Kunst mit 99 Attributen

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Unter dem Titel "Die 99 Antlitze" zeigt das Museum für Islamische Kunst derzeit Werke des Künstlers Marwan. Der gebürtige Syrer, seit fünf Jahrzehnten in Berlin beheimatet, gilt als Brückenbauer zwischen den Kunsttraditionen des Orients und der westlichen Moderne.

Von Ariana Mirza

"Das Antlitz ist einzig, aber du kannst es durch Spiegel vervielfältigen." Diese Verse des Dichters Ibn Arabi sind dem Künstler Marwan eine wichtige Quelle der Inspiration.

Schon früh konzentrierte sich der heute 74-jährige Maler auf ein Sujet: Gesichtslandschaften. Die nun gezeigten Arbeiten wirken wie eine Essenz des jahrzehntelangen Bestrebens, Emotionen in abstrahierter Form zu verbildlichen.

Der menschliche Kopf, Marwans zentrales Motiv, ist zur universellen Metapher geworden. In seinen Gesichtslandschaften begegnen sich Innenwelt und Außenwelt; der Künstler erkundet das Wechselspiel von innerer Reflexion und äußerer Rezeption.

Einfluss der orientalischen Mystik

Die Radierungen, die den Mittelpunkt der Berliner Ausstellung bilden, entstanden Ende der 90er Jahre. Zunächst scheinbar frei von jeglicher Verbindung zur sufischen Vorstellung von den "99 Eigenschaften Gottes" schuf Marwan eine 99-teilige "Suite der Köpfe". Doch je älter er werde, so meint der Künstler rückblickend, umso bewusster sei ihm die Nähe seines Werks zur orientalischen Mystik.

Eine Nähe, die für den Direktor des Museums für Islamische Kunst, Claus-Peter Haase, von vornherein augenfällig war. "Es ist ein Wiederentdecken von Motiven, die in Marwans früher Jugendzeit gewirkt haben."

Die zentrale Wandinstallation der Ausstellung, bestehend aus 99 kleinformatigen Radierungen und einem leeren Rahmen, ist jedoch nicht nur als Reminiszenz an die "99 Eigenschaften Gottes" zu deuten. Mit ihren gestischen Kürzeln und kalligraphischen Abstraktionen entwickeln die einzelnen Antlitze zudem eine Form von arabischer Ikonographie.

Neben den im Islam tradierten Abstrahierungsprinzipien sind in Marwans Radierungen, aber auch in seinen Ölbildern und Aquarellen, die flankierend in der Ausstellung zu sehen sind, Anknüpfungspunkte zu Werken der byzantinischen Ikonologie erkennbar.

Melancholie, Erkenntnissuche, Sinnlichkeit

Der Brückenschlag zwischen islamischer Kunsttradition und Moderne ist ein besonderes Anliegen des Museums für Islamische Kunst. Durch regelmäßige Ausstellungen von Gegenwartskunst versucht das Museum eine "kulturelle Verbindungsaufgabe" wahrzunehmen. "Wir füllen hier einen Zwischenraum aus", erklärt Direktor Claus-Peter Haase.

Durch ihre Verbindung zum islamischen Kulturraum geprägte, zeitgenössische Kunst werde auf ihre globale Bedeutung hin untersucht. Die Ausstellung "Die 99 Antlitze" sei in diesem Kontext ein besonderer Glücksfall, heißt es in Berlin. Denn Marwan besitzt, so die Ausstellungsmacher, in der arabischen Welt und in der westlichen Hemisphäre gleichermaßen großes Renommee.

Bild Marwan Kassab Bachi; Foto: Stephan Schmidt
Ein syrischer Maler in Berlin: In Marwans Werk finden sich Melancholie, Erkenntnissuche und Sinnlichkeit; Foto: Stephan Schmidt

Schon in der Vita des Künstlers ist ein west-östlicher Brückenschlag erkennbar. 1934 in Damaskus geboren, studierte Marwan bis 1957 arabische Literatur in seiner Heimatstadt. Im gleichen Jahr siedelte er nach Berlin über, um dort Malerei zu studieren.

Internationale Erfolge als freischaffender Maler und eine langjährige Professur an der Berliner Hochschule der Bildenden Künste kennzeichnen seinen weiteren Lebensweg.

Obwohl Marwan seit über 50 Jahren in Deutschland beheimatet ist, so sind wichtige Komponenten seiner Arbeiten dennoch in der Tradition orientalischer Kultur zu verorten. Neben Melancholie und Erkenntnissuche findet sich als dritte Konstante in Marwans Werk die Sinnlichkeit. Eben jene Sinnlichkeit, die sich in orientalischer Literatur, Baukunst, Farbenlehre und Kalligraphie manifestiert.

"Damaskus", so der Kunstkritiker und Publizist Joachim Sartorius, "ist als Chiffre in Marwans Malerei stets spürbar."

Ariana Mirza

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