Abgesang der Reformer
"Ich treffe mich immer jeden Dienstag mit dem Revolutionsführer und dann reden wir ganz offen über alles. Wir sind doch wie Brüder und kennen uns schon seit 50 Jahren!" Lange Zeit gehörte dieser Ausspruch von Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandjani zu seinem Standard-Repertoire, damit niemand an seiner Treue gegenüber Ayatollah Khamenei zweifelt.
Doch just an einem Dienstag, nämlich dem 9. April, wurde das vorläufige Ende dieser langen Männerfreundschaft publik, die die Geschichte der Islamischen Republik so entscheidend geprägt hatte.
Wenige Stunden bevor er an diesem Tag zu seinem wöchentlichen Treffen aufbrach, gewährte der 79-Jährige noch einigen Dutzend Ex-Provinzgouverneuren Audienz, die ihn – nach Darstellung der iranischen Nachrichtenagentur Saham News – darum baten, doch für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Nur Rafsandjani könne den Iran aus diesem hoffnungslosen Schlamassel herausholen, zitierte die Agentur einen Teilnehmer, der anonym bleiben wollte.
Doch Rafsandjani, der Mann der Krisen, wie seine Anhänger ihn ehrfürchtig nennen, schlug die Bitte aus. Er werde nicht kandidieren, der Revolutionsführer möge das nicht, so Rafsandjani zu Beginn seiner Rede. Und die erstaunliche Begründung: "Er hat kein Vertrauen mehr zu mir!"
Beratungsresistenter Revolutionsführer
Mit diesem Satz gestand der einst mächtige Rafsandjani nicht nur seine eigene Machtlosigkeit ein, sondern zerstörte zugleich die Hoffnung seiner Anhänger, die wissen, dass ohne Khameneis Segen eine Kandidatur unmöglich erscheint. Zwei Tage darauf, als dieses Eingeständnis längst in Webseiten, Zeitungen und TV-Sendern von der BBC bis Al-Arabiya publik wird, ließ Rafsandjani schließlich lauwarme Dementi verbreiten. Demnach wurde nicht das Treffen mit den ehemaligen Gouverneuren in Frage gestellt, als vielmehr die "Wortwahl" der Berichterstattung, die er als bedenklich bezeichnete.
In welchem Tonfall sich Rafsandjani auch immer geäußert haben mag, alarmierend ist in jedem Fall seine düstere, ja beängstigende Analyse, was die politische und ökonomische Zukunft des Gottesstaates angeht. Khamenei streite ab, dass der Iran in einer tiefen innen- und außenpolitischen Krise stecke, so Rafsandjani.
"Fragen Sie Herrn Khatami doch selbst!"
Der Revolutionsführer glaube nicht, dass das Land eine Regierung der nationalen Einheit benötige, ließ Rafsandjani die Ex-Gouverneure wissen. Und was den künftigen Präsidenten angeht, so wolle der Revolutionsführer seinen eigenen Weg gehen, sprich den eigenen Kandidaten durchsetzen.
In seiner Rede machte Rafsandjani die vorsichtig aufkeimende Hoffnung der Reformer zunichte, die geglaubt hatten, bei der bevorstehenden Präsidentenwahl mitmischen zu dürfen. Zumindest könne sich doch Rafsandjani für Mohammed Khatami einsetzen, wenn er schon nicht selbst kandidieren wolle, baten einige Teilnehmer den früheren Präsidenten. Die abschlägige Antwort kam prompt: "Fragen Sie Herrn Khatami doch selbst!"
Nach Rafsandjanis wohldosierten Klagen über Revolutionsführer Khamenei, seine Alleingänge und seine Beratungsresistenz übte Rafsandjani auch scharfe Kritik an den Revolutionsgarden, die das Land faktisch beherrschten und alles und jeden kontrollierten. Dabei wird dem Ex-Präsidenten selbst nachgesagt, Wegbereiter der Revolutionsgarden in die iranische Staatswirtschaft gewesen zu sein.
Die Allmacht der Revolutionsgarden
Man habe schließlich keine andere Wahl gehabt, entschuldigte sich Rafsandjani bei seinen Zuhörern. Nach dem achtjährigen Krieg gegen den Irak musste man sie ja irgendwie beschäftigen – zum Beispiel für den Straßenbau und für andere Großprojekte, zumal sie über die nötigen technischen Geräte verfügten. Aber wohin das alles eines Tages führen könnte, habe man sich damals noch nicht vorstellen können, geschweige denn dies auch so gewollt.
Die Folgen für das Land seien unübersehbar, so Rafsandjani: Die Revolutionsgarden kontrollierten gegenwärtig die gesamte Wirtschaft und Politik des Landes, ihre Macht sei in jeder Hinsicht unbegrenzt. Rafsandjani, der als Architekt der Islamischen Republik gilt und bald 80 Jahre alt wird, fasste seine Ausführungen über die omnipotenten Revolutionsgarden denn auch in einem prägnanten und sehr bezeichnenden Satz zusammen: "Sie werden erst dann zufrieden sein, wenn sie das ganze Land besitzen!"
Ali Sadrzadeh
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de