Niemand will den offenen Konflikt mit Saudi-Arabien

Auch wenn der Fall des verschwundenen saudischen Journalisten Khashoggi schwer wiegt, will keine Regierung einen offenen Konflikt mit den Saudis riskieren. Derweil wachsen die Sorgen von Dissidenten, die aus ihren autoritär regierten Herkunftsländern in den Westen geflohen sind. Darüber sprach Diana Hodali mit Guido Steinberg.

Von Diana Hodali

Herr Steinberg, alle warten auf eine Erklärung von Saudi-Arabien im Fall des verschwundenen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Donald Trump hat sich schon öffentlich an die Seite von Kronprinz Mohammad bin Salman gestellt. Saudi-Arabien will jetzt eine Untersuchung einleiten – aber was ist davon zu erwarten?

Guido Steinberg: Die Regierungen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Staaten haben ein Interesse daran, ihre Beziehungen nicht zu schädigen. Es ist daher nicht zu übersehen, dass die Trump-Administration versucht, Maßnahmen gegen die Saudis zu vermeiden. Ich glaube nicht daran, dass eine saudische Untersuchung die Wahrheit ans Licht bringt. Einen möglichen Weg für Riad hat Präsident Trump schon angedeutet, als er darüber spekulierte, ob nicht saudische Geheimdienstler ohne Wissen der Regierung für die Entführung oder Ermordung Khashoggis verantwortlich sein könnten.

Warum tut die westliche Politik sich denn so schwer damit, entschiedener die Aufklärung im Fall des verschwundenen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zu fordern?

Steinberg: Kaum eine Regierung möchte einen offenen Konflikt mit den Saudis. Man denke an den Konflikt mit Kanada, wo Saudi-Arabien aufgrund eines banalen Tweets faktisch die Beziehungen abgebrochen und Sanktionen verhängt hat. Deutschland hat die Beziehungen zu Saudi-Arabien kurz vor dem Fall Khashoggi normalisiert, sodass gerade die Bundesregierung kein Interesse an einer neuerlichen Eskalation hat. Die USA sind aber die weitaus wichtigere Adresse bei diesem Thema. Dort haben wir es mit einer Regierung zu tun, die seit Anfang 2017 auf besonders enge Beziehungen zu Saudi-Arabien setzt. Dazu kommt die Türkei, die den Konflikt mit Saudi-Arabien auch nicht will. Deswegen werden zwar alle relevanten Informationen geleakt, doch die Regierung hält sich mit Schuldzuweisungen zurück.

Hat Saudi-Arabien aufgrund des engen Verhältnisses zwischen Donald Trump und Kronprinz Mohammad bin Salman eine "Carte Blanche"?

Steinberg: Zumindest glaubte Riad wohl, mit der Entführung oder sogar einem Mord davonzukommen. Dass Saudi-Arabien auf die Protektion der US-Regierung zählte, zeigte sich schon während der Qatar-Krise 2017. Jetzt könnte der Kronprinz den Bogen jedoch überspannt haben, denn der US-Kongress drängt seit einigen Tagen auf Reaktionen.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman; Foto: picture-alliance
Dissidenten im Ausland das Fürchten lehren: Unter Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hat sich der Druck auf saudische Oppositionelle und Regimekritiker im Exil erhöht. „Es gibt immer mehr autoritäre Staaten, die immer autoritärer auftreten“, so Nahostexperte Steinberg. "Dementsprechend gibt es auch mehr Exilanten, die aus diesen Staaten in die westliche Welt fliehen. Dies veranlasst Diktatoren dazu, ihre Opposition im Ausland zu suchen und dort zu bekämpfen."

Die Türkei hat die Version ihrer Erkenntnisse im Fall Khashoggi verändert. Erst soll er zwei Stunden in der saudischen Botschaft verhört und dann getötet worden sein, derzeit sagen Ermittler, er sei gleich nach Eintritt in die Botschaft getötet worden. Wie erklären Sie sich diesen Wandel?

Steinberg: Ich glaube nicht, dass dieses Vorgehen geplant ist. Die widersprüchlichen Informationen sind nicht zu vermeiden, wenn es keine glaubhaften offiziellen Darstellungen gibt. Die Strategie der Türkei scheint zunächst einmal zu sein, eindeutige offizielle Äußerungen zu vermeiden. Gleichzeitig leaken türkische Beamte Informationen über den Ablauf der Tat. Der Grund für dieses Vorgehen ist, dass die Türkei zwar verstimmt ist, gleichzeitig aber keinen Konflikt will, weil die Wirtschaftslage so katastrophal ist. Saudische Touristen spielen in der Türkei eine Rolle und saudische Investitionen sind ebenfalls erwünscht. Das dürfte der wichtigste Grund für die Zurückhaltung der Türkei sein.

Die Türkei, Saudi-Arabien und die USA wollen im Fall Khashoggi weiterhin zusammenarbeiten. Aber die Türkei und die USA haben wirtschaftliche Interessen. Wie kann in dieser Dreierkonstellation eine Aufklärung funktionieren?

Steinberg: Ich glaube nicht, dass es in dieser Dreierkonstellation um Aufklärung geht, sondern darum, Zeit zu gewinnen und möglicherweise negative Folgen abzufedern. Die Türkei und auch die USA wollen keinen Konflikt mit Saudi-Arabien, stehen aber jetzt unter einem gewissen Druck, gegen die Saudis vorzugehen. In der Türkei sind das die starken Kreise in der der AKP, die mit der Muslimbruderschaft sympathisieren.

Was ist von den anderen Staaten zu erwarten?

Steinberg: Die Türkei, Saudi-Arabien und die USA sind die wichtigsten Akteure in diesem Konflikt. Wenn alle drei kein Interesse an einer Eskalation haben, dann haben sie auch kein Interesse an einer Aufklärung des Falls. Das könnte auch verhindern, dass andere Staaten sich entschieden äußern. Die Europäer beispielsweise werden sich genau überlegen, ob sie mit Sanktionen wie der Ausweisung von Diplomaten reagieren, wenn die USA das nicht tun.

Im Fall Skripal haben die Amerikaner und ihre Verbündeten gemeinsam gehandelt. Das ist aus meiner Sicht eine nachvollziehbare und in solchen Fällen angemessene Reaktion. Nur, wenn die Amerikaner nicht mit dabei sind, wird dies nicht zu einer Verhaltensänderung der Saudis führen. Und das ist das Problem, das für die Europäer und andere Verbündete entstehen kann: dass sie Maßnahmen ergreifen, die ihrem Verhältnis zu Saudi-Arabien schaden, ohne dass sie den gewünschten Effekt erzielen - nämlich die Saudis dazu zu bewegen, so etwas künftig zu unterlassen.

Die Türkei ist NATO-Mitglied - die Ermordung hat auf dem Boden dieses Landes stattgefunden. Sollte das in irgendeiner Form Auswirkungen auf den Umgang der NATO-Partnerländer mit dem Fall haben?

Steinberg: Das sollte Auswirkungen haben. Die Türkei ist ein wichtiges NATO-Mitglied; und ein politischer Mord im Herzen eines NATO-Landes sollte aus meiner Sicht auch von allen NATO-Mitgliedern geschlossen sanktioniert werden. Das Problem ist allerdings, dass die Türkei eine solche geschlossene Reaktion bisher gar nicht einfordert. Dann stellt sich die Frage, was Sanktionen bewirken können. Besonders dann, wenn der stärkste Mitgliedsstaat der NATO, die USA, eine solche Reaktion auch nicht wollen.

Proteste in Washington zur Aufklärung des mutmaßlichen Mordes am saudischen Journalisten Khashoggi; Foto: picture-alliance/AP
Öffentliche Empörung und Ruf nach Aufklärung: Die türkischen Behörden gehen nach Medienberichten davon aus, dass Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul von einem aus Saudi-Arabien angereisten 15-köpfigen Spezialkommando getötet wurde. Sie sollen auch im Besitz kompromittierender Ton- und Videoaufnahmen sein. Die Saudis beteuern dagegen ihre Unschuld. Der reformorientierte Journalist Khashoggi ist seit einem Besuch des saudischen Konsulats in Istanbul am 2. Oktober verschwunden.

Wie könnten Sanktionen denn aussehen – müsste man, im Falle Deutschlands, nicht auch an einen Waffenexportstopp denken, wenn Saudi-Arabien verantwortlich sein sollte?

Steinberg: Zum Beispiel könnte man die Ausweisung von Diplomaten veranlassen. Das sollte sehr gezielt geschehen - also vor allem Angehörige der Sicherheitsbehörden treffen. Man könnte auch daran denken, die Leiter der Behörden zu bestrafen, die an dieser Aktion beteiligt waren. Weitergehende Maßnahmen sind unrealistisch.

Viele arabische Dissidenten und auch kritische Journalisten haben ihre Heimatländer verlassen müssen und Schutz in anderen Staaten gesucht. Was bedeutet dieser Fall jetzt für sie, wenn sie sehen, dass es möglicherweise keine Konsequenzen zu befürchten gibt von der Weltgemeinschaft?

Steinberg: Die Furcht bei vielen Exilanten ist jetzt schon groß. Ich denke, dass wir von einem Trend sprechen können. Es gibt mehr autoritäre Staaten und Staaten, die autoritärer werden wie zum Beispiel Saudi-Arabien. Diese Staaten bemühen sich mit allen möglichen Mitteln, Kritiker und Dissidenten im Ausland unter Kontrolle zu bringen. Und das geht - wie wir mittlerweile wissen - bis hin zum Mordanschlag. Für die Staaten, die diese Kritiker aufnehmen, bedeutet das, dass die Gefahr solcher Übergriffe wächst.

Wir beobachten das in den letzten Jahren in der Türkei, die Oppositionelle auch in Europa verfolgt. Die Kritiker dieser Regierungen machen sich schon seit einiger Zeit große Sorgen. Die Saudis, die Ägypter oder auch die Syrer, die sich im Ausland aufhalten, werden diese Ereignisse von Istanbul sehr genau beobachten und nach Möglichkeiten suchen, wie sie sich schützen können. Letzten Endes müssen das die Staaten übernehmen, in denen sie leben. Dies ist ein Grund, dass ich Sanktionen befürworte, wenn sich herausstellt, dass die Saudis für die Tat verantwortlich sind. Es müssen Sanktionen sein, die die Saudis davon überzeugen, so etwas zumindest in einem NATO-Land nicht noch einmal zu machen.

Was hat Khashoggi in Saudi-Arabien in Ungnade fallen lassen - waren es seine Sympathien für die Muslimbrüder? Er hatte ja eigentlich immer gute Beziehungen zu weiten Teilen des saudischen Königshauses, war aber ein Kritiker von Mohamed bin Salman.

Steinberg: Er hatte sogar sehr gute Beziehungen zu Teilen des Königshauses. Und das ist eine der vielen Merkwürdigkeiten an diesem Fall. Er war kein wirklicher Oppositioneller. Er war vielmehr ein Kritiker der Regierung, der immer wieder liberale Reformen eingefordert hat. Die Gefahr, die von ihm ausging, lag darin, dass er so viele unterschiedliche Kontakte hatte: Er hatte gute Beziehungen zu Muslimbrüdern in der gesamten Region, weil er selbst wohl früher einer war oder ihnen zumindest sehr nahe stand. Er hatte gute Beziehungen zu führenden Prinzen, die teilweise im letzten Jahr von Mohammed bin Salman verfolgt wurden, so wie der Milliardär Walid bin Talal. Er hatte aber auch eine große Strahlkraft auf die liberalen Teile der Bevölkerung. Diese Faktoren machten ihnen offenbar aus Sicht der Regierung zu einer potenziellen Bedrohung. Dabei hätte es vermutlich Möglichkeiten gegeben, mit Jamal Khashoggi eine Übereinkunft zu finden und ihn für den saudischen Staat wiederzugewinnen.

Mohammad bin Salman hat lange versucht, sich als Reformer zu präsentieren, doch tatsächlich hat er seine Kritiker verfolgt, wegesperrt und auch hinrichten lassen.

Steinberg: Es gibt tatsächlich eine Art autoritäre Wende der saudischen Politik nach 2015. Ich glaube aber, dass man Mohammad bin Salman nicht nur negativ sehen sollte. Er ist ein Wirtschafts- und Sozialreformer. Aber eben in der Art und Weise wie das vielleicht Atatürk oder Reza Pahlewi waren - also autoritäre Reformer, die glaubten, dass sie ihre Gesellschaften nur dann verändern können, wenn sie alle Lebensbereiche fest im Griff behalten. Er will Reformen, die das Land ins 21. Jahrhundert bringen, aber eben in das 21. Jahrhundert nach chinesischem Modell und nicht nach einem liberal-westlichem Modell.

Glauben Sie, dass der Kronprinz unbescholten aus dieser Affäre herauskommt, wenn sich herausstellt, dass Saudi-Arabien der Drahtzieher war?

Steinberg: Er hat an Ansehen verloren und seine Wirtschaftsreformen werden darunter leiden. Nur noch wenige werden in Saudi-Arabien investieren. Seine Herrschaft scheint mir jedoch nicht bedroht zu sein - er hat alle Konkurrenten ausgeschaltet.

Ich möchte noch mal anknüpfen an die Sicherheit von Regime-Kritikern. Muss der Westen sich darauf einstellen, Dissidenten und Kritiker in Zukunft besser zu schützen?

Steinberg: Ja, ich denke schon. Es gibt immer mehr autoritäre Staaten, die immer autoritärer auftreten. Dementsprechend gibt es auch mehr Exilanten, die aus diesen Staaten in die westliche Welt fliehen. Dies veranlasst Diktatoren dazu, ihre Opposition im Ausland zu suchen und dort zu bekämpfen.

Wenn man diesen Trend beobachtet, dann müssen die Aufnahmestaaten aus moralischen, aber auch aus praktischen politischen Gründen mehr Schutz für sie bieten. Das ist kein neues Phänomen. Auch in der Vergangenheit wurden osteuropäische Dissidenten, Iraner, Syrer und Libyer hier in Europa verfolgt. Aber ich glaube, dass das Phänomen in den letzten Jahren erneut an Bedeutung gewonnen hat.

Unsere Sicherheitsbehörden müssen mehr und besseren Schutz bieten. Dies kann nur gelingen, wenn sie möglichst viel über die Staaten und deren Vertretungen wissen, von denen Gefahr ausgeht. Ich glaube, dass unsere Politik reagieren muss, indem sie die Organisationseinheiten in unseren Sicherheitsbehörden stärkt, die sich um Gegenspionage kümmern. Sie sind nach dem Ende des Kalten Kriegs sträflich vernachlässigt worden, werden aber schon seit Jahren immer häufiger gebraucht.

Das Gespräch führte Diana Hodali.

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Guido Steinberg ist Nahost-Experte der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP).