Zwischen Koma und Protestschrei
Ein doppelbödiges Stück präsentiert uns der syrische Autor Mohammad Al Attar in der Inszenierung von Omar Abusaada am Zürcher Theaterspektakel. "While I Was Waiting" spielt auf einer horizontal zweigeteilten Bühne. Unten am Bühnengrund das Krankenzimmer mit dem Bett, aus dem der Komapatient Taym sich leise erhebt und auf die Galerie klettert. Von dort oben, in Gesellschaft eines zum DJ konvertierten Dschihadisten, beobachtet er die Szene um sein Bett, wo die Mutter sitzt und Koranverse murmelt. Alle haben sie ihre Auftritte.
Die nach Beirut geflüchtete Schwester Nada ist zurückgekehrt, weil sie wissen will, was wirklich mit ihrem Bruder geschehen ist. Sein alter Kumpel spielt ihm auf der Gitarre einen sentimentalen Song vor und gibt schließlich zu erkennen, dass er ihn verraten hat. Die Freundin gesteht, dass sie nach dem "Unfall" abgetrieben hat. Sie streiten sich an seinem Bett und sie küssen sich, als wäre er schon tot.
Wer Taym damals, Anfang 2015, ins Koma geprügelt hat, bleibt offen. Es könnten ebenso Drogenhändler wie Schläger des Assad-Regimes gewesen sein. Er selbst berichtet aus seiner erhöhten Position des Komazustandes von den Hoffnungen am Anfang des syrischen Aufstandes, von seinem Film, an dem er arbeitete, als er überfallen wurde, und von der Sehnsucht, das Land zu verlassen. Doch alles mündet in den ohnmächtigen Zustand des Wartens – vielleicht ein Warten auf den Tod.
Multimedial inszeniertes Stück
"While I Was Waiting" kommt direkt aus dem Bürgerkrieg und leuchtet grell in die beschädigten Seelen der Überlebenden. Das multimedial inszenierte Stück fasst ein ganzes Jahr des Wartens zusammen, von Anfang 2015 bis Anfang 2016. Dabei werden Videoaufnahmen von Demonstrationen, Familienfotos und von Kriegslärm durchwirkter elektronischer Sound (Musik: Hello Psychaleppo) in das Schauspiel auf der Bühne montiert. Die arabischen Dialoge lassen sich auf deutschen und englischen Untertiteln mitlesen.
Das beklemmende Familiendrama, das Lebenslügen, Verrat und Verzweiflung offenlegt, steht auch für den Zustand des Landes unter dem Assad-Regime, das Syrien ins Koma getrieben hat. Für ein westliches Publikum, das den Kriegsberichten aus Syrien zunehmend schockiert und ratlos gegenübersteht, schafft dieses Stück Theater eine Realität, die zum Greifen nah ist, mit Gesichtern und Körpern, individuellen Lebensgeschichten und familiären Verflechtungen.
Der 1980 in Damaskus geboren Dramatiker Mohammed Al Attar musste 2012 aus seinem Land flüchten und lebt heute in Berlin. Seine Stücke, die er oft mit Omar Abusaada inszeniert, werden auf internationalen Bühnen gespielt. "While I Was Waiting" wird im September noch in Basel, Bern und Genf zu sehen sein.
Dokumentartheater aus Ägypten
Im Gegensatz zu "While I Was Waiting" aus Syrien führt uns die zwischen Kairo und Brüssel lebende Theaterautorin und Regisseurin Laila Soliman mit ihrer neuen Produktion "Zig Zig" vorerst in die Vergangenheit. Der Titel bezieht sich auf den Ausdruck, den die britischen Soldaten verwendeten, als sie 1919 in einem ägyptischen Dorf zahlreiche Frauen vergewaltigten. So erinnern sich die Frauen, so steht es in den Gerichtsprotokollen. 1919 war in der ägyptischen Geschichte ein Jahr der Revolution – wie 2011.
Damals war Ägypten britisch besetzt, heute ist es eine Militärdiktatur, wie Laila Soliman sagt. Für ihr Dokumentarstück "Zig Zig" hat sie sich auf die Gerichtsakten von damals gestützt, lässt aber durch die reduziert stilisierte Bühnenausstattung und zeitlosen Kostüme die universelle Gültigkeit durchschimmern und die Frage, was sich in den letzten hundert Jahren wirklich verändert hat.
Die historischen Fakten: Im März 1919 hatten britische Soldaten das Dorf Nazlat al-Shobak überfallen, fünf Bewohner getötet, mindestens zwölf Frauen vergewaltigt und zahlreiche Häuser angezündet. Weil die Dorfbewohner die Soldaten verklagten, wurde ein britisches Militärgericht einberufen, das die Anschuldigungen untersuchen sollte. Das Außergewöhnliche an diesem Fall war, dass damals zwölf der vergewaltigten Frauen Angst und Scham überwanden und den Mut aufbrachten, als Zeuginnen auszusagen.
Auf der Bühne stehen in einer Reihe fünf kleine Metalltische mit seitlich befestigten Spotlampen und Aktenmappen. Vier Schauspielerinnen stellen in rasch wechselnden Rollen mal Richter, mal Zeugin dar, mal sitzend mal stehend, mal sich in qualvollen Erinnerung am Boden wälzend; eine Musikerin begleitet das Spiel live auf der Geige.
"Was haben Sie den Soldaten gesagt, als sie in Ihr Haus eindrangen?" fragt der Richter eine junge Zeugin. Diese denkt kurz nach und sagt aus: "Meine Schwiegermutter hat sie gefragt, ob sie ihnen ein paar Gänse bringen soll, doch sie sagten, 'wir wollen Zig Zig'." Die Zeuginnen werden durch die Kreuzverhöre in die Enge getrieben werden, bis sie nicht mehr wissen, was sie sagen.
Zeitreise in die Vergangenheit
Auf einer zweiten Zeitebene thematisiert das Stück das Finden und Durchforsten der Gerichtsdokumente vor zwei Jahren im Archiv des britischen Außenministeriums. Den nur auf Englisch festgehaltenen Gerichtsaussagen werden arabisch gesprochene Erlebnisse und Alpträume der Frauen gegenübergestellt, in die die Schauspielerinnen auch eigene Erfahrungen mit sexueller Gewalt haben einfließen lassen. Zwei ägyptische Volkslieder sowie ein amerikanischer Antikriegssong und ein Trink- und Wanderlied tragen dazu bei, die historische Ebene des Gerichtsfalls zu durchbrechen.
Das Stück stellt keinen expliziten Bezug zur jüngsten Geschichte her – etwa zur ägyptischen Revolution von 2011. Weder zu den skandalösen, von Militärärzten durchgeführten "Jungfräulichkeitstests", noch zu den Massenvergewaltigungen auf dem Tahrirplatz. Es reiche ihr, wenn dem Publikum diese Ereignisse beim Zuschauen einfielen, sagt Laila Soliman im Gespräch nach der Vorstellung in Zürich. Das ist legitim. Allerdings weicht sie damit einer besonders quälenden und brisanten Frage aus: Was ist, wenn die Vergewaltiger nicht Soldaten einer feindlichen Armee sind, sondern aus der eigenen Gesellschaft stammen?
Mit ihren Stücken "No Time For Art" und "Lessons in Revolting" hat Laila Soliman 2011 schnell und direkt auf die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in Ägypten reagiert. Mit "Zig Zig" will sie die Entwicklung der ägyptischen Revolution unter der Militärherrschaft weiterhin protokollieren. Dass dafür eine Zeitreise hundert Jahre zurück nötig ist, stimmt eher pessimistisch.
Susanne Schanda
© Qantara.de 2016
Das Zürcher Theaterspektakel dauert noch bis zum 4. September 2016. Das Bühnenstück "Zig Zig" wird am 27. und 28. September am FFT in Düsseldorf aufgeführt. "While I Was Waiting" ist im September in Basel, Bern und Genf zu sehen.