Demokratischer Wandel durch neue Unternehmereliten?
Obwohl das politische Leben der arabischen Länder in den vergangenen Jahren im Allgemeinen von erstarrter Ruhe geprägt war, kristallisierte sich doch ein wichtiges Element heraus, das das Potenzial hat innovative Kräfte freizusetzen: Unternehmerpersönlichkeiten spielen eine zunehmend einflussreiche Rolle, auch über ihre organisierten Interessenvertretungen machen sie wirtschaftlich und sozial ihren Einfluss geltend.
Ins Auge fällt hier zunächst die starke Präsenz von Unternehmern als Abgeordneten in nationalen und lokalen Parlamenten, unter anderem in Marokko, Ägypten, dem Libanon, Jordanien, dem Jemen, Kuwait und Bahrain, Länder, in denen sich bereits ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und wenigstens im Ansatz demokratisch durchgeführte Wahlen herausgebildet hat.
Der Einfluss im Parlament
Beispielsweise stieg die Zahl der Unternehmer im ägyptischen Parlament in der Legislaturperiode 1995–2000 von 37 auf 77 in der Legislaturperiode 2000–2005. (Insgesamt gibt es 444 gewählte Abgeordneten, 10 weitere werden vom Präsidenten ernannt.) In der aktuellen Legislaturperiode liegt der Anteil mit 68 Sitzen indessen wieder leicht darunter.
Im jemenitischen Parlament sind es derzeit 55 von insgesamt 301 Sitzen, zu denen man aber noch einige Abgeordnete hinzuzählen sollte, die den im Jemen einflussreichen Stämme zugehörig sind, da diese mitunter auch über große Industrie- und Handelskonzerne herrschen.
Führungsriege der herrschenden Parteien
Parallel dazu vollzieht sich der rasante Aufstieg von Geschäftsleuten in die Führungsriege der herrschenden Parteien (die Nationaldemokratische Partei in Ägypten und der Allgemeine Volkskongress im Jemen) und damit in die herrschende Elite der letztgenannten beiden Länder.
Ganz ähnlich sieht es in Tunesien mit der Regierungspartei Rassemblement Constitutionnel Démocratique (RCD) aus. In Marokko, im Libanon, in Jordanien, Kuwait und Bahrain ist diese zunehmende politische Involvierung sogar noch breitenwirksamer über Trennlinien zwischen Regierung und Opposition hinweg im Gange.
Des weiteren wurden in Abkehr von zentralstaatlich gelenkten Planwirtschaften liberale Wirtschaftspolitiken mit Privatisierungen und schrittweiser Abtretung von Privilegien an die Privatwirtschaft als Wachstumsmotor eingeführt. Dadurch gestärkt, spielen Unternehmerorganisationen mittlerweile bei Entscheidungen der Exekutive in wirtschaftlichen und sozialen Fragen und bei der Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens privatwirtschaftlicher Unternehmensaktivitäten eine immer wichtigere Rolle.
Diese Organisationsen mögen zwar sehr unterschiedliche Namen tragen - in Marokko und Tunesien nennen sie sich beispielsweise "Allgemeine Unternehmerverbände", in Ägypten, Jordanien und Kuwait "Industrie- und Handelskammer" oder "Investitionsräte" -, sie haben jedoch eins gemeinsam: Sie sind in die oberste Ebene der institutionell verankerten Partnerschaft mit den herrschenden Eliten vorgedrungen und mischen regelmäßig aktiv bei der Beschneidung staatlicher Privilegien mit.
Dabei reicht das Themenspektrum, auf das sie Einfluss nehmen, von Arbeitsmarkt und Tarifstrukturen über Sozialversicherung bis hin zu gesetzlichen Rahmenbedingungen für Privatisierungen, Handelsliberalisierung, Investitionen, Wettbewerb, Steuerbelastung und Kartellrecht. Die Liste ließe sich beliebig erweitern.
Die Tendenz der herrschenden Eliten, Unternehmer verstärkt als Minister oder auf anderen Posten in die bestehenden Machtstrukturen einzubinden, wo sie direkt Einfluss auf privatwirtschaftlich bedeutsame Entscheidungen nehmen können, hat sicherlich noch zur Festigung dieser Partnerschaft beigetragen.
Unternehmer als neue Hauptakteure
Und schließlich hat sich in der arabischen Welt in den letzten Jahren eine deutlich gestiegene Präsenz von Unternehmern als Hauptakteuren einer zwischen dem Staat und seinen Bürgern angesiedelten Ebene beobachten lassen.
Insbesondere in den Medien und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen hat dies nach und nach zumindest teilweise eine Befreiung aus dem Würgegriff des autoritären Staates ermöglicht und so neuen Freiraum geschaffen.
Heute üben nämlich nicht mehr nur im Libanon einzelne Unternehmer oder Unternehmerkollektive als Besitzer gewichtiger Presseorgane oder lautstarker Radio- und Fernsehsender enorme Macht aus oder beherrschen Kapitalanleger aus den Golfstaaten Medien in anderen arabischen Ländern oder im Ausland wie es bis Ende der 90er Jahre der Fall war.
Nein, diese Tendenz ist mittlerweile charakteristisch für die gesamte Region, wo sie in allen möglichen Spielarten auftritt: Bestehende Medien werden übernommen, andere neu gegründet und in eine von wachsendem Wettbewerb geprägte Medienlandschaft eingeführt, deren bunte Vielfalt sich immer weniger abwürgen lässt.
Natürlich zielen diese Medienmoguln damit nicht nur auf einen weiteren Ausbau dieser Vielfalt, sondern nutzen ihre auffällige Medienpräsenz auch dazu, Verlauf und Inhalte der öffentlichen Debatte zu beeinflussen. Und sie versuchen das wenig positive, stereotype Bild von der Rolle der Unternehmer im öffentlichen Leben ihrer Gesellschaften, das weiterhin vorherrscht, etwas aufzupolieren.
Viele Bürger halten sie nämlich lediglich für von der herrschenden Elite protegierte Schmarotzer und Gauner und betrachten sie mit äußerstem Argwohn. Ähnliches gilt für den Einsatz von Unternehmerpersönlichkeiten in karitativen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich auf nationaler und lokaler Ebene für soziale und humanitäre Belange einsetzen – und damit auch heute noch wesentlich zur Erfüllung zentraler gesellschaftlicher Aufgaben wie Bildung, Gesundheitsfürsorge, Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit beitragen.
Inwieweit sie hierbei jedoch die Qualität der angebotenenen Dienstleistungen tatsächlich verbessern, ist von Land zu Land unterschiedlich.
Es präsentiert sich also ein ganz neues Bild. Unternehmer, ihre Interessenvertretungen, die von ihnen geleiteten Medien und zivilgesellschaftlichen Institutionen nehmen inzwischen auf verschiedensten Ebenen der Legislative und der Exekutive Einfluss auf die Ausgestaltung öffentlicher Politiken, ganz besonders in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.
Viele demokratische Transformationsprozesse außerhalb der arabischen Welt begannen so: Unternehmer spielten eine zunehmend wichtige politische Rolle in einer weitreichenden Partnerschaft mit den herrschenden Eliten in Politik und Gesellschaft und drängten auf mehr Rechtsstaatlichkeit, demokratische Übergabe von Macht und transparente Kontrolle, um die Rolle des Staates und seine Privilegien neu zu definieren.
Und dies führt uns zu der zentralen Frage: Macht die starke Präsenz von Unternehmereliten in der arabischen Politik echte demokratische Transformationen wahrscheinlicher? Werden sie tatsächlich die Beziehungen zwischen dem Staat und seinen Bürgern auf eine neue Basis stellen und damit das Aufbrechen der traditionellen, autoritären Machtgefüge schneller herbeiführen?
Ein demokratiefreundlicheres Klima
Ich bin fest davon überzeugt: die Präsenz arabischer Unternehmereliten und ihr zunehmendes politisches Gewicht werden unausweichlich ein allgemeines gesellschaftliches und politisches Klima schaffen, das für demokratischen Wandel offener ist als es es ohne sie wäre.
Dies gilt uneingeschränkt trotz der weiterhin sehr engen Verbandelung dieser Unternehmer mit den herrschenden Eliten und ihrer in den meisten arabischen Ländern inhärenten Abhängigkeit von derartigen Bündnissen, auf die sie zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen angewiesen sind, und ungeachtet der Tatsache, dass diese Unternehmer zumindest öffentlich keinen von demokratischen Begriffen bestimmten Diskurs pflegen und sich auch in der Auseinandersetzung mit der Opposition uneingeschränkt auf die Seite der herrschenden Eliten stellen – ganz egal, ob diese Opposition, die versucht, auf demokratischen Wege durch Wahlen einen Machtwechsel herbeizuführen, nun religiös geprägt oder nicht.
Entscheidendes Zünglein an der Waage wird letztlich der Wettstreit unterschiedlicher Interessen einerseits innerhalb der Unternehmereliten selbst und andererseits zwischen diesen und anderen Gruppen mit Einflussß auf die herrschenden Eliten um knappe Ressourcen und deren staatliche Zuteilung sein.
Denn damit wird auch die Suche nach alternativen politischen Organisationsmustern erforderlich, die Rechtstaatlichkeit und Transparenz mehr Spielraum lassen und in denen nicht nur die herrschenden Eliten das letzte, einzige bestimmende Wort in der politischen Entscheidungsfindung haben, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können.
Amr Hamzawy
Aus dem Arabischen von Nicola Abbas
© Al-Hayat / Qantara 2009
Qantara.de
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