Im Krieg mit dem eigenen Volk

Das Regime in Damaskus geht seit Monaten mit brutaler Härte gegen die syrische Zivilbevölkerung vor. Das Ausland schaut weg. Svenja Andersson informiert.

Dossier von Svenja Andersson

Nach wie vor fällt den syrischen Machthabern nichts anderes ein, als die gegen sie erhobenen Proteste blutig niederzuschlagen – nun schon seit über vier Monaten. Dissidentenkreise in Damaskus sprechen von 12.600 Personen, die verhaftet worden sein, 3.000 Menschen werden vermisst. Die Regierung spricht dagegen nur von 1.500 getöteten Zivilisten und 350 Sicherheitskräften.

Panzer in der Innenstadt von Hama; Foto: Shams News Network/dapd
Mit Panzern und Scharfschützen gegen friedliche Demonstranten: Syrische Truppen setzen die Belagerung der Stadt Hama, einer Hochburg der Aufständischen, weiter fort. Menschenrechtler berichten von fast 100 Toten innerhalb von zwei Tagen.

​​Allein seit Beginn des Ramadan mussten über 140 Menschen ihr Leben lassen – eine Bilanz des Schreckens. Während am Anfang der Proteste die Stadt Deraa an der Grenze zu Jordanien als erste zum Schauplatz einer Militäroperation des Regimes gegen die Protestierenden wurde, steht jetzt die Stadt Hama im Mittelpunkt des Geschehens.

Zwischendurch waren es Homs und Lattakia, aber auch Teile der Hauptstadt Damaskus. Immer wieder kam es in Deir al-Zour, im Nordosten des Landes, zu blutigen Auseinandersetzungen. Jetzt muss es auch der Syrien Wohlgesonnenste begriffen haben: das Regime befindet sich im Krieg mit dem eigenen Volk.

Als Begründung für das brutale Vorgehen wird offiziell eine Verschwörung von außen genannt. Das staatliche syrische Fernsehen spricht von "bewaffneten Banden", die von außen gesteuert, das Regime in Damaskus destabilisieren wollten. Doch die Unterschiedlichkeit der Proteste führt diese Begründung ad absurdum.

In der Tradition des Widerstands

Während in Deraa die zumeist sunnitisch-arabischen Stammesführer gegen die Zentralregierung in Damaskus aufstehen, ist die Mehrheit der Einwohner in Deir al-Zour kurdischen Ursprungs. Sie liegen schon lange im Clinch mit der regierenden Familie Assad, fordern mehr Rechte und Autonomie, werden dafür seit Jahrzehnten verfolgt, getötet und ins Gefängnis gesteckt.

Auch Hama hat eine Tradition des Aufstandes. Dort waren es 1982 die fundamentalistisch geprägten Muslimbrüder, die gegen die Führung in Damaskus rebellierten. Vater Hafiz Al-Assad ließ Panzer auffahren und auf Demonstranten schießen. Sohn Bashar scheint diese Praxis nun zu kopieren. Damals wie heute müssen Hunderte mit dem Leben bezahlen. Von den Tausenden Verletzten ganz zu schweigen. Doch während vor fast 30 Jahren Hama ein Einzelfall blieb, ist der Protest heute flächendeckend. Jeder tote Demonstrant bringt zig neue Gegner auf die Beine, so die Überzeugung der Dissidentenszene.

Demonstration gegen das Assad-Regime in Hama; Foto: AP
In der Tradition des Widerstands gegen den Assad-Clan: Bereits 1982 revoltierten die islamistischen Muslimbrüder in der zentralsyrischen Stadt Hama gegen Hafiz Al-Assad, der damals den Aufstand blutig niederschlagen ließ. Der gegenwärtige Protest gegen das Regime wird jedoch von allen städtischen Schichten verschiedener politischer Couleur getragen.

​​Anscheinend hat die Regierung das Dilemma ihrer Argumentation erkannt und versucht nun, eine neue Begründung für die Proteste zu finden und gleichzeitig die Bewegung zu spalten. Bassel Oudat ist einer der wenigen ausländischen Korrespondenten, die derzeit noch in Damaskus leben und von dort berichten. Der Ägypter hat erfahren, dass nun mehr und mehr ethnische und religiöse Ursachen für die Proteste vom Regime ins Feld geführt werden.

So habe Präsidentenberaterin Bothayna Shaaban vor wenigen Tagen erklärt, dass die Demonstrationen ein "sektiererisches Komplott" seien und nichts mit friedlichen Protesten zu tun hätten. Dies sei ein Angriff auf das Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen in Syrien. Die Demonstranten seien Salafisten und radikale Islamisten.

Förderung ethnischer und religiöser Konflikte

Bassel Oudat hat noch etwas anderes beobachtet: Mitglieder aller ethnischen und religiösen Gruppen seien derzeit in Syrien auf der Straße und protestieren gegen Diktatur und jahrelange Unterdrückung – und zwar ausnahmslos. In Homs, Syriens drittgrößter Stadt, habe er Spruchbänder gesehen mit der Aufschrift "Wir sind alle Syrer und fordern gemeinsam den Sturz des Regimes" und er habe Slogans gehört mit dem Aufruf zur Einheit des Landes.

Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay; Foto: AP
UN-Menschenrechtshochkommissarin Navi Pillay forderte ein sofortiges Ende der Gewalt in Syrien. Die Welt sei Zeuge der Brutalität, mit der die syrische Regierung gegen Zivilisten vorgehe, so Pillay.

​​Oudat wirft der Führung in Damaskus vor, bewusst die Flammen ethnischer und religiöser Konflikte entfachen zu wollen, um nicht zugeben zu müssen, dass eine breite Schicht der Bevölkerung gegen sie rebelliert und ihre Legitimität in Frage stellt. Er befürchtet, dass die Auseinandersetzungen in den nächsten Wochen noch heftiger werden könnten.

Bei so vielen Peitschenhieben für das Volk, mutet das Zuckerbrot, das Präsident Bashar al-Assad zuweilen verkündet, wie eine Henkersmahlzeit an. Zuerst stellte er den Kurden mehr Freizügigkeit in Aussicht, versprach gar die syrische Staatsbürgerschaft für diejenigen, die sie aufgrund ihrer politischen Agitation entzogen bekamen. Dann hob er den seit 1963 geltenden Ausnahmezustand auf und verkündete schließlich ein neues Parteiengesetz.

Worthülsen ohne Inhalt

Demonstration gegen das Regime in einem Vorort von Damaskus; Foto: dapd
"Weg mit dem Assad-Regime!" - mit jedem Toten und Inhaftieren wächst der Unmut gegen die Baath-Diktatur Bashar Al-Assads: Demonstration am 19. Juli in einem Vorort von Damaskus

​​Doch all das sei eine Farce, reagiert die Opposition: Worthülsen ohne Inhalt. Tatsächlich ist bis jetzt nicht eine einzige der versprochenen Reformen umgesetzt worden. Stattdessen erhielten die syrischen Sicherheitskräfte Verstärkung aus dem Iran, um noch "effektiver" gegen die Demonstranten vorzugehen.

Diplomatische Beobachter in Damaskus sprechen gar von dem Teheran-Syndrom, Parallelen zu der so genannten "Grünen Revolution" im Iran nach den Wahlen von vor zwei Jahren. Doch anders als in Libyen, wo die internationale Gemeinschaft relativ schnell intervenierte und sich auf die Seite der Reformer stellte, bleiben die Reaktionen auf die Lage in Syrien auf bloße Lippenbekenntnisse beschränkt.

Deutschland versucht nun schon zum dritten Mal eine Resolution im UN-Sicherheitsrat durchzubringen. Eine Verstärkung der Sanktionen wird angedroht. Doch schon seit dem Irak-Krieg 2003 werden die Sanktionen immer wieder verschärft. Assad und seine Truppe hat dies bislang nicht sonderlich beeindruckt.

Und anders als in Libyen, als die Arabische Liga, allen voran der Golfstaat Qatar, sich ebenfalls schnell zu einer Verurteilung von Machthaber Gaddafi durchrang und im Einklang mit den westlichen Staaten dessen Rücktritt forderte, herrscht im Falle Syriens eisernes Schweigen. "Euer Schweigen tötet uns!", ist nun auf einigen Spruchbändern der Protestierer in Hama zu lesen, womit auch die bisherige Haltung der arabischen Nachbarn kritisiert wird.

Svenja Andersson

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de