Schöner schreiben als Gott
Es war ein Zufall, der Abbas Khider nach Deutschland brachte. Der junge Iraker war eigentlich auf dem Weg nach Schweden. Er hatte gehört, dass man dort als politischer Flüchtling das Studium bezahlt bekomme.
Doch im bayrischen Ansbach wird Khider von einem deutschen Grenzpolizisten aufgegriffen und verhaftet. Aufgrund des damals geltenden Asylrechts konnte er Deutschland nicht mehr verlassen. "Eigentlich sollte ich mich bei dem Mann bedanken", erzählt Khider im Interview und lacht sein für ihn typisches rückhaltloses Lachen.
In der Zwischenzeit hat sich einiges getan: Als Khider vor zehn Jahren ins Land der Dichter und Denker kam, kannte er nicht mehr als drei deutsche Vokabeln: "Hitler", "Scheisse" und "Lufthansa". Und nun steht der Mann aus Bagdad auf der SWR-Bestenliste, die von Deutschlands wichtigsten Literaturkritikern zusammengestellt wird.
Odyssee ums Mittelmeer
Was für eine Geschichte: Ein irakischer Flüchtling lernt im Erwachsenenalter die Sprache von Schiller und Goethe und steht wenige Jahre später in der ersten Reihe deutscher Romanautoren.
Aber fangen wir von vorne an. Im Jahr 1973 wird Abbas Khider in Bagdad geboren, im selben Jahr ernennt der Revolutionsrat Saddam Hussein zum Drei-Sterne-General der irakischen Streitkräfte. Als junger Abiturient verteilt Khider Flugblätter gegen das Regime, kurz darauf sitzt er das erste Mal in Haft.
Insgesamt sechsmal wird er wegen politischer Umtriebe festgenommen, zwei volle Jahre verbringt Khider in den Kerkern von Saddam Hussein. 1996 gelingt ihm schließlich die Flucht nach Amman, und es beginnt die jahrelange Odyssee durch nahezu den gesamten Mittelmeerraum, eine Zeit, die Khider in seinem 2008 erschienenen ersten Roman, "Der falsche Inder", verarbeitet hat.
Vier Jahre lang schlägt er sich als Papierloser durch Jordanien, Libyen, Tunesien, die Türkei, Griechenland und Italien. Mit den unterschiedlichsten Jobs hält er sich über Wasser: als Kellner, Hilfsarbeiter auf dem Bau, Arabischlehrer, Teppichträger, Müllsortierer und Putzkraft.
Geschlafen hat Abbas Khider in dieser Zeit überall, wo er ein Plätzchen fand: unter Brücken, in Tunneln, auf Baustellen, im Puff. Wenn man Khider begegnet, ist man zuerst verblüfft ob der gelösten und anscheinend unverwüstlichen Heiterkeit, die der Mann ausstrahlt. Aber vielleicht ist es die Heiterkeit eines Menschen, der weiss und erfahren hat, dass alles im nächsten Augenblick vorbei sein kann, und der gerade deshalb jeden Moment als Gnade, als Geschenk Gottes empfindet.
"Der falsche Inder" jedenfalls ist eine krasse Anekdotensammlung aus dem stürmischen Leben eines Flüchtlings. Khider erzählt von heimlichen Bootsfahrten, Verfolgung durch die Polizei, einer Flucht über die Dächer von Istanbul, von einer russischen Prostituierten, die auf dem Kahn eines libyschen Schleppers "das Geschäft ihres Lebens" macht und dann nachts mit der Kippe in der Hand an der Reling hängt, weil sie kaum noch stehen kann.
Khider berichtet von einer nächtlichen Schießerei im Grenzgebiet und den Schmerzen einer entzündeten Schusswunde; von Freunden, die auf dem Weg nach Griechenland im Ebrus von der Strömung mitgerissen werden und nie wieder auftauchen; von einer Familienmutter auf der Flucht, die zum Schlepper unter die Decke kriecht und Mann und Tochter zitternd und weinend auf ihrem Platz zurücklässt, weil sie die Flucht mit ihrer Prostitution bezahlt.
Distanz durch Sprache
Für sein Debüt wurde Khider mit dem Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet, der an Autoren vergeben wird, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist. Mit seinem soeben erschienenen zweiten Roman hat er nun den Sprung an die Spitze geschafft.
"Die Orangen des Präsidenten" ist ein irakischer Gefängnisroman, ein Roman, der den Leser durch das geschilderte Leid und die Grausamkeit erschüttert. Zugleich gelingt Khider das Kunststück, in seine düstere Kerkerprosa den Schimmer einer Humanität zu weben, die selbst dem sadistischen Verhörpolizisten und dem Folterknecht menschliche Züge zugesteht.
Dank der schlichten Kunstfertigkeit seiner Sprache wirkt Khiders Stil nie artifiziell oder konstruiert. Seine Prosa ist eine am Menschen interessierte Kunst, die stets darum bemüht ist, das Besondere im Einfachen herauszuarbeiten, das Heitere im Tragischen und das Tragische im Heiteren zu spiegeln.
Wenn er etwa den Vater seines Helden Mahdi als sorglosen Narren darstellt, der bei den Fliegerangriffen im irakisch-iranischen Krieg fröhlich herumtanzt, alles "aufregend" findet und sich darauf freut, den neuen Luftschutzbunker endlich einmal "ausprobieren" zu können. Oder wenn er beschreibt, wie der Häftling Dhalal in seiner Verzweiflung den Verstand verliert und zwei Wanzen in einer Plastictüte quält: "Sie sind meine beiden Feinde, der Islam und der Kommunismus. Ich foltere sie."
Dass Khider den Roman insgesamt siebenmal umgearbeitet und allein das eröffnende Kapitel mehr als dreißigmal neu geschrieben hat, zeigt indessen, wie sehr der Autor mit dem Stoff und der abgründigen Thematik gerungen hat. Zu schwer und zu hoffnungslos, sagt er, habe ihm der Text geschienen, sowohl für die potenziellen Leser als auch für sich selbst.
Die deutsche Sprache habe ihm allerdings den nötigen Abstand gegeben, dieses Buch überhaupt zu schreiben – auf Arabisch wäre dies unmöglich gewesen. "Wenn ich versucht habe, auf Arabisch zu schreiben, war das ganze Leiden noch im Text. Erst als ich angefangen habe, auf Deutsch zu schreiben, hat sich das Leiden in Literatur verwandelt", erklärt Khider im Gespräch.
Gottes und der Menschen Wort
Wie viel literarischer Ehrgeiz in Abbas Khider steckt, deutet sich in einer Anekdote an, die Khider bei der Buchpräsentation von "Die Orangen des Präsidenten" im Kölner Literaturhaus erzählt. Als kleiner Bub sei er sehr religiös gewesen, ständig lief er durch sein Viertel in Bagdad – mit dem Koran unter dem Arm – und erzählte den Leuten von der Schönheit Gottes und der Heiligen Schrift.
Dann, eines Tages, habe ein Mann ihn am Arm festgehalten und ihm gesagt: 'Dir werde ich die Flausen schon austreiben.' Damit reichte er ihm eine Ausgabe des "Propheten" vom libanesischen Philosophen Khalil Gibran. "Ich war vollkommen verwirrt", erzählt Khider. "Ich las dieses Buch und dachte mir: Wie kann das sein? Wie kann jemand schöner schreiben als Gott selbst?!" Von diesem Moment an habe er Schriftsteller werden wollen. Schöner zu schreiben als Gott, das ist das Ziel.
Lewis Gropp
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de