(K)Ein unbegrenzter Buchmarkt?
Marktakteure sind unentwegt auf der Suche nach Erkenntnissen, und stoßen unter anderem bei der Frage, wie Literaturaustausch in der Region gestärkt und dabei gleichzeitig mehr Interesse am Lesen geweckt werden könnte, keinesfalls auf eindeutige und unmittelbare Lösungen.
Das Online-Portal Litrix hat, anlässlich seines aktuellen Schwerpunkts Arabische Welt 2015-17 sowie der Frankfurter Buchmesse 2015, drei Experten aus dem Libanon, Ägypten und Jordanien eingeladen, um die gegenwärtigen Beschränkungen und möglichen Ansätze zur Förderung des arabischen Buchmarkts zu diskutieren.
Definitionsgrenzen sprengen
Gleich zu Beginn der Diskussion fragte Moderatorin Amira El Ahl nach dem Überschreiten von Grenzen: Böten Verlage und Buchläden mehr, als ihre Definitionen nahelegten?
Verlegerin und Inhaberin des Buchladens Al Kotob Khan in Ägypten, Karam Youssef, bestätigte, dass sie immer versuche, mit mehr aufzuwarten als nur Büchern für seriöse Leser. Al Kotob Khan in Maadi, Kairo wurde vor zehn Jahren eröffnet und ist seitdem zu einem kulturellen Treffpunkt geworden, der, laut Youssef, vor Aktivitäten wie Schreibworkshops, Filmvorführungen, Buchdiskussionen und Musikevents nur so übersprudle.
Ähnlich individuelle Vorhaben, die über traditionelle Angebote hinausgehen, verfolgt die Kinderbuchautorin und Eigentümerin des Verlags Al Khayyat Al Zaghir (gegründet 2007), Rania Zaghir (Libanon). Ihr Hauptanliegen ist es, die Dinge „in Bewegung und vergnüglich“ zu halten. Sie möchte so viel Raum zum Lesen wie nur möglich schaffen, insbesondere in Flüchtlingslagern.
Zaghir lehne es ab, sich auf die Rolle Schriftstellerin/Verlegerin reduzieren zu lassen, denn dies klinge „langweilig und unfair“. Stattdessen verstehe sie sich als Eigentümerin eines „independent play stores“. Sie wollte nicht nur Bücher produzieren, sondern den Leuten auch dabei helfen, den Weg zurück zum Lesen zu finden.
Laut Valentina Qussisiya (Jordanien), Geschäftsführerin der Abdul Hameed Shoman Stiftung, 1978 von der Arab Bank gegründet, erweiterten auch Kulturinstitutionen ihre Programme. Die Shoman Stiftung leiste durch die Organisation einer der größten Privatbibliotheken im arabischen Raum, ein Kulturforum, Filmvorführungen, Konzerte und Buchsignierstunden sowie die Prämierung arabischer Wissenschaftler ihren Beitrag zur kulturellen Innovation in der Region.
Neben ihrer Kooperation mit dem jordanischen Kulturministerium, zum Beispiel bei der Unterstützung von Buchmessen, versuche die Stiftung auch direkt mit den Menschen auf der jordanischen Straße zu arbeiten, und so Bücher und Bildung für jeden zugänglich zu machen.
Eine Fülle an Büchern – ohne Leserschaft
Auf die Frage, wie arabische Leser angesichts bestehender Einschränkungen in Vertrieb und Infrastruktur erreicht werden könnten, beschrieben die drei Redner leicht unterschiedliche, doch potenziell komplementäre Ansätze. Von vornherein, so Zaghir, müssten Bücher „sexy“ sein, um Leser zu gewinnen. Sie glaubt, dass Verlage auf Kinder und Jugendliche zugehen sollten – in Parks, Schulen und Heimen – anstatt zu warten, dass diese zu ihnen kommen. Natürlich könne aber nicht jeder erreicht und gar zu einem Buchliebhaber bekehrt werden, räumte sie ein.
Qussisiya stimmte zu, dass gerade bei jungen Lesern der Inhalt der Bücher der kritischste Faktor sei. Um Bücher zugänglicher zu machen, organisiere die Shoman Stiftung den Transport zu ihrer interaktiven Kinderbücherei und unterhalte daneben noch eine mobile Bibliothek und eine Familienbibliothek in Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium, das Bücher zu günstigeren Preisen anbiete. Zaghir und Qussisiya arbeiten seit einiger Zeit eng mit Flüchtlingen aus Syrien, Palästina und dem Irak zusammen und versuchen mit ihrem Engagement möglichst viele Regionen im Libanon beziehungsweise in Jordanien zu erreichen.
Youssef verwies auf zahlreiche Probleme im Vertrieb in Ägypten, die ihrer Meinung nach nicht „individuell gelöst“ werden könnten. Sie selbst versuche sich ihren Weg um die Schwierigkeiten des öffentlichen Transports herum zu bahnen und schaffe es tatsächlich, ihre Bücher auch außerhalb Kairos zu verkaufen.
Da die Analphabetenrate jedoch noch immer hoch und das „Lesen nicht in die Alltagsgewohnheiten eingebettet“ seien, blieben die Anzahl der Leser wie auch die Verkäufe niedrig. Trotzdem möchte Youssef Literatur veröffentlichen, die zeitlos ist, sodass sie sich nun – nach der Revolution – mehr auf Übersetzungen konzentriert, insbesondere von Werken der Philosophie und Wissenschaft, um junge Leser anzusprechen.
Qussisiya äußerte die Meinung, dass Profitabilität als Ziel hintangestellt werden müsse, zumindest gegenwärtig, bis die Menschen ihre Liebe zu Büchern wiederentdeckt hätten. Bibliothekare mit einer Leidenschaft für Bücher und Bibliotheken mit Vielfalt und vernünftigen Öffnungszeiten könnten diese Entwicklung vorantreiben.
Zensur in der Arabischen Welt
Die Zensur in der Region ist wie der Elefant im Raum, über den dann doch jeder redet. Youssef kam auf einige Fälle zu sprechen, in denen ihre Bücher von arabischen Ländern – meist im Golf – abgelehnt worden waren. „Die schlimmste Art von Zensur“, so Zaghir zum Thema, „ist diejenige, die man sich selbst auferlegt.“ Und dies, so fürchte sie, sei zumindest teilweise der Fall im arabischen Raum. Sie glaubt, dass diese Haltung schon in der Schule tief eingeimpft werde, da Lehrpläne Sektierertum und Diskriminierung förderten und somit Hass dem „anderen“ gegenüber schürten. Anders als Youssef sieht sie die Ursache für das Problem der Zensur nicht bei den Lesern, sondern den Beamten in den Bildungs- und Kulturinstitutionen.
Auf die Frage, ob E-Books möglicherweise derlei Probleme umgehen könnten, erwiderte Qussisiya, dass die Stiftung diese Option, unter Verwendung verfügbarer Plattformen wie Kotobi, Kotobarabia und die bald startende E-Book-Plattform von Google, in Erwägung gezogen habe. Der Markt existiere, denn fast jeder habe nun ein Smartphone – auch wenn die verfügbaren Inhalte zum allergrößten Teil religiöser Natur seien – aber die Verleger vertrauten diesem Format aufgrund der schwachen Lage der Urheberrechte in der Region nicht. Auch dem Onlinebezahlsystem gegenüber seien die Menschen misstrauisch, fügte Youssef hinzu.
Kooperation mit dem Staat
Um das Wachstum des arabischen Buchmarkts zu stärken und Lesen als Gewohnheit zu etablieren, so Youssef, bedürfe es einer langfristigen Strategie, die die Unterstützung der Regierung habe und sich hauptsächlich an Kinder, Familien und Schulen richte. Sie müsse auch die Eröffnung mehrerer öffentlicher Bibliotheken und Kulturzentren sowie die Einführung von Lesestunden in den Schulen beinhalten. Auch Zaghir erwartet von der Regierung größere Anstrengungen, denn individuelle Initiativen, so wertvoll diese auch seien, hätten unweigerlich einen sehr engen Wirkungsbereich. Sie zeigte sich kritisch gegenüber der Tatsache, dass Regierungen unzählige Ressourcen für Projekte ohne wirklichen literarischen Wert verschwendeten. So gäben sie Millionen für Auszeichnungen aus, anstatt zum Beispiel Bücher zu subventionieren.
Qussisiya war Auszeichnungen gegenüber weniger abgeneigt, die sie als wichtigen Anreiz für kreative Schreiber und Verleger sehe. Die Kooperation mit der Regierung hingegen erscheine ihr manchmal problematisch: „Man sollte lieber versuchen mit der Öffentlichkeit zu arbeiten, trotz so mancher guten staatlichen Initiativen wie der Familienbibliothek. Man braucht Geduld mit der Regierung und langfristige Investitionen, damit man etwas bewirken kann.“
Zum Abschluss der Diskussion befragte El Ahl die drei Literaturenthusiastinnen zu ihren persönlichen Zukunftsvisionen für den arabischen Buchmarkt. Bei der Überwindung der Vertriebsprobleme, glaubt Youssef, würden in Zukunft E-Books eine immer größere Rolle spielen. Sie hofft auch weiterhin Bücher veröffentlichen zu können, die inhaltlich wertvoll seien, und sich dabei nicht um Zahlen, sondern nur die Vermarktung Gedanken machen zu müssen. Optimistisch zeigte sich auch Qussisiya, die den Wunsch äußerte, in Zukunft mehr Bibliotheken auf den Straßen und eine stärkere Förderung von Schwerpunktwerken zu sehen. Zaghir schließlich möchte auch weiterhin „in Bewegung“ bleiben und mit ihrer Arbeit „Zauber“ entfalten. Dabei wolle sie sich stets selbst treu bleiben.
Amira Elmasry
Projektkoordinatorin Litrix, Goethe-Institut Kairo
Copyright: Goethe-Institut Kairo 2015
Übersetzung: Jana Duman