Zwischen die Fronten geraten
Auf einer bunten Wolldecke liegend, präsentierten die schiitischen Huthi-Kämpfer die Leiche des einstigen jemenitischen Diktators Ali Abdullah Salih. An einer Seite seines Kopfes klafft eine Wunde. "Lobet Gott!" rufen die Kämpfer. Die chaotische Szene, die sich per Video in Windeseile am Montagnachmittag im Internet verbreitete, erinnert ein wenig an das Ende des libyschen Diktators Muammar Gaddafis.
Kurz darauf verkündete der Huthi-Innenminister den Tod Salihs, der zuvor mit einem Fahrzeug versucht hatte, die jemenitische Hauptstadt Sanaa zu verlassen, aber dann scheinbar in einen Hinterhalt geriet. Salih soll von einem Scharfschützen getötet worden sein. Damit haben die dramatischen Kämpfe rund um Sanaa einen neuen Höhepunkt erreicht. Kurz zuvor war das Haus Salih im Zentrum der Stadt in die Luft gejagt worden.
Vorausgegangen waren sechs Tage lange blutige Kämpfe um die Vorherrschaft in der jemenitischen Hauptstadt. Die Huthi-Milizen hatten seit Ende letzter Woche versucht, mit Panzern und schwerer Artillerie Stellungen der Truppen und Anhänger des ehemaligen Präsidenten Salih zurückzuerobern. Denn der jetzt verstorbene Diktator a.D. hatte vor sechs Tagen mit seinen bisherigen Verbündeten gebrochen und sich von den Huthi-Milizen losgesagt.
Zum Abschuss frei gegeben
Doch damit wurde eine weitere Konfliktlinie in dem seit über drei Jahren andauernden Krieg gezogen. Hatten Huthis und Abdullah Salih zuvor noch gemeinsam gegen die saudisch dominierte Militärallianz gekämpft und gemeinsam weite Teile des Nordens des Landes kontrolliert, begannen die einstigen Verbündeten nun damit, untereinander eine neue Front zu eröffnen.
Naturgemäß interpretieren beide Seiten die vergangenen Tage sehr unterschiedlich. Abdullah Salih hatte noch am letzten Wochenende im Fernsehen von einem überfälligen Aufstand gegen die Huthis gesprochen und angekündigt, mit dem saudischen Nachbarn ein neues Kapitel aufschlagen zu wollen und Gespräche zu beginnen. Ein Sprecher der Huthis bezeichnete das Ganze dagegen als einen Coup und gab Salih schließlich zum Abschuss frei. Salih erhielt daraufhin Luftunterstützung von seinen einstigen saudischen Gegnern, die hofften, mit dieser neuen Kriegsrunde den Einfluss des Iran einzudämmen, der die Huthis unterstützt.
Die Saudis hatten hoch gepokert, indem sie Salih zum Bruch mit den Huthis angestiftet und ihm militärische Unterstützung zugesagt hatten. Nun haben sie verloren. Es ist noch unklar, wie sich das alles auf den Krieg auswirken wird. Wenn die Huthis in Sanaa triumphieren, hätte dies sicherlich einen ausgiebigen Rachefeldzug zur Folge gegen alle, die sich mit Salih solidarisiert hatten. Möglich ist aber auch, dass die saudische Seite nun den Krieg eskaliert und zusammen mit ihren jemenitischen Partnern doch noch versucht, eine militärische Entscheidung in Sanaa herbeizuführen.
Jemens leidgeprüfte Zivilbevölkerung
In jedem Fall stehen den Einwohnern Sanaas schwierige Zeiten bevor. Denn schon in der Nacht vor dem Tod Salihs berichteten sie fast übereinstimmend, dass jene Kriegsnacht wohl bislang die schlimmste ihres Lebens war. Und das will etwas bedeuten, denn die jemenitische Hauptstadt ist eine seit Jahren vom Krieg und dessen humanitären Folgen leidgeprüfte Stadt.
Erst mussten die Einwohner erfahren, wie vor über drei Jahren schiitische Huthi-Rebellen aus dem Norden ihre Stadt erobert hatten, nachdem der jetzt getötete jemenitische Diktator Ali Abdullah Salih und sein Clan infolge des Arabischen Frühlings seine Macht nicht abgeben wollte. Seit das Nachbarland Saudi-Arabien vor zweieinhalb Jahren in den Krieg eingetreten ist, wurde die Stadt regelmäßig von der saudischen Luftwaffe bombardiert.
Doch in den letzten Tagen hat der Krieg selbst für die Einwohner Sanaas ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Einer ihrer Bewohner twitterte in der Nacht zum Montag: "Als jemand, der zuvor beides erlebt hat, die Straßenkämpfe in Aden und die Luftangriffe in Sanaa, kann ich sagen, dass die Straßenkämpfe für die Zivilisten gewiss das größere Übel sind. Doch beides gleichzeitig zu erleben, ist wohl das allerschlimmste, was einem passieren kann".
Der Krieg war schon zuvor erbarmungslos geführt worden – mit bislang über 10.000 Toten, zwei Millionen Menschen, die aus ihren Häusern fliehen mussten und 17 Millionen Menschen, die in Folge des Krieges von Hungernot, Cholera und Diphterie bedroht sind. Doch mit den neuerlich aufgeflammten Kämpfen in Sanaa hat der Konflikt einen neuen Höhepunkt erreicht, der aber auch Bewegung in den seit Jahren festgefahrenen Krieg bringen könnte.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat nun alle Kriegsparteien im Jemen aufgerufen, ihre Luft- und Bodenangriffe einzustellen. Krankenwagen und medizinisches Personal könnten die Verletzten nicht mehr erreichen, die Menschen könnten nicht mehr aus den Häusern, um Essen und das Notwendigste einzukaufen, erklärte er.
Laut Informationen des "Internationalen Roten Kreuzes" trauen sich deren Mitarbeiter derzeit nicht auf die Straße. In den letzten Tagen seien Hunderte Verletzte in den Krankenhäusern Sanaas eingeliefert worden, wo es an Medizin und Platz mangelt und ständig der Strom ausfällt, berichtet die Organisation.
Karim El-Gawhary
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