Eine Brücke zwischen den USA und der muslimischen Welt
Über die Situation der afro-amerikanischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten lässt sich nicht diskutieren, ohne die Intensität des Leidens der Schwarzen in diesem Land zu kennen. In der reichsten Nation der Welt liegen die Armutsraten unter den Schwarzen höher als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe. Auch wenn das Land inzwischen einen farbigen Präsidenten hat, werden Afro-Amerikaner politisch noch immer an den Rand gedrängt. So sitzen beispielsweise keine Afro-Amerikaner im US-Senat. Wenn es um Rassengerechtigkeit geht, so befinden sich die USA noch ganz am Anfang des Wiedergutmachungsprozesses.
Die Lebensgeschichte von Malcolm X ist wohlbekannt. Schon seine Eltern waren Bürgerrechtsaktivisten, doch nach dem Tod seines Vaters und nachdem seine Mutter infolge eines Nervenzusammenbruchs in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wurde, driftete Malcolm in die Kleinkriminalität ab.
Er kam ins Gefängnis und fand dort zur Religion, zu einer neuen Identität und einer Lebensaufgabe durch die "Nation of Islam" (NOI), einer muslimischen Bewegung, die sich den Kampf gegen die Unterdrückung der Schwarzen ebenso zur Aufgabe gemacht hatte wie die Trennung von den Weißen. Der Wandel Malcolms vom Kleinkriminellen zu einem landesweit bekannten Muslim ist eine Erfolgsgeschichte – angesichts der herrschenden sozialen, kulturellen und strukturellen Bedingungen, unter denen diese sich vollzog.
Gemeinsam gegen die Tyrannei des Rassismus
Sein besonderes Verdienst liegt eben in der Symbolkraft der Transformation, die er selbst vollzog. Er wurde sich bewusst, dass kein Schwarzer jemals ganz frei von Unterdrückung leben könne, wenn es nicht einen kollektiven Kampf gegen die Tyrannei des Rassismus gäbe.
Leider begann Malcolm X unter dem Einfluss der "Nation of Islam" auch die rassische Segregation zu befürworten und die Weißen als von Grund auf böse zu dämonisieren. Er predigte einen separatistischen Nationalismus als Weg, den Afro-Amerikanern ihre Würde zurückzugeben. Später aber erkannte er die Ungerechtigkeit seiner eigenen Ideologie.
Ich persönlich finde Malcolm Xs Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion – und dies trotz der extremen Anfeindungen von außen – sehr bewundernswert. Er begann die moralischen Fragwürdigkeiten innerhalb seiner eigenen Bewegung zu erkennen. 1964, desillusioniert von der NOI, verließ er die Bewegung und suchte nach seinem eigenen Weg.
In diesem Jahr begab er sich auf Hadsch, die muslimische Pilgerfahrt nach Mekka, wo er erstmals auch die ethnische Vielfalt des Islams erkannte. Dabei fiel ihm schlagartig auf, dass in der Weise, wie Muslime miteinander umgingen, jede Form ethnischer Vorurteile fehlte, was ihn zu der Erkenntnis brachte, dass verschiedene Rassen sehr wohl koexistieren konnten.
Universelle Suche nach Gerechtigkeit
Nach dieser besonderen universellen Erfahrung versuchte Malcolm X (der sich fortan El-Hajj Malik El-Shabazz nannte), einen Ausgleich zu suchen zwischen seiner afro-zentrierten Weltsicht und seinem Glauben an die Universalität des Islam.
El-Shabazz kehrte in die USA als grundlegend gewandelter Mensch zurück. Obwohl er noch immer für die Befreiung der Schwarzen kämpfte, verzichtete er nun bewusst auf seine radikale Rhetorik und Attitüde zugunsten einer universalen Suche nach Gerechtigkeit. Er glaubte nun, dass er Nicht-Muslimen und Weißen als Partner gegenübertreten könnte, um gemeinsam mit ihnen ein Amerika aufzubauen, das frei von Rassenhass und einseitigem Überlegenheitsanspruch wäre – eine Botschaft, die er in Seminaren an zahlreichen Universitäten vertrat. Noch vor seinem 40. Geburtstag aber wurde El-Shabazz ermordet.
Dennoch betrachten auch heute noch Milionen von Menschen El-Shabazz als Helden, wobei er die Afro-Amerikaner nach wie vor in besonderer Weise inspiriert. Er lehrte sie, sich zu erheben und mit Stolz und Würde für ihre Rechte zu kämpfen. Für Muslime bildet er eine Brücke, die die Vereinigten Staaten mit der muslimischen Welt verbindet.
Für amerikanische Muslime ist er einer der Väter ihrer Nation. Auch wenn er erst zwei Jahrhunderte nach ihrer Gründung in Erscheinung trat, gelang es ihm doch, ebenso wie Martin Luther King und Präsident Obama, das Prinzip, auf dem unsere Nation gegründet wurde – dass alle Menschen gleich erschaffen wurden – glaubhafter zu machen.
Muqtedar Khan
© Common Ground News 2012
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de