Eine neue Welle der Islamfeindlichkeit
Während in den USA zahlreiche Medienvertreter schnell dabei sind, den radikalen Islam als Ursache allen Übels darzustellen, werden besonnene muslimische Stimmen weitgehend ignoriert. Stattdessen interpretieren viele der selbsternannten "Experten" das vermeintliche "Grundprinzip" hinter dem Islam und dem islamischen Terrorismus. Dabei maßen sie sich an, stellvertretend für mehr als eine Milliarde gläubige Muslime zu sprechen.
Für Nouran, eine syrischstämmige Amerikanerin, die Politikwissenschaft und Genderstudien an der San Francisco State University studiert, hängt die Zukunft der Muslime in Amerika davon ab, wie "selbstbestimmt" die muslimische Gemeinschaft künftig werden kann. Sie beklagt sich darüber, dass viele US-Amerikaner sie so wahrnehmen, als ob sie nicht in der Lage sei, eigene Entscheidungen zu treffen, nur weil sie einen Schleier trägt. Ihrer Meinung nach kommt das daher, dass verschleierte muslimische Frauen keine öffentliche Plattform, haben, um ihre Identität im amerikanischen Kontext zu präsentieren. "Wir brauchen mehr Frauen, die für Musliminnen wie mich sprechen", sagt sie.
Todesdrohungen gegen Muslime
Die Betroffenheit der muslimischen Community nach dem Anschlag von Boston war groß. Führende muslimische Organisationen bekundeten öffentlich ihre Trauer und verurteilten den Gewaltakt. "Jedes Mal, wenn es auf der Welt zu Gewalttaten kommt, hoffen und beten wir, dass keine Muslime darin verwickelt sind", erklärt Ibrahim Hooper vom "Council on American-Islamic Relations" (CAIR) in Washington. "Es bringt uns in eine sehr schwierige Lage."
Nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon habe er Todesdrohungen erhalten, erklärte Hooper. Oder er sei aufgefordert worden, die USA zu verlassen. Doch solche Anrufe seien nach Attentaten, in die Muslime involviert sind, durchaus üblich, so der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Vertreter der Organisation.
Nach solchen Diskriminierungen suchen viele Muslime rechtlichen Beistand von Anwälten. Laut Hooper ein unerlässlicher Schritt, denn "es gehört zum Schutz einer Minderheit, sie über ihre Rechte aufzuklären", so Hooper.
Zwischen Generalverdacht und Überwachungswillkür
Ende Mai rief der republikanische Abgeordnete Peter King, seines Zeichens Vorsitzender des Unterausschusses für Terrorismusbekämpfung und Nachrichtendienste, die Regierungsbehörden dazu auf, die Überwachung von Muslimen im Land auszuweiten. Dabei nahm er Bezug auf den islamischen Hintergrund von Dzhokhar und Tamerlan Tsarnaev, den mutmaßlichen Drahtziehern des Anschlags auf den Boston-Marathon.
Die Polizei müsse "erkennen, dass die Gefahr von der muslimischen Gemeinschaft ausgeht, und die Überwachung dort verstärken", sagte der New Yorker Abgeordnete der Zeitschrift "National Review".
King, der für seine anti-islamische Haltung bekannt ist, leitete im Jahr 2011 umstrittene Anhörungen bezüglich der Radikalisierung muslimischer Amerikaner und erzählte darüber hinaus dem Nachrichtensender "CNN", dass man "nicht politisch korrekt sein können". Er deutete außerdem an, dass die tschetschenische Community in den Vereinigten Staaten von Terroristen infiltriert worden sei.
Islamisierung durch die Hintertür?
King ist nicht der einzige, der sich offen gegen Muslime ausspricht, obwohl die beiden Brüder, die den Anschlag von Boston verübten, elf Jahre lang in den USA gelebt hatten. Das könnte mehr über ihre Angst und Frustration, über die gegenwärtige wirtschaftliche, politische und soziale Situation in ihrer Wahlheimat aussagen als über ihren vermeintlichen Glauben. Doch das scheint führende Politiker in den USA nicht davon abzuhalten, die Debatte über den politischen Islam zu generalisieren und alle Muslime pauschal mit Hasstiraden zu überziehen.
Die republikanische Senatorin von South Carolina, Lindsey Graham, verkündete, dass die Tsarnaev-Brüder angeblich auf einer "Dschihad-Mission" gewesen seien. "Radikale Dschihadisten versuchen, uns hier zuhause anzugreifen", erklärte sie dem Sender "Fox News". "Jeden Tag sehen wir uns der Gefahr durch radikale Islamisten ausgesetzt. Sie kommen durch die Hintertür und versuchen, amerikanische Bürger zu radikalisieren."
Die islamfeindliche Stimmung, die mit den Anschlägen vom 11. September ihren Anfang nahm, wurde durch den Anschlag von Boston zweifelsohne weiter geschürt. Gerechtfertigt ist die zunehmende Angst vor dem Islam und die Muslime nicht.
Die Schul- und Kinoamokläufe, die wir in den vergangenen Jahren miterlebten, töteten mehr Menschen als der Bombenanschlag von Boston. Sie sollten ebenfalls als "Akte des Terrors" bezeichnet werden. Falls es einer Bombe bedarf, um als Terrorist zu gelten, dann haben wir die Bezeichnung wohl missverstanden. Wenn ein Durchschnittsamerikaner einen Mord begeht, gilt er zumeist als psychisch labil. Doch wenn ein Muslim mordet, ist er verrückt - oder wie Peter King wahrscheinlich sagen würde: "einfach nur muslimisch".
Joseph Mayton
© Qantara.de 2013
Übersetzt aus dem Englischen von Jonas Berninger
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Joseph Mayton ist ein US-amerikanischer Journalist, der in Kairo, Ägypten, ansässig ist und unter anderem für die englische Tageszeitung "The Guardian" schreibt. Er arbeitet derzeit an einem Buch über die Muslimbruderschaft und ist der Gründer und Herausgeber der Webseite "Bikya Masr".