Das Reich der Schwäche
Freie Recherche ist unmöglich in Saudi-Arabien. Ausländische Journalisten dürfen sich höchstens in Begleitung von Regierungspersonal im Land bewegen. Trotzdem kann man leicht eine politische Bilanz der vergangenen fünf Jahre ziehen. Dafür reicht es, die regionalpolitischen Absichtserklärungen und Ziele der saudischen Führung an der Wirklichkeit zu messen. Die Bilanz fällt katastrophal aus.
Im Syrienkrieg, dem bestimmenden Ereignis der nahöstlichen Gegenwart, wollte Saudi-Arabien das Assad-Regime stürzen und durch eine sunnitisch geprägte Regierung ersetzen. Trotz der finanziellen, politischen und militärischen Unterstützung entsprechender Rebellengruppen wurde das Ziel verfehlt. Heute liegt dieses Kriegsziel sogar in größerer Ferne als zu jedem früheren Zeitpunkt des Syrienkrieges.
Im Jemen, jenem bitterarmen südlichen Nachbarland, will die saudische Luftwaffe die schiitische Huthi-Bewegung nieder- und den Weg freibomben für mit Riad verbündete Statthalter um den früheren jemenitischen Vizepräsidenten Mansour Hadi. Bis jetzt ist das nicht gelungen.
Anfang Dezember sah es zunächst so aus, als sei der saudischen Interventionsmacht ein Coup geglückt. Der ehemalige jemenitische Machthaber Ali Abdullah Salih hatte sein Bündnis mit den Huthi-Rebellen aufgekündigt und sich mit seinen Stammeskriegern der saudischen Koalition angeschlossen. Es dauerte 24 Stunden, bis Salih den Seitenwechsel mit dem Leben bezahlte. Die vom Iran unterstützten Huthis bewiesen unbarmherzige Effektivität und offenbarten die saudische Schwäche.
Fruchtlose Blockaden
Im vergangenen Sommer ging das saudische Herrscherhaus, im Verein mit den Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten und mit amerikanischer Rückendeckung gegen Qatar vor. Die Koalition unter saudischer Führung verhängte eine Blockade gegen den kleinen Nachbarn, verlangte u.a. den Stopp der Annäherung Qatars an Iran und die Schließung des Satellitensenders Al-Jazeera. Die Initiative blieb fruchtlos. Qatar konnte nicht in die Knie gezwungen werden. Al-Jazeera sendet weiter.
Einen besonders peinlichen Tiefpunkt erreicht die saudische Regionalpolitik mit der Hariri-Affäre. Offenbar war der libanesische Premier Saad al-Hariri den Saudis zu weich in seiner Haltung gegenüber Iran und der pro-iranischen Hisbollah-Miliz, dem wichtigsten politischen Faktor im Libanon. Die Macht des Königreichs reichte aus, seinen langjährigen Verbündeten Hariri zu Beginn seines Besuchs in Riad Anfang November zu einer Rücktrittserklärung vor laufender Kamera zu zwingen.
Wie aus einem schlechten Gangsterfilm
Das Video dauert knapp acht Minuten. Die Sequenz, die anmutet als sei sie aus einem schlechten Gangsterfilm geklammert, dokumentiert in atemberaubender Weise die Dekadenz der politischen Verhältnisse Arabiens. Die saudischen Gangster schrieben zwar das Drehbuch und führten die Regie. Bald schon mussten sie jedoch klein beigeben. Saad al-Hariri kehrte über Paris in den Libanon zurück und trat dort vom Rücktritt wieder zurück. Er amtiert weiter als libanesischer Premierminister.
Darf man es da als Lichtblick werten, dass die saudische Regierung den ägyptischen Staat unter Abdel Fattah al-Sisi mit Milliarden-Zuwendungen (vorläufig) vor dem Bankrott bewahrt? Funktioniert hier noch die alte Geldbeutel-Diplomatie? Darüber kann man streiten. Unstreitig ist die beeindruckende Kette regionalpolitischen Scheiterns.
Iranische Überlegenheit
In den Medien ist die Rede von der "Rivalität zwischen den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran" inzwischen sehr populär. Jeder außenpolitische Kommentator schreibt darüber. Oft schleicht sich dann eine Unschärfe ein: "Rivalität" klingt nach Ebenbürtigkeit. Davon kann in der politischen Wirklichkeit jedoch keine Rede sein. Auf den militärischen und den diplomatischen Schlachtfeldern des Nahen Ostens erweist sich der Iran als klar überlegen.
Die saudische Führung sucht den Ausweg in der engen Abstimmung mit der iranfeindlichen Trump-Administration und - der Annäherung an Israel. Was früher undenkbar war, praktizieren die Saudis in ihrer aktuellen Not nahezu unverhohlen. Welch hohen Preis sie dafür zu zahlen bereit sind, zeigte sich in den vergangenen Tagen: sie schlucken die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die Vereinigten Staaten. Es sieht so aus, als mache Riad alles mit, Hauptsache, Israel und die USA erklären Iran und der Hisbollah bald den offenen Krieg.
Haben die Saudis nicht für viele Milliarden Waffen gekauft? Müssten sie da nicht aus eigener Kraft erfolgreicher sein?, könnte man fragen. "Das ist nur ein riesiger unbrauchbarer Haufen Metall", sagte einmal ein israelischer Regierungsbeamter, als es im vertraulichen Gespräch um genau diese Frage ging.
Die kalte Analyse der saudischen Schwäche mag etwas schräg liegen zu den hoffnungsfrohen Tönen, die in vielen Medien über die Figur des neuen starken Mannes im Königreich, Thronfolger Mohammed bin Salman, angeschlagen werden. Der 32-Jährige bekämpfe ja die Korruption, erlaube Frauen das Autofahren und habe eine wirtschaftspolitische Vision "2030" entworfen, die Unabhängigkeit von der Ölrente mit sich bringen soll. Der Sohn des greisen Noch-Herrschers Salman tritt in einem modernistischen Gestus auf, der irgendetwas zwischen Atatürk, Muhammad Ali Pascha und Napoleon sein will und doch droht, in purer Lächerlichkeit zu enden.
Eine Art "Arab Trash"
Eine neue supermoderne Stadt für 500 Milliarden Dollar möchte Mohammed bin Salman in der Wüste bauen. "Neom" soll sie heißen. Joe Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens, reiste im November nach Riad, um seine Hilfe anzubieten. Diese Nebenbemerkung muss hier angeführt werden: dass der Chef des traditionsreichen Dax-Unternehmens mehr als 24 Stunden seiner Zeit einem infantilen Hirngespinst widmete, ist ein triftiger Grund, an seinen Managementqualitäten zu zweifeln.
Das bedeutet nicht, dass deutsche Unternehmen nicht auch künftig Geld machen werden in Saudi-Arabien. Sie werden allerdings weniger am wissensbasierten Fortschritt des Gemeinwesens, sondern vielmehr am verzweifelten Hinauszögern seines Untergangs verdienen. Indem sie Grenzanlagen, Kleinwaffen, Patrouillenboote und Überwachungstechnologie verkaufen.
Selbst zu recherchieren im Königreich, ist dem ausländischen Journalisten verwehrt. Aber er kann mit Wissensträgern sprechen, die dort ausgiebige Erfahrungen gesammelt haben. Mit einem deutschen Professor für Mathematik zum Beispiel, der jahrelang die Regierung in Riad beraten, mit Ministern und Provinzgouverneuren und ihren Stäben verkehrt hat. "Lebensuntüchtig" seien die Saudis, lautet das harte Fazit des Mathematikprofessors.
Zu ergründen, was hier passiert ist, dazu reichen wenige Zeilen - selbst mit Recherche - nicht aus. Dass das Königreich Saudi-Arabien einen zivilisatorischen Abweg eingeschlagen hat, legte der Romancier Abd al-Rahman Munif schon vor mehr als dreißig Jahren in seinem meisterhaften Zyklus "Salzstädte" nieder. Als wäre aus der Begegnung der texanischen Ölprinzen mit den Beduinen des Nadschd eine Art "Arab Trash" entstanden. Munif wurde wegen dieses Werks die saudische Staatsbürgerschaft entzogen.
Zähigkeit und Überlebenswille, Realitätssinn und ein klares Gespür für Würde waren bis vor drei Generationen identitätsstiftende Eigenschaften für die Beduinen der Arabischen Halbinsel, also die Vorfahren der Menschen, die wir heute kurz "Saudis" nennen. Davon legt nicht nur Abd al-Rahman Munif Zeugnis ab. Heute ist daraus ein Reich geworden, das die Prokura zum Lebensprinzip erhoben hat. Es scheint zu glauben, sich für Geld alles kaufen zu können: Fortschritt, Sicherheit, politischen Einfluss, militärische Siege. Das Vakuum, das von dieser Schwäche erzeugt wird, wird die Welt noch in Atem halten.
Stefan Buchen
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Stefan Buchen arbeitet als Fernsehjournalist für das ARD-Politikmagazin "Panorama".