattform und vernetzen sich mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten in Europa und Übersee. Letzten Sommer verbrachte Saloua fünf Wochen bei den "Lifemakers" in Tanger. In den Weihnachtsferien ist ein Besuch bei den "Lifemakers" in Frankreich geplant.

Mona Naggar

© Qantara.de 2005

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