"Das Verbot religiöser Kleidung ist eine Verletzung der Menschenrechte"
Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert das Recht auf Religionsfreiheit. Doch immer mehr Länder stellen das Tragen religiöser Kleidung unter Strafe, ein Trend, dem sich die Becket-Stiftung für Religiöse Freiheit entgegenstellt. Imogen Foulkes berichtet.
Im 18. Stock eines der besten Genfer Hotels lockt eine ungewöhnliche Ausstellung die Besucher an - in den Glasvitrinen werden ganz normale, getragene Kleidungsstücke zur Schau gestellt. Das Kopftuch von Merve Kavakci nimmt einen besonderen Platz in der Sammlung ein. 1999 wurde sie aus dem türkischen Parlament geworfen, weil sie es trug.
Initiiert wurde die Ausstellung von der Becket-Stiftung für Religiöse Freiheit, einer Organisation, die sich der - wenn nötig, auch gerichtlichen - Verteidigung derer verschrieben hat, denen das Tragen religiöser Kleidung verwehrt wird. Anthony Picarello, Präsident der Becket-Stiftung, sagt, dass das Verbot religiöser Kleidung eine Verletzung der Menschenrechte sei.
"Wir glauben daran, dass die Ausübung der Religion einen Teil des Menschseins bildet", meint Picarello. "Es liegt in der Natur der Menschen, letzte Fragen zu stellen, Antworten zu finden und diesen Ausdruck zu verleihen. Wir finden, dass die friedliche Zurschaustellung der Religion erlaubt sein sollte und sind deshalb sehr beunruhigt, wenn Staaten dieses Recht einschränken wollen."
Das Kopftuch ist zwar das bekannteste, nicht aber das einzige Beispiel religiöser Kleidung, das sich einem Verbot durch Länder wie Frankreich oder der Türkei gegenübersieht. Viele andere Verbote betreffen weitere Kleidungsstücke. und das in vielen Staaten der Welt, sagt Picarello.
"Frankreich verbietet jede Art des ostentativen Tragens religiöser Kleidung, einschließlich des Turbans der Sikhs, der jüdischen Yarmulke, des Priestergewandes und des Nonnenhabits. Im Mittleren Osten, zum Beispiel im Iran, sind Krawatten verboten, weil man sie als ein Zeichen für das Kreuz ansieht. Das weiter gehende Problem liegt darin, dass religiöse Kleidung leicht auch zu einem Stigma werden kann, einem Zeichen, an dem eine Minderheit zu identifizieren ist und mit dem kenntlich gemacht werden kann, dass sie nicht willkommen ist."
"Ich rasierte meine Haare ab"
Cennet Dogany ist nach Genf gekommen, um den Menschen davon zu berichten, wie unwillkommen sie sich fühlte, als sie im letzten September ihr Klassenzimmer betrat. Die 15jährige Schülerin wusste, dass das Kopftuchverbot bereits in Kraft war und tat deshalb ihr Bestes, um diesem Folge zu leisten.
"Und tatsächlich hatte ich einen Hut auf, denn ich wusste ja, dass ich kein Kopftuch tragen durfte. Normalerweise ist es an meiner Schule kein Problem, einen Hut zu tragen, doch meiner war eines. Sie steckten mich in einen Raum ganz für mich allein, ohne meine Freunde, meine Bücher, und so ging das einen Monat. Irgendwann gab ich dann auf und rasierte meinen Kopf vollständig - meine Eltern waren sehr unglücklich, meine Mutter weinte."
Doch für viele Menschen im Westen ist das Kopftuch nicht nur ein Zeichen des islamischen Glaubens. Für sie ist es ein Symbol der Unterdrückung von Frauen. Warum sollte man von jungen islamischen Frauen verlangen, ihren Kopf zu verbergen, wenn es doch heute Mode ist, Bauchpiercings zu zeigen und möglichst auch noch den Stringtanga herausschauen zu lassen? Merve Kavakci stimmt zu - doch nur bis zu einem gewissen Punkt.
"Ich glaube nicht, dass man es in Europa aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet. Natürlich stimmt es, dass Frauen auch gegen ihren Willen gezwungen wurden, ein Kopftuch zu tragen, und auch, es gegen ihren Willen abzunehmen. Nichts von beiden aber ist richtig. Wir sollten dies der Frau überlassen, es ist eine Frage der freien Entscheidung."
Unterdessen erklärt Anthony Picarello, dass das Verbot religiöser Kleidung nichts Positives bewirken kann. "Worum geht es denn? Es geht um ein Prinzip. Dieses Prinzip ist das Recht auf Meinungsäußerung. Wenn es wirklich um die Unterdrückung von Frauen geht, gibt es bessere Methoden, dem zu begegnen als diese Gesetze. Wir müssen tausend Blumen blühen lassen und allen Äußerungen religiöser Überzeugung gegenüber offen sein."
"Nicht das Kopftuch macht den Glauben aus"
In Cennets Augen ist das Tragen des Kopftuchs sehr wichtig, doch sie besteht darauf, dass es dabei um eine persönliche Entscheidung geht und dass es eine solche bleiben muss.
"Für mich bedeutet das Kopftuch meine Würde, meine Persönlichkeit. Ich übe meine Religion aus, ich bin eine Muslimin. Trotzdem gibt es viele Mädchen, die meinen Glauben teilen und dennoch kein Kopftuch tragen. Es ist nicht das Kopftuch, was den Glauben ausmacht. Für mich ist es wichtig, doch jeder Einzelne hat seine Art, seinen Glauben zu leben. Wenn meine Tochter es nicht tragen wollte, würde ich nicht wütend werden, weil es um ihre Entscheidung geht."
Nichtsdestotrotz misstrauen die Vertreter eines Verbotes religiöser Kleidung an öffentlichen Orten Organisationen wie der Becket-Stiftung. Sie werfen ihnen vor, grundsätzlich gegen den Säkularismus zu sein und über die Hintertür zu versuchen, die Religion wieder in die Schulen hineinzubringen, wo sie, nach ihrer Auffassung, nichts zu suchen hat. Anthony Picarello bestreitet dies.
"Nein, wir sind für den säkularen Staat ohne Religion. Doch wo wir auch weiterhin einschreiten werden ist dort, wo ein Staat die freie Ausübung der Religion unterdrücken will."
"Meinen Glauben können sie mir nicht nehmen"
Cennet ist nicht sicher, was die Zukunft noch für sie bereithält. Sie versucht noch immer ihren Kopf in der Schule zu verbergen, mit einem kleinen Hut oder einem Piratentuch. Selbst damit aber bekam sie Probleme - doch keine, die sie von ihrem Glauben hätte abbringen können.
"Nun, selbst wenn es ihnen gelingt, mir mein Kopftuch zu verbieten, so können sie mir doch niemals meinen Glauben nehmen. Niemand scheint das zu verstehen. Sie denken offenbar, dass ich ohne Kopftuch keine Muslima mehr sei, aber das ist doch lächerlich. Was immer ich trage, meinen Glauben werden sie mir nicht nehmen können."
Merve Kavakci hat ihr Kopftuch niemals aufgegeben. Sie glaubt noch immer, dass es muslimischen Frauen gestattet sein sollte, zu wählen, ob sie eines tragen oder nicht, ohne Druck von außen. Selbst heute kann sie die ganze Aufregung darüber nicht ganz verstehen.
"Hier stehen wir also, sechs Jahre später, sehen auf mein Kopftuch und selbst jetzt kann ich es kaum glauben, dass es so viele Probleme verursacht hat und dass sich so viele Menschen darum kümmern, was ich trage, nicht aber darum, was ich denke und was ich für mein Land tun könnte."
Während ihrer jährlichen Sitzung wird das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen das Recht auf freie Religionsausübung überprüfen. Vertreter der religiösen Kleidung hoffen, die Mitglieder davon überzeugen zu können, dass das Tragen dieser Kleidung ein fundamentales Menschenrecht ist.
Imogen Foulkes
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
Qantara.de
Dossier: Der Streit ums Kopftuch
Die Kontroverse über das Tragen des Kopftuchs ist nicht nur in Deutschland allgegenwärtig. Auch in den Nachbarstaaten und in der islamischen Welt erhitzt das Thema zunehmend die Gemüter. Wir beleuchten die Aspekte, Hintergründe und gesellschaftlichen Realitäten der Kopftuchdebatte.
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The Becket Fund for Religious Liberty (engl.)