Jung, trendbewusst und tief religiös

Bei den so genannten "Popmuslimen" hat Julia Gerlach eine neue islamische Jugendkultur ausgemacht. In ihrem Buch "Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland" kommen einige selbst zu Wort.

Von Ingmar Kreisl

Sie sind in Deutschland geboren, jung und erfolgreich. Sie sind gut in die Gesellschaft integriert und tief religiös. Viele sprechen besser deutsch als die Sprache ihrer Eltern. In ihnen scheinen Moderne und Islam eine Symbiose zu bilden:

In dem Buch "Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland" stellt Julia Gerlach eine Gruppe von Muslimen vor, die ganz und gar nicht den Klischees der deutschen Mehrheitsgesellschaft entsprechen.

Unter Popislam versteht Gerlach einen "Remix" der Lebensstile. Die Popmuslime greifen westliche Musik, Mode und TV-Kultur auf, die sie jedoch "islamisieren". Was islamkonform ist, wird übernommen, "unislamische" Werte finden keinen Einzug in das Leben der Popmuslime.

Die Wurzeln dieser Bewegung liegen in der arabischen Welt, wo seit Jahren ein Trend zur Re-Islamisierung zu beobachten ist. Vor allem die perspektivlose Jugend der arabischen Metropolen sucht im Islam ihr Seelenheil. Unterstützt wird dieser Trend durch saudische TV-Kanäle und Stiftungen. Popislam ist eine der neuen islamischen Strömungen, die in scharfem Kontrast zum erzkonservativen Salafismus steht.

Amr Khaled und Yusuf al-Qaradawi als Vorbilder

Die Idole dieser neuen Jugendbewegungen sind Prediger, die wie Popstars verehrt werden. Einer von ihnen ist der ägyptische TV-Prediger Amr Khaled. Er gilt als einer der großen Vorbilder für viele junge Muslime.

Obwohl er keine klassisch-religiöse Ausbildung hat, ist er doch einer der beliebtesten Prediger der arabischen Welt. Über die arabischen Satellitenkanäle erreicht er Millionen von Gläubigen, auch in Deutschland.

Sein Ziel ist die Renaissance des Islam, Amr Khaled will die muslimischen Jugendlichen der Welt aus ihrer Existenzkrise führen. Deshalb ermutigt er die Muslime, aktiv zu werden und sich für Gesellschaft und Glauben zu engagieren. Unter dem Motto des "Zivilen Dschihad" sollen sie im Namen ihres Glaubens das Image des Islam verbessern.

Der Islam der Popmuslime mag zwar modern erscheinen, liberal ist er deshalb jedoch nicht. Im Gegenteil: Es ist ein konservativer Islam, im dem großer Wert auf Sittenstrenge, Geschlechtertrennung und Verschleierung gelegt wird.

Viele Popmuslime orientieren sich an den Weisungen und Fatwas des ägyptischen Scheichs Yusuf al-Qaradawi, einem der einflussreichsten arabischen Prediger der arabischen Welt. Obwohl er in der islamischen Welt als gemäßigt gilt, sind seine Aussagen aus westlicher Sicht oft extrem, wie sein Aufruf zum Dschihad gegen Israel während des Libanonkriegs zeigt.

Eine "muslimische Avantgarde"

Dennoch legen Popmuslime großen Wert darauf, sich von den so genannten salafistischen Strömungen zu distanzieren und lehnen deren Islam als engstirnig und rückständig ab. Popmuslime akzeptieren die Moderne und wollen an ihr teilhaben, jedoch nur innerhalb ihres konservativ-islamischen Wertekodexes.

​​Im Buch porträtiert Gerlach einige junge Muslime aus Deutschland, die als beispielhaft für die popislamische Bewegung gelten sollen. Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, sehr religiös, aber gleichzeitig erfolgreich und engagieren sich für die Gesellschaft. Noch zu einer Minderheit gehörend, beschreibt sie Gerlach als eine Art "muslimische Avantgarde".

Abgesehen von ihrer Religiosität sind sie kaum von ihren christlichen Altersgenossen zu unterscheiden. Sogar eine islamische Rapmusik ist entstanden. Ammar, ein zum Islam konvertierter Äthiopier, rappt zum Beispiel über den Propheten und den Koran und preist seine Glaubensgenossinnen, die – trotz Hidschab - moderne Jugendliche seien.

Islam steht über dem Grundgesetz

In den Interviews erzählen die Jugendlichen über ihr Leben in Deutschland, über ihre Religion und ihre Ansichten. Sie alle sehen sich als Repräsentanten eines neuen, europäischen Islam.

"Ich bin Muslim und das ist hip" lautet die Botschaft. Die jungen Muslime wollen das durch den Terror beschädigte Image des Islam in Deutschland zum Positiven ändern. Deshalb engagieren sie sich für die Gesellschaft, bieten Hausaufgabenbetreuung an und verteilen belegte Brötchen an Drogenabhängige und Obdachlose.

Auf der anderen Seite stellen Popmuslime den Islam über alles, auch über Regierung und Grundgesetz. Ihre Kinder sollen nicht am Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten teilnehmen.

Obwohl Gerlachs Buch einen guten Einblick in die Gedankenwelt junger Muslime in Deutschland gibt, bleiben jedoch einige Fragen offen. Kritische Stimmen zum Phänomen "Popmuslime" kommen im Buch zwar zu Wort, nehmen jedoch nur wenig Platz ein.

Ebenso wenig werden den im Buch befragten jungen Muslimen kritische Fragen gestellt. Gerlach erwähnt zwar, dass die Popmuslime Gott über Regierung und Gesetz stellen, kommentiert wird dies jedoch nicht. Und wie konservativ der Islam der Popmuslime tatsächlich ist, bleibt ebenfalls offen.

Ingmar Kreisl

© Qantara.de 2006

Julia Gerlach: Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland. Ch. Links Verlag. 256 Seiten