Pax Israelia oder Bellum Aeternum?

Israel scheint heute das alte Mantra der amerikanischen Neokonservativen unter George W. Bush aus dem Jahr 2003 umzusetzen: die Schaffung eines „Neuen Nahen Ostens“, inklusive Regimewechsel. Die Vereinigten Staaten sind mit ihrer völkerrechtswidrigen Invasion im Irak damals kläglich gescheitert. Der Irak versank in einem blutigen Bürgerkrieg, der Hunderttausende von Toten forderte.
Dschihadistische Bewegungen wuchsen als Folge – mit dem Islamischen Staat (Daesch) und seinem Pseudokalifat als Höhepunkt des Terrors im Irak und in Syrien. 2014 verübten IS-Kämpfer einen Genozid an den Jesid:innen im Irak, seinen Schrecken trug der IS auch durch spektakuläre Anschläge, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, bis nach Europa.
Der Kampf einer internationalen Koalition führte mit dem Fall von Mossul zur militärischen Niederlage des IS. Der Irak ist bis heute dabei, sich wieder zu stabilisieren. Erst seit kurzem verfügt er über eine einigermaßen repräsentative Regierung.
Viele seiner Ziele hat Israel erreicht
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat mit seinem Sieg über die Hisbollah gewissermaßen zu einem Regimewechsel im Libanon beigetragen. Die „Partei Gottes“ kann die Regierungsarbeit nicht mehr dominieren und den Süden des Landes nicht mehr wirksam kontrollieren.
Eine pragmatische Übergangsregierung, geleitet vom General Joseph Aoun, der den Respekt der Mehrheit der Bevölkerung genießt, und Najib Mikati, einem Premierminister, der insbesondere im Westen als effizient gilt, könnte es schaffen, die Kontrolle über das gesamte Territorium zurückzugewinnen – einschließlich der ehemaligen Hochburg der Hisbollah – und den Libanon aus seiner chronischen Wirtschaftskrise zu führen.
Der Regimewechsel in Syrien im Dezember 2024 war auch nur möglich, weil die Hisbollah und der Iran – neben Russland die Hauptunterstützer der Assad-Diktatur – zuvor durch Israel geschwächt worden waren. Russland selbst waren zudem durch die Invasion der Ukraine die Ressourcen ausgegangen.
Netanjahu hat alle direkten Bedrohungen beseitigt: Die Hamas ist militärisch besiegt, ebenso die Hisbollah. Syrien ist militärisch von keiner Bedeutung mehr und der Iran nur noch der Schatten seiner ehemaligen Macht.
Eine Pax Israelia – um den Ausdruck des libanesischen Politologen, Diplomaten und Ministers Ghassan Salamé aufzugreifen –, in der Israel mit US-Unterstützung die Region stabilisiert, erscheint jedoch in weiter Ferne.
Gewiss, Israel ist heute die unangefochtene Hegemonialmacht in der Region, außer vielleicht in Syrien, wo die Türkei weiterhin ein Gegengewicht bildet. Saudi-Arabien und Ägypten, einst regionale Schwergewichte, haben kaum noch Einfluss – gelähmt durch die Angst vor Israels militärischer Macht und der Unberechenbarkeit Donald Trumps.
Aber wir sind weit entfernt von einem Klima, das eine Konfliktlösung begünstigt. Im Gegenteil: Die Gefahr eines Bellum Aeternum – eines endlosen Krieges – nimmt zu.
Auch wenn die Waffenruhe mit dem Iran aktuell hält, sind die Konfliktherde mitnichten gelöscht, sondern bergen weiterhin große Gefahren. Sollte es Netanjahu in Zukunft gelingen, das Mullah-Regime in Teheran zu stürzen – was sein erklärtes Ziel ist – könnte das die Region weiter destabilisieren.
Destabilisierende Milizen
Ein Zusammenbruch des iranischen Regimes könnte zentrifugale Kräfte freisetzen. Zu oft wird vergessen, dass nur 60 Prozent der iranischen Bevölkerung persischer Herkunft sind. Es gibt zahlreiche kurdische, belutschische, arabische und aserbaidschanische Minderheiten. Einige, insbesondere kurdische und belutschische Gruppen, befinden sich bereits in offenem Konflikt mit Teheran.
Hinzu kommt die Gefahr eines inneren Aufstands, der von den Revolutionsgarden brutal unterdrückt würde und das Land ins Chaos stürzen könnte. Die ultrakonservativen Machthaber könnten dann versuchen, den Irak zu destabilisieren – wo sie noch immer über loyale Milizen verfügen – und hätten auch keinerlei Interesse an einer stabilen Ordnung in Syrien.
Der Iran könnte sogar aktiv die Gegner der fragilen syrischen Regierung von Ahmad al-Scharaa unterstützen, die ohnehin Mühe hat, das Land und seine ethnisch-religiöse Vielfalt zu kontrollieren.
Die Spannungen dort bleiben hoch: Am vergangenen Sonntag erschütterte das erste große Selbstmordattentat seit dem Sturz des Assad-Regimes das Land. In einer Kirche in Damaskus tötete vermutlich die wenig bekannte dschihadistische Gruppe Saraya Ansar al-Sunna, die dem IS nahestehen soll, 25 Menschen. Weitere Bedrohungen in Syrien sind radikalisierte Teile der schiitischen Minderheit oder die Fulul, Anhänger des alten Regimes.
Israel selbst destabilisiert das Land durch Angriffe auf Militärziele in Syrien, durch Besetzungen im Süden des Landes und Inkursionen auf den Golanhöhen. Ein erneutes Abgleiten Syriens ins Chaos hätte dramatische Folgen für die gesamte Region – insbesondere für den benachbarten Libanon, dessen Stabilität äußerst fragil bleibt.
Doch nicht nur schwache Staaten sind bedroht. Eine Schließung der Straße von Hormus – bereits vom iranischen Parlament als Drohung ausgesprochen – könnte die Vereinigten Arabischen Emirate in große Schwierigkeiten bringen.
Trotz ihrer umfangreichen Finanzreserven könnte ein anhaltender Konflikt, der den Export von Öl und Gas behindert, enormen Druck erzeugen, zumal die Bevölkerung schnell wächst. Und wer wird noch in die Emirate als wirtschaftliches und technologisches Drehkreuz investieren, wenn der Krieg direkt vor ihrer Tür tobt?
Die Regierung Netanjahu braucht den Krieg
„Netanjahu ist ein ausgezeichneter Taktiker, aber kein Stratege, der langfristig über seine eigene politische Selbsterhaltung hinausdenken kann“, sagt ein hoher europäischer Diplomat, Nahostspezialist. Und genau darin liegt das Kernproblem: Was passiert nach den taktischen Siegen?
Der Nahe Osten wird durch Israel neu geordnet – aber ein dauerhafter Frieden, eine echte Pax Israelia ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Es herrscht mittlerweile nicht nur unter internationalen Expert:innen, sondern auch unter deutschen und EU-Spitzen-Diplomat:innen die Meinung, dass Netanjahu ein persönliches Interesse an weiteren Kriegen in der Region hat – Bellum Netanjahu.
Nur so kann er seine rechtextreme Koalition weiterführen und damit seine Amtszeit verlängern und eine Aufarbeitung und Sanktionierung seiner politischen und wirtschaftlichen Verbrechen – inklusive seiner mutmaßlichen Kriegsverbrechen – durch die israelische und internationale Justiz verhindern.

„Genehmigungen sehr wahrscheinlich rechtswidrig“
Kaum ein Staat liefert so viele Waffen an Israel wie Deutschland. Daran dürfte sich auch unter Merz nichts ändern. Dabei könnten sich Politiker*innen und Industrielle der Beihilfe zu Völkerstraftaten schuldig machen, sagt Lilian Löwenbrück von der Menschenrechtsorganisation ECCHR.
Über 56.000 Tote in Gaza, totale Zerstörung. Und kein Wiederaufbauplan – außer der von Ministern der extremen Rechten vorgeschlagenen Vertreibung. Wie kann man angesichts eines solchen Traumas überhaupt an einen israelisch-palästinensischen Frieden denken? Und wenn dieser Frieden bereits als illusorisch erscheint – was bedeutet das dann für die gesamte Region?
Die Abraham-Abkommen, einst als diplomatischer Durchbruch gefeiert, erscheinen heute als Überbleibsel einer vergangenen Ära. Wer kann heute noch eine friedliche Neuordnung des Nahen Ostens vorantreiben? Sicherlich nicht die derzeitige israelische Regierung, die von der extremen Rechten dominiert wird.
Europa muss endlich Druck machen
Die EU und das Vereinigte Königreich, deren eigene diplomatische Bemühungen durch israelisch-amerikanische Militäraktionen untergraben wurden, sollten unverzüglich einen umfassenden Friedensplan vorlegen.
Die Arabische Liga hat bereits substanzielle Vorschläge zur israelisch-palästinensischen Frage gemacht. Eine gemeinsame Position der EU, der Arabischen Liga und der Türkei – einem NATO-Mitglied – könnte zumindest den Druck auf die USA erhöhen.
Frankreich und das Vereinigte Königreich, beide ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, müssen ihr gesamtes Gewicht einsetzen – auch bei einem möglichen amerikanischen Veto –, um mutige Resolutionen zur Deeskalation vorzuschlagen.
Auch wenn ein solches Veto wahrscheinlich ist, könnte Trump gegenüber wirtschaftlichen Argumenten empfänglich sein. Er steht den saudischen Herrschern nahe und könnte Druck auf Israel ausüben, sobald die nukleare Bedrohung durch den Iran für ihn als gebannt gilt.
Derzeit sind nur die USA in der Lage, Israel von weiteren einseitigen militärischen Vorstößen abzuhalten – bevor ein Bellum Aeternum, ein endloser Krieg, herrscht.
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