Gelungene Inszenierung
Einen "Schlag ins Gesicht" wollte Revolutionsführer Khamenei allen Gegnern mit den Parlamentswahlen bereiten. Zweifellos wird der Mann an der Spitze des iranischen Regimes zufrieden sein mit dem Ergebnis einer Abstimmung, die er zuvor selbst als kritischen Moment bezeichnet hatte.
Zum ersten Mal seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen waren die Iraner am 2. März aufgefordert zu wählen. Im Sommer 2009 hatten die Proteste gegen den manipulierten Sieg von Präsident Ahmadinedschad die Islamische Republik in eine der schwersten Krisen ihres Bestehens gestürzt. Nur mittels gewaltsamer Repression konnte das Regime die für freie Wahlen und Bürgerrechte eintretende "Grüne Bewegung" eindämmen.
Dringend benötigter Legitimationsschub
Auch außenpolitisch steht Iran zurzeit aufgrund seines Nuklearprogramms unter enormem Druck. Internationale Sanktionen und die Möglichkeit eines israelischen Militärangriffs nimmt das Regime als unmittelbare Bedrohung wahr. Von einem reibungslosen Ablauf der Wahl erhoffte sich die iranische Führung daher einen dringend benötigten Legitimationsschub.
Entscheidend war zunächst eine angemessene Wahlbeteiligung, mit der die Unterstützung der Bevölkerung für das System deutlich gemacht werden sollte. Regimevertreter erklärten in den letzten Wochen eine Beteiligung von mindestens 60 Prozent zum Ziel. Die jetzt offiziell annoncierten 64 Prozent stimmen auffällig mit den Zahlen überein, welche die Staatsmedien bereits im Laufe des Wahltags verkündet hatten. Mutmaßungen über erneute Manipulationen erhalten somit Auftrieb.
Zwar ist ein nicht zu vernachlässigender Teil der Bevölkerung nach wie vor zum Urnengang bereit. Menschen, deren Lebensunterhalt vom Staat abhängt, brauchen möglichst den Stempel des Wahllokals im Ausweis. Provinzbewohner sehen in der Entsendung eines Abgeordneten nach Teheran oft die einzige Chance, lokale Interessen durchzusetzen. Auch ein verbreitetes Nationalbewusstsein dürfte manchen Wähler angesichts der internationalen Drohkulisse zur Teilnahme bewegt haben.
Gefängnis oder Exil
Zugleich fand die Wahl jedoch unter strikter Überwachung durch Polizei und Sicherheitsdienste statt. Um ein erneutes Aufflackern der Protestbewegung zu verhindern, wurden Aktivisten und kritische Journalisten bereits im Vorfeld verhaftet oder unter Druck gesetzt. Die Bewegungsfreiheit ausländischer Berichterstatter war ebenfalls stark eingeschränkt.
Die Anhänger der "Grünen Bewegung" hatten ohnehin aufgerufen, am Wahltag zu Hause zu bleiben. Die meisten Reformpolitiker befinden sich im Gefängnis oder im Exil. Sie bezeichneten die Parlamentswahlen als orchestrierte Farce und verwiesen auf den seit mehr als einem Jahr andauernden Hausarrest der beiden Oppositionsführer Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi.
Karrubi war es im Februar gelungen, durch seine Frau seine Ablehnung einer Wahlteilnahme öffentlich zu machen. Auch Mussavi ließ über Familienmitglieder mitteilen, dass er unverändert an seinen Positionen festhalte. Die Isolation der beiden wurde daraufhin zusätzlich verstärkt.
Ex-Präsident Khatami hatte die Freilassung politischer Gefangener und eine Lockerung der Zensur zur Bedingung für eine aktive Wahlbeteiligung der Reformer gemacht. Dass er aber selbst seine Stimme abgab, sorgte für herbe Enttäuschung unter den Anhängern der "Grünen Bewegung".
Kampf um Macht und Ressourcen
Abgesehen von ihrer Bedeutung für die Auseinandersetzung des Regimes mit Gegnern im In- und Ausland, die vor allem an die Frage der Wahlteilnahme geknüpft war, dienten die Wahlen auch der Regelung innerelitärer Konflikte. Nach Verdrängung der Reformer spielten sich diese allein im konservativen Lager ab. Weniger als um ideologische Grundsatzfragen ging es dabei um den Zugang zu Macht und Ressourcen.
Vertreter der traditionellen Führungselite scheiterten mit ihren Versuchen, Einheit unter den "Prinzipientreuen", wie sich die Vertreter des konservativen Lagers nennen, zu stiften. Allein in Teheran standen mehr als zehn verschiedene Listen mit teils identischen, teils konkurrierenden Kandidaten zur Wahl.
Anhand bisher ausgezählter Stimmen konnten 190 der 290 Parlamentssitze vergeben werden. Der Rest wird in einer zweiten Wahlrunde ermittelt. Erfolgreich schnitt vor allem eine Koalition unter Schirmherrschaft des erzkonservativen Ayatollah Mahdavi Kani ab. Auf dieser Liste traten auch der derzeitige Parlamentspräsident Ali Laridschani und sein Amtsvorgänger Hadad Adel an. Beide stehen dem Revolutionsführer nahe und konkurrieren nun um den Parlamentsvorsitz.
Ein geringerer Stimmanteil ging an Kandidaten hinter dem notorischen Hardliner Ayatollah Mesbah Yazdi. Sie stimmen teilweise mit den Positionen von Präsident Ahmadinedschad überein, stehen aber seinem engen Berater Mashai kritisch gegenüber. Dieser hat mit seinem religiös-nationalistischen Diskurs indirekt die Vorherrschaft des schiitischen Klerus in Frage gestellt und damit an ein politisches Tabu gerührt.
Die Anhänger Ahmadinedschads hatten offenbar wenig Erfolg. Einige regierungsnahe Kandidaten wurden schon im Vorfeld durch den Wächterrat ausgesiebt. Andere, darunter Ahmadinedschads Schwester, schafften den Einzug ins Parlament nicht. Allerdings soll die Regierung eine Anzahl weniger bekannter Kandidaten in den Provinzen aufgestellt haben, deren tatsächliche Orientierung erst im Parlament deutlich werden wird.
Ahmadinedschads sinkender Stern
Seitdem er im letzten Jahr den Revolutionsführer offen herausgefordert hat, scheint Ahmadinedschads Stern zu sinken. Der Präsident wollte einen eigenen Kandidaten für das Amt des Informationsministers gegen den Willen Khameneis durchsetzen, woraufhin dieser ihn in die Schranken wies. Ahmadinedschad geht es jetzt ähnlich wie seinem Vorgänger Khatami, dessen Entscheidungsgewalt in der Exekutive durch die Manöver Khameneis immer weiter eingeschränkt wurde.
Das Ergebnis der Parlamentswahl bestätigt somit vor allem die zentrale Machtposition des Revolutionsführers. Eine unbedingte Gefolgschaft Khameneis erscheint als Grundbedingung für politischen Erfolg. Aller Voraussicht nach wird Khamenei über ein fraktioniertes Parlament gebieten, dessen Abgeordnete ohne seine Einmischung kaum zu mehrheitsfähigen Positionen finden können.
Seinen hitzköpfigen Präsidenten kann Khamenei über die Androhung einer Einbestellung und Amtsenthebung durch das Parlament in Schach halten. Bereits Abgeordnete des ausgehenden Madschles hatten einen solchen Plan vorangetrieben. Da ein Großteil dieser Regierungskritiker abgewählt wurde, ist fraglich, ob Ahmadinedschad ihnen wie vorgesehen noch im März Rede und Antwort stehen muss. Khamenei kann derartigen Initiativen aber jederzeit Antrieb geben.
Mit der Stabilisierung von Khameneis Herrschaft ist eine Änderung der politischen Richtung Irans vorerst kaum zu erwarten. Die Legitimität des Regimes wird sich über die inszenierte Wahl allerdings schwerlich verbessern lassen. Zudem stellt der andauernde Kleinkrieg unter den Getreuen des Revolutionsführers die Handlungsfähigkeit des Systems in Frage. Die Auswirkungen der Sanktionen und Missmanagement steigern die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Noch ist nichts gewonnen in Teheran.
Marcus Michaelsen
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de