Überleben als Gegenwehr
In den letzten Jahren wurde viel über den Heldenmut kurdischer Partisanen im Kampf gegen den "Islamischen Staat" in Syrien und im Irak erzählt, ebenso wie über die Gräuel des türkischen Feldzugs gegen Kurden in Nordsyrien. Doch über das Leben dieser Menschen im Iran erfahren wir normalerweise wenig. Mit Ava Homas Roman "Daughters of Smoke and Fire" ändert sich das.
Die Autorin schreibt über Leilas Familie, ihren Vater, ihre Mutter, ihren jüngeren Bruder und ihren Freundeskreis. Gleichzeitig vermittelt uns Ava Homa auch ein berührendes Bild eines Volkes, das unter ständigen Übergriffen leidet. Schon als kleines Kind begreift Leila, dass sie und ihre Familie anders sind. Als Heranwachsende werden Leila und ihr Bruder Chia in der Schule dafür bestraft, dass sie Kurdisch sprechen. Von dem Anderssein zeugen die Narben auf dem Rücken ihres Vaters ebenso wie dessen aufwallende Wut und tiefe Kränkung.
Die vergangenen und gegenwärtigen Gräueltaten gegen Kurden lassen ihn nicht los. Jede einzelne ist eine weitere eiternde Narbe auf seiner Seele. Die Kinder leiden unter seinen Gefühlsschwankungen und seiner Seelenpein. Im Spiegel von Leilas Kindheit erfahren wir, wie schwierig ihr Weg ist und wie die ständige Unterdrückung die Menschen aus ihrer Bahn wirft. Bitterkeit und Wut belasten die Beziehung zu Mutter und Vater. Am wohlsten fühlt sich Leila, wenn sie Joanna, eine Freundin ihres Vaters, und deren Tochter Shiler besucht.
Ausgegrenzt vom Staat
Shiler kam im Gefängnis zur Welt. Doch Joanna scheint sich trotz der Haft eine geistige Gelassenheit bewahrt zu haben, die den Eltern von Leila fehlt.
Leilas Mutter verabscheut Joanna und nennt sie eine Hure. Aber Leila selbst schöpft Kraft und Trost aus der Güte und Zuwendung ihrer "Tante". Ihre Besuche bei Joanna und deren Tochter sind erste Ausbrüche aus der repressiven Atmosphäre, die ihre Ursache in einem Staat hat, der seine Minderheiten ausgrenzt.
Als Frau und als Kurdin im Iran aufzuwachsen, bedeutet doppelte Repression. Leilas einzige Hoffnung auf ein halbwegs lebenswertes Leben ist die Zulassung an der Universität.
Doch selbst wenn es ihr gelingen sollte, die Zulassungsprüfungen zu bestehen – was in einem System praktisch unmöglich ist, das sich gegen Arme und Minderheiten abschirmt –, hat sie ohne die richtigen Verbindungen kaum Chancen. Ihr jüngerer Bruder hat als Mann bessere Karten und kann sich einen Studienplatz in Teheran sichern.
Im Verlauf der Erzählung erleben wir, wie sich die Entwicklungen auf Leilas Selbstwertgefühl und ihre Persönlichkeit auswirken. Als ihr geliebter Bruder Chia verhaftet wird, wird deutlich, dass sie viel von dem unbezähmbaren Geist ihres Vaters geerbt hat.
Chia hatte über die Misere der Kurden im Iran geschrieben und seine Artikel über vermeintlich sichere Kanäle im Ausland online veröffentlicht.
Doch er wird wegen Teilnahme an einer Demonstration gegen die Regierung verhaftet und verschwindet in den Abgründen des iranischen Gefängniswesens. Monatelang weiß niemand, ob er tot oder lebendig ist.
Das hält Leila nicht davon ab, auf der Suche nach ihrem Bruder alle Mittel, die sie aufbringen kann, einzusetzen, um Behördenvertreter zu bedrängen, zu löchern und zu schmieren.
Aus den Schilderungen über Leila, Chia, Shiler und Chias Freund Karo erfahren wir, wie Menschen auf das Leben unter einem totalitären Regime reagieren. Karo wuchs in einer Mischehe auf, halb Kurde, halb Iraner. Er empfindet nicht die stigmatisierende Ausgrenzung wie die anderen. Sowohl Chia als auch Shiler wehren sich. Chia durch seine Veröffentlichungen und Shiler durch den Eintritt in eine der kurdischen Partisanengruppen, die jenseits der Grenzen des Iran gegen den IS kämpfen.
Überleben als Gegenwehr
Eigentlich will Leila nur überleben. Ava Homa verdeutlicht, dass das Überleben eine Form der Gegenwehr sein kann. Wer überlebt, ohne sich selbst ganz aufzugeben, gewinnt.
Eindrücklich zeigt sie auf, wie schwer es für traumatisierte Überlebende ist, aus dem bloßen Überlebensmodus ins Leben zurückzufinden. Was tun, wenn man nicht mehr bedroht ist? Wie gewinnt man etwas von sich selbst zurück?
Wirklich bemerkenswert an diesem Roman ist, wie Ava Homa das Leiden eines Volkes stellvertretend an Leila schildert und uns darüber hinaus zeigt, wie das Vertrauen und der Geist eines Menschen Stück für Stück unter dem emotionalen und psychologischen Trauma einer verfolgten Minderheit erodieren.
Ganz gleich, wie stark Leila sich bemüht: Die Risse in ihrem Abwehrschild werden unausweichlich größer. "Daughters of Smoke and Fire" macht uns das Ausmaß der Verfolgung und Ausgrenzung bewusst, der diese Menschen ausgesetzt sind. Nicht nur von den Mullahs, sondern auch von jenen Iranern, die Vorurteile gegen Kurden hegen.
"Daughters of Smoke and Fire" kann einem das Herz brechen. Aber es ist auch ein Buch von erhabener Schönheit, das sich tief ins Gedächtnis einbrennt.
Richard Marcus
© Qantara.de 2020
Aus dem Englischen von Peter Lammers