Die erste Frau, die in Riad Auto fuhr
Jahrzehntelang durften Frauen in Saudi-Arabien kein Auto fahren. Erst 2017 verfügte König Salman bin Abdulaziz per Dekret, dass auch Frauen einen Führerschein machen und sich hinters Steuer setzen dürfen. Innerhalb weniger Jahre füllten sich die Straßen des Landes mit Frauen, die es den Männern gleichtaten, manchmal auch hinsichtlich der waghalsigen Fahrmanöver.
Was früher undenkbar war, gehört heute zum städtischen Alltag. Dabei gab es bereits in den 1990er Jahren erste Versuche von Frauen, sich über das Fahrverbot hinwegzusetzen. Die saudi-arabische Akademikerin Aisha al-Mana (geboren 1942) war ganz vorne mit dabei. Im Jahr 1990 fuhr sie mit ihrem Auto von der Stadt Khobar nach Riad. Am 6. November desselben Jahres fuhr sie dann mit 47 weiteren Frauen in mehreren Autos durch die Straßen der Stadt, was bei Behörden und religiösen Vertretern auf Kritik stieß.
Lange war unklar, was an jenem Tag den Anstoß zur gemeinsamen Fahrt durch Riad gegeben hatte und wie Al-Mana und ihre Mitstreiterinnen den Mut dazu fanden.
In ihrer Autobiografie "Die Grenzen der Erinnerung“ erzählt sie nicht nur von ihrer Kindheit und ihrem Studium in Amerika, sondern auch von ihren ersten Autofahrten im Saudi-Arabien der 1990er Jahre.
Aufwachsen zwischen Tradition und Aufbruch
hr Vater, Muhammad al-Mana, verbrachte zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Kind zwölf Jahre in Indien. Er besuchte dort eine englische Schule, kehrte in seinen Zwanzigern zurück nach Saudi-Arabien und arbeitete als Dolmetscher für König Abdulaziz Al Saud (1877-1957).
Er dolmetschte auch für indische Kaufleute und leitete die Diskussion zwischen dem König und dem Orientalisten Leopold Weiss, der nach seiner Konversion zum Islam im Westen unter dem Namen Muhammad Asad bekannt wurde.
Mitte der 1930er Jahre wechselte Al-Manas Vater zur Firma "California Arabian Oil“ (heute Aramco), als diese im Osten Saudi-Arabiens mit der Ölförderung begann und später ein öffentliches Dienstleistungsunternehmen wurde. In der Folge erlebte der Ort Khobar einen massiven Wandel und versuchte, eine Stadt wie Manhattan zu werden. In dieser Traumstadt wuchs die kleine Aisha auf. Doch trotz aller urbanen Entwicklung wurden Mädchen so erzogen, dass sie auf das häusliche und familiäre Umfeld beschränkt blieben.
Als Aisha eines Tages mit den Nachbarskindern spielte, wurde sie von ihrem Vater abgeholt und zum nahe gelegenen Flughafen gebracht. Dort erfuhr sie, dass sie nach Ägypten reisen und dort zur Schule gehen würde.
Er nahm ihre Hand und sagte: "Aisha, ich will nicht, dass du so wirst wie deine Mutter und Großmutter. Ich will, dass du studierst und später die Mädchen in deinem Land unterrichtest." Dieser Satz hat sie viele Jahre lang begleitet. In Ägypten besuchte sie das English Girls’ College (später die Al-Nasr School) in Alexandria.
Im Gegensatz zu den Schriften arabischer Intellektueller und postkolonialer Autoren wie Edward Said, die sich negativ über ihre Erfahrungen in ausländischen Schulen äußern, scheint Aisha al-Mana eine positive Erinnerung an ihre Schulzeit zu haben.
Sie schreibt von ihrer Dankbarkeit für diese Jahre, die ihre Persönlichkeit geprägt und es ihr ermöglicht hätten, in jungen Jahren viele Dinge zu lernen. Dazu gehörte zum Beispiel das Fahrradfahren, was ihr in Saudi-Arabien zu dieser Zeit nicht möglich gewesen wäre.
Damals konnte sie noch nicht wissen, dass aus dem Fahrrad einmal ein Auto werden würde, mit dem sie durch die Straßen von Riad fahren würde.
Jahre des Lernens
Nach Abschluss der Schule zog Aisha nach Beirut, blieb dort aber nicht lange. Später beschloss sie, ihr Studium in Amerika fortzusetzen.
Saudi-Arabien hat in den 1960er und 1970er Jahren eine große Zahl von Studenten nach Amerika geschickt, und es scheint, dass die Stipendien nicht nur Männern, sondern auch einer Reihe von Frauen gewährt wurden, wie zum Beispiel der bekannten Anthropologin Thuraya Turki.
Aisha al-Mana studierte Soziologie, obwohl ihr Vater von einem Medizinstudium träumte. Sie erlebte die amerikanischen Universitäten der 1970er Jahre als Schauplatz zahlreicher Proteste gegen Apartheid und Vietnamkrieg. Interessant ist, dass diese junge Frau aus dem reichen Land des Öls als Kellnerin arbeitete, weil sie zusätzliches Geld brauchte und ihre Familie in einer schwierigen finanziellen Lage war.
In ihrer Promotionsarbeit untersuchte sie die Religiosität in der saudischen Gesellschaft und stellte fest, dass das Thema Hijab in den 1950er Jahren in Ägypten und einigen Regionen Saudi-Arabiens offener und fortschrittlicher gesehen wurde als in den 1960er Jahren, nachdem das islamische Erwachen (Sahwa) begonnen hatte, alle Lebensbereiche zu dominieren. Sie scheute daher nicht vor der Behauptung zurück, der Hijab sei eine soziale Praxis und keine religiöse Pflicht sei.
Dass dies auch später ihrer Überzeugung entsprach, zeigen die persönlichen Fotografien, mit denen sie ihre Biografie illustriert hat. Während sie auf dem Cover aus Respekt vor den lokalen saudischen Traditionen mit einem einfachen Hijab abgebildet ist, finden sich im Inneren des Buches zahlreiche Bilder von ihr ohne Kopfbedeckung.
Al-Mana schloss später ihr Studium in Sozialwissenschaften an der renommierten University of Colorado ab und kehrte in ihre Heimat zurück. Dort war sie dann mit den Gesetzen, Traditionen und dem einflussreichen religiösen Establishment konfrontiert, sobald sie eine ihrer Pläne umsetzen wollte.
Kampf um Anerkennung und Würde der arabischen Frau
Schon bevor die Frauen am Golf überhaupt das Recht auf Bildung erhielten, stärkten sie die wirtschaftliche Grundlage ihrer Familien und übernahmen verantwortungsvolle gesellschaftliche Rollen. Die Schriftstellerin Hana Bu Hejji aus Bahrain mit einem Rückblick
Amerikanische Soldatinnen in Saudi-Arabien
Nach der irakischen Invasion in Kuwait im Jahr 1990 war die Lage in der Golfregion angespannt. In diesem Zusammenhang wurden auch in mehreren saudischen Städten US-Truppen stationiert.
Um sich fortzubewegen, nahm Aisha al-Mana damals einen privaten Chauffeur in Anspruch. Eines Tages beobachtete sie auf der Straße von Khobar nach Riad vorbeifahrende Konvois des US-Militärs, bei denen einige Fahrzeuge auch von Soldatinnen gefahren wurden.
Das brachte sie auf die Idee, selbst Auto zu fahren, wie sie es im Ausland gelernt hatte. Sie bat ihren überraschten sri-lankischen Fahrer, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen, setzte sich ans Steuer ihres weißen Lincoln und machte sich auf den Weg nach Riad.
Dort angekommen, zog sie alle Blicke auf sich, als wäre sie eine Außerirdische. Sie fuhr weiter zu ihrer Arbeitsstelle und erzählte ihren Freundinnen, wie glücklich sie über ihre Fahrt war.
Einige Tage später trafen sich Aisha und 46 andere Frauen in einem Haus in Riad und diskutierten darüber, wie schwierig es sei, sich in Riad fortzubewegen, nachdem viele ausländische Fahrer in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren. Wenn jetzt ein Krieg ausbräche, würden die Männer an die Grenze geschickt.
Auch wenn es damals eine Art Überreaktion war, war es doch für sie ein Anstoß, für ihr Recht auf Autofahren einzutreten, so wie es den amerikanischen Soldatinnen oder den Kuwaiterinnen, die nach Saudi-Arabien geflüchtet waren, gestattet war. Am 6. November war es so weit. Sie setzten sich in ihre Autos und fuhren durch Riad.
Kurz darauf wurden sie von Polizeiwagen verfolgt, auf die Polizeiwache gebracht und noch am selben Tag wieder freigelassen. Drei Jahrzehnte später feiern die Teilnehmerinnen der Aktion den ersten Versuch saudischer Frauen in der Geschichte des Landes, Auto zu fahren.
© Qantara.de 2024