„Queerness bedeutet Freiheit“

28-year-old Syrian dancer and activist uses the stage name 'The Darvish'.
Will nicht nach Syrien, aber fühlt sich auch in Deutschland nicht sicher: „The Darvish“ (Foto: Islam El-Ghazouly)

2016 kam „The Darvish“ aus Syrien nach Berlin. Hier macht die Person Bauchtanz und kämpft für die Rechte der queeren Community. Ein Gespräch über ein Doppelleben in der Heimat, Freiräume in Berlin und den Aufstieg der extremen Rechten.

Interview von Ahmed Lamloum

Qantara: Im diesjährigen Pride Month im Juli hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner beschlossen, keine Regenbogenfahne über dem Bundestag zu hissen, wie es seit 2022 üblich war. Wie haben Sie auf diese Entscheidung reagiert?

„The Darvish“: Ich war schockiert und verärgert. Das Hissen der Regenbogenfahne über dem Bundestag war ein klares Zeichen, dass die queere Community anerkannt ist und unterstützt wird. Die Entscheidung kam mir wie ein Rückzug vor, ein Zeichen, dass sich Menschen durch diese Unterstützung bedroht fühlen. Symbole sind manchmal wirkungsvoller als Aussagen von Politiker*innen. Wir Aktivist*innen haben uns gegen die Entscheidung gestellt und einen Marsch zum Bundestag mit einer riesigen Regenbogenfahne organisiert. Wir haben uns Gehör verschafft.

Wie war der diesjährige Christopher Street Day in Berlin?

Voller Widersprüche. Auf der einen Seite gab es eine lebhafte und farbenfrohe Feier, auf der anderen Seite wurde Solidarität mit Palästina unterdrückt und zum Schweigen gebracht. Innerhalb der queeren Community hat sich vieles spürbar verändert. Viele waren der Meinung, dass die Feier sinnlos ist, wenn es keine klare Haltung zu drängenden humanitären Fragen gibt. Letztendlich geht es bei der Pride nicht nur um Musik und Feiern, sondern auch um einen Ort, an dem für die richtigen Anliegen und für Freiheit gekämpft wird.

The Darvish, Syrian Queer activist. (Photo: Jo Marie Brent)

The Darvish ist 2016 aus Syrien nach Deutschland gekommen. In Berlin tanzen sie und kämpfen für die Rechte queerer Menschen. Im Buch „Zugzwänge“ erzählen sie gemeinsam mit anderen Aktivist*innen, Künstler*innen und Geflüchteten von Kämpfen und Veränderungen in ihren Communities.

Werden queere Menschen unterdrückt, weil sie Solidarität mit Palästina zeigen?

Jeder, der Solidarität mit Palästina bekundet, sieht sich Druck oder Angriffen seitens der Medien und der Gesellschaft ausgesetzt. Besonders traurig ist aber, dass solche Angriffe und Spaltungen auch innerhalb unserer eigenen Community auftreten. Es wird befürchtet, dass unsere Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Meine Arbeit widmet sich dem Ziel, sie lauter zu machen. Für mich bedeutet Queerness Freiheit, und Freiheit ist unteilbar.

Lassen wir die Politik für einen Moment beiseite: Ihr Bauchtanz-Stil ist unverwechselbar. Sie tragen einen Tarbusch auf dem Kopf und kombinieren maskuline und feminine Stile. Warum?

Zuerst hatte ich Bauchtanzkostüme für Männer ausprobiert, aber sie passten mir nicht und waren unbequem. Ich habe sehr maskuline Züge und wollte das auf der Bühne durch traditionelle weibliche Bauchtanzkostüme brechen. Ich fand sie sowohl bequem als auch ausdrucksstärker für meine Persönlichkeit. So entstand die visuelle Identität von „The Darvish“ – einer bauchtanzenden Person, die weder maskulin noch feminin ist, sondern widerspiegelt, was ich im Moment fühle und welche Botschaft ich vermitteln möchte.

Als ich mit zwanzig Jahren nach Deutschland kam, war meine Identität noch im Entstehen begriffen. Zunächst verhielt ich mich, wie es die Gesellschaft als „angemessen” empfand. Ich wusste nicht, wer ich war und was ich hier tun wollte. Ich lebte, um ein Versprechen gegenüber meiner Familie zu erfüllen: zu studieren, zu arbeiten und schließlich zurückzukehren, um sie zu unterstützen.

Was hat Sie davon abgehalten, zurückzukehren?

Mir wurde klar, dass ich mein Leben für mich selbst leben möchte, nicht für jemand anderen. Ich möchte nicht mehr so leben wie in Syrien. Es war ein Doppelleben, geprägt von Lügen und Traumata, auch von verbaler und körperlicher Gewalt. Hier bin ich unabhängig und kann meine eigenen Entscheidungen treffen.

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich war in Syrien mit jemandem zusammen, der nach Deutschland gehen wollte, wo Syrer*innen damals willkommen waren, aber er wollte nicht ohne mich gehen. Wir vereinbarten, dass er zuerst gehen und ich ihm folgen würde, aber wir haben uns noch während meiner Reisevorbereitungen getrennt.

Ein Freund, der in Deutschland lebte, half mir, mich bei einer deutschen Universität zu bewerben. Nach der Trennung wollte ich all die Mühe, die ich investiert hatte, nicht vergeuden, zumal es wahrscheinlich meine einzige Chance war, Syrien zu verlassen. Ich kam im September 2016 an und beantragte später Asyl.

Haben Sie Syrien besucht, nachdem das Assad-Regime im Dezember 2024 gestürzt wurde? 

Was in Syrien geschieht, ist ein gescheiterter politischer Wandel. Es ist weder ein Sieg der Revolution noch ein Schritt in Richtung Freiheit. Wahre Freiheit kann nicht einer Gruppe auf Kosten einer anderen gewährt werden. Was Gemeinschaften wie die drusische, die alawitische und die christliche erleben, zeigt die Gewalt, der die Syrer*innen weiter ausgesetzt sind.

Einige Länder, darunter Deutschland, unterstützen das derzeitige Regime auf der Suche nach einer Erfolgsgeschichte, doch die Realität sieht anders aus. Zwar gibt es eine UN-Untersuchungskommission, die die Massaker in der Küstenregion untersucht, aber das Regime macht mir wenig Hoffnung.

Ich persönlich habe nicht vor zurückzukehren. Vielleicht besuche ich meine Mutter, aber wenn ich es schaffe, sie hierher zu holen, gehe ich nicht zurück. Ich bin stolz auf meine syrische Identität und Kultur, aber nicht auf eine Gesellschaft, die mein Leben als queere Person bedroht.

Wie geht es der queeren Community in Syrien derzeit?

Meine Freund*innen berichten mir, dass es eine Kampagne gegen queere Menschen aufgrund ihrer Identität gibt. Queers in Syrien zahlen einen doppelten Preis: Sie sind sowohl gesellschaftlicher und politischer Unterdrückung als auch den Folgen des Krieges und des Assad-Regimes ausgesetzt. Ihre Widerstandsfähigkeit ist mutig, und ich für meinen Teil arbeite daran, ihnen mitsamt ihren Ängsten in unserer europäischen Gemeinschaft Gehör zu verschaffen.

Sie haben erwähnt, wie Sie sich in Berlin persönlich verändert haben. Was hat zu diesem Wandel geführt?

Die Gesellschaft als Ganzes und die queere Community, zunächst die europäische allgemein und dann die arabische queere Community. Berlin ist eine queer-freundliche Stadt mit einem starken Unterstützungsnetz durch verschiedene NGOs. Programme wie das MILES-Projekt des LSVD, das queere Geflüchtete und Migrant*innen unterstützt, haben mir sehr geholfen.

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Leider hat sich Berlin in den letzten Jahren stark verändert, nicht nur politisch, sondern auch was die Existenz von Safe Spaces für die queere Community angeht. Bars und Clubs verschwinden nach und nach. Mit dem Aufstieg rechter Kräfte haben Hass und Diskriminierung von Queers, Geflüchteten und Ausländer*innen zugenommen. Ich persönlich fühle mich auf der Straße manchmal nicht sicher.

Trotzdem sage ich oft, dass ich in Berlin wiedergeboren worden bin. Die Stadt ist ein Schmelztiegel der Kulturen und ein Zufluchtsort für marginalisierte Menschen. Unser kollektives Bewusstsein für das, was „anders” ist, hebt Berlin von anderen deutschen Städten ab.

2020 haben Sie Ihre eigene Geschichte in dem Buch „Zugzwänge” veröffentlicht, das von den Erfahrungen queerer Migrant*innen handelt. Außerdem organisieren Sie Veranstaltungen, um die queere Community im Nahen Osten zu unterstützen. Was motiviert Sie zu alldem?

Als ich aufwuchs, gab es in den Medien keine Vorbilder, die die queere Community repräsentierten. In Berlin bekam ich nach meinen Auftritten Nachrichten von Menschen, die mir sagten, dass das, was ich tue, wichtig ist und dass ich eine sehr marginalisierte Community repräsentiere.

Viele von uns haben keine Familien, die uns unterstützen. Einige wurden zu Hause rausgeworfen oder sind in jungen Jahren von selbst weggelaufen. Einige sind obdachlos und ohne Einkommen, andere greifen zu Drogen, um ihren Problemen zu entfliehen. Deshalb ist psychologische Unterstützung für queere Menschen so wichtig.

Hinzu kommt, dass das Bild meines Landes immer auf Krieg und Zerstörung reduziert wird. Das tut weh. Ja, es herrscht Krieg, aber es gibt auch Leben und Freude, was ich in meinen Performances zu zeigen versuche.

Was das Buch angeht, war es eine spannende Erfahrung, meine Reise nach Deutschland zu dokumentieren sowie den Schmerz, den ich als syrische Person erlebt habe, die aus einer normalen Familie mit mittlerem Einkommen stammt und sich entschlossen hat, fernab vom Tod zu leben. Zurzeit arbeite ich an einem weiteren Buch über mein Leben in Syrien und meine Erfahrungen in Deutschland.

Wie sehen Sie die Zukunft queerer Menschen in Deutschland angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten?

Es herrscht ein Gefühl der Unsicherheit, da Angriffe und Diskriminierung, wie ich bereits sagte, zunehmen. Um der extremen Rechten entgegenzutreten, muss die queere Community zusammenhalten, insbesondere die arabische. Die Rechte gewinnt, weil wir nicht vereint sind.

 

Dieser Text ist eine bearbeitete automatische Übersetzung der englischen und arabischen Textfassungen. Bearbeitung: Jannis Hagmann 

 

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