Von der Pflicht hinzuschauen
Der Kriegsfotograf Christoph Bangert zeigt auf drastische Art und Weise, was Menschen sich auch heute, über 100 Jahre nach dem Beginn des ersten Weltkriegs, noch in Kriegen und Konflikten antun. Die im Buch versammelten Fotografien stammen aus dem Gazastreifen, Indonesien, Israel, dem Libanon, dem Irak und Afghanistan und sind zwischen 2003 und 2011 entstanden. Viele dieser Reisen unternahm Bangert im Auftrag der amerikanischen Tageszeitung "The New York Times".
Christoph Bangert hat vor allem motiviert, dieses Buch zu veröffentlichen, da viele seiner Fotografien in seiner Redaktion als "zu hart" beschrieben wurden. "War Porn" ist eine Auseinandersetzung mit der Selbstzensur, die im Kopf des Fotografen beginnt und beim Medienkonsumenten aufhört. Was über Kriege und Konflikte gezeigt werden kann, vor allem in westlichen Medien, unterliegt Normen und Konventionen der Sichtbarkeit. Dem entgegen steht die Erfahrung des Fotografen im Feld, wo Tote und Verletzte Alltag sind.
Ob damit auch etwas wie ein Zwang diese Erfahrungen und Bilder zu teilen und zu zeigen verbunden ist, fragt dieses Buch. Damit schließt Bangert fast nahtlos an die Thesen der deutschen Journalistin Carolin Emcke an, die das Erzählen über das Leid anderer nicht nur für möglich, sondern auch für notwendig hält, für die Opfer selbst wie für die Leser in fernen Regionen.
Die Spuren von Krieg und Terror
Die Bilder in "War Porn" bestechen dabei weniger durch ihre ästhetischen Qualitäten, als durch den ungefilterten Inhalt: Leichen unter Tüchern, Menschen mit Verbänden um Kopf und Gliedmaßen, verstümmelte und verbrannte Körper, namenlose Gräber, tote Kinder und Erwachsene, trauernde Menschen und Beerdigungen – überall die Spuren von Krieg und Terror.
Es gibt kaum ein Thema des Leids und des Kriegs dem in "War Porn" kein Bild gewidmet wird. Wie können die Menschen in solch einem Umfeld überleben und wie kann ein Augenzeuge dies vor Ort betrachten ohne traumatisiert zu werden, fragt man sich beim Anblick der Bilder. Dabei sind viele Bilder deshalb so treffend, weil sie nicht nur die Leichen, sondern auch das Umfeld zeigen, die Säge zur Amputation von Gliedmaßen, die Blutlachen am Boden, die Leichenhallen.
Das Format und das Layout des Buches sind dem Thema angemessen zurückhaltend und unaufdringlich. Zwei dicke Buchbinderkartons versehen nur mit einer Prägung des Titels, des Autors und des Verlags fungieren als Umschlag, die Bindung liegt offen. Außer einem fünfseitigen Einleitungstext besteht das Buch aus querformatigen Bildern auf Doppelseiten.
Die Schreibmaschinenschrift zu Beginn erinnert zwar an Tagebucheinträge, wirkt aber trotz allem etwas altbacken. Am Ende des Buches findet sich eine Legende zu den einzelnen Bildern, die eine Kontextualisierung der dargestellten Ereignisse ermöglichen.
Die Schere im Kopf
Herausgefordert selbst aktiv zu werden, wird der Leser durch zugeklebte Seiten. Hier wird die von Bangert als Leitfrage verfolgte Reflexion über die Selbstzensur im Kopf in ein gestalterisches Prinzip übertragen. Gleichzeitig wird der Leser herausgefordert, selbst zu entscheiden, wie viel er sich zumuten will. Bangert zeigt damit auf, dass auch der Konsument Teil der Selbstzensur ist und letztlich durch das Betrachten am fotografischen Ereignis teilhat.
Einbezogen in diese Debatte wurden auch Kollegen Bangerts und diejenigen, die das Buch im Internet vorbestellt hatten. Sie bekamen seit vergangenem Januar Postkarten zugeschickt, auf denen er Fragen zur Selbstzensur thematisierte.
Das einzig Irritierende an "War Porn" ist sicherlich der Titel. Mit dem Begriff spielt Bangert auf eine Debatte an, in der Kriegsfotografie als pornografisch bezeichnet wird und damit deren Veröffentlichung verhindert werden soll. Bangerts Buch ist der ausgestreckte Mittelfinger gegen diese Haltung. Er nimmt sich heraus, diese Bilder zu publizieren, die so gar nichts Pornografisches haben. Stattdessen zwingt er den Betrachter, Stellung zu beziehen zu den Toten, Opfern und Kriegsverbrechen, die auch im Namen westlicher Kriegsakteure begangen wurden.
Überzeugungstäter
Beeindruckend an dem Fotoband ist, dass Bangert damit auch seine Familiengeschichte verknüpft. Das Buch endet mit Fotografien seines Großvaters, einem überzeugten Nationalsozialisten, aus dem Zweiten Weltkrieg. In den Geschichten des Großvaters gab es den Krieg nur als Heldengeschichte, das wichtigste Thema war sein Pferd Malinki. Tod, Leid und Selbstzweifel wurden von ihm, wie von so vielen seiner Generation, nicht thematisiert.
"My grandfather, who served the Nazi regime, chose to forget what he had seen", schreibt Bangert in der Einleitung und nimmt dies zum Anlass zu erläutern, warum er erzählen möchte und wie wichtig es ihm ist, der Nachwelt zu zeigen, was seine Kriegserinnerungen sind: unter anderem die Leichenberge in diesem Buch.
Auch wenn der Vergleich zwischen ihm und seinem Großvater etwas hinkt, da er nicht wie sein Großvater als Täter, sondern als Beobachter im Krieg war, erahnt man am Ende, was im Kopf eines Fotografen vorgehen mag, der wie Christoph Bangert viele Jahre seines Lebens mit der Dokumentation vom Leid im Krieg verbrachte. Das Buch ist das visuelle Zeugnis dieser Erfahrungen.
Dabei ist und bleibt "War Porn" ein Fotobuch. Es lebt von dem, was uns die Bilder über den Krieg erzählen. Die Debatte darüber, was gezeigt werden kann und was nicht und wie Konventionen des Sehens sowie die Selektion der Bildredaktionen unseren Blick auf das Leid beschneiden, muss gewiss an anderer Stelle geführt werden. Die Sichtweise des fotografischen Beobachters, die "War Porn" prägt, kann dafür ein Anstoß sein.
Felix Koltermann
© Qantara.de 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Christoph Bangert: "War Porn", Kehrer Verlag 2014, ISBN 978-3-86828-497-3